Besprechung für Amor gegen Goliath
Hauptfiguren des Romans sind zwei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, auch wenn sie verwandten Milieus angehören: Kottenpeter, verkrachter, depressiver Musiker hier und «Philphil» Büttner da, ein Bruder Leichtfuss mit grossem erotischem Kapital, zwar grad arbeitslos als Journalist, aber verlobt mit einer jüngeren Partnerin aus wohlhabendem Haus.
Kottenpeters Partnerin Cathi ist engagiert in der Klimabewegung. Die Diskussionen um den Klimawandel nehmen viel Raum ein auf den 752 Seiten. Mit grosser Sorgfalt zeichnet der Autor die Muster der Debatten nach, inklusive der Widersprüche, die sich bei den Klima-Bewegten auftun. Er eröffnet bemerkenswerte Einblicke in die Funktionsweisen einer Community, oder, negativ formuliert, einer Blase.
Die Handlung spielt teilweise während der Corona-Epidemie und des Lockdowns. Dem heftigen gesellschaftspolitischen Niederschlag dieser Monate widmet sich Schulz mit viel Verve. Seitenlang dokumentiert er das Geschwurbel von Querdenkern und die Vorträge von Trittbrettfahrern der Hysterie. Hier wird die Geduld des Lesers, der sich zeitweise in einem Polit- oder Soziologie-Seminar wähnt, arg strapaziert, auch wenn es bemerkenswert ist, wie genau die Denkbewegungen und Ressentiments «der neuen Rechten» nachgezeichnet werden, die in ihrem Anti-Establishment-Furor durchaus Erbstücke der alten 1968er-Linken übernommen haben.
Die Empathie-Fähigkeit und der Recherche-Fleiss des Autors bescheren uns dann aber auch das Glanzstück dieses Romans: Die Schilderung der Depression Kottenpeters mit vielen stimmigen Details ist brillant. Wir folgen gebannt den inneren Monologen Kottenpeters, der sich eine Affäre Cathis einbildet und mit viel Aufwand seinen Zustand auch vor ihr zu kaschieren sucht. Das führt in eine Negativ-Spirale, an deren Ende den Musiker eine totale «Misophonie» plagt, er erträgt nicht mal mehr die Stimme seiner «Traumfrau». Die allgemeine Weltlage, dem Klimawandel zugeschriebene Unwetterkatastrophen und düstere Prognosen tragen nicht zur Aufhellung der Stimmung bei. Nur mit Anti-Depressiva kann Kottenpeter den Alltag einigermassen bewältigen.
Auf der anderen Seite blüht Büttner in der Pandemie so richtig auf, er richtet sich gern in der schönen Wohnung seiner Verlobten Franzi ein, geniesst den Sex mit ihr, betrügt sie aber dennoch mit ihrer besten Freundin und arbeitet auf das Wunschszenario einer «Triole» hin, Sex zu dritt.
Die beiden Hauptfiguren wissen nichts von einander, bis sie sich samt Entourage im Urlaub auf Südkreta begegnen, sich dann aber kaum für einander interessieren. Sie nehmen sich bestenfalls als Rivalen um Cathis Gunst wahr, in die sich der leicht entflammbare Büttner verliebt. Die Jonglage mit drei Bällen – die Verlobte Franzi, deren Freundin Jette und neu Cathi – überfordert allerdings den erotischen Artisten, schliesslich steht er mit leeren Händen da (wenn auch nicht für lange). Mehr Glück, oder überhaupt endlich wieder mal so etwas wie Glück, bringt der Urlaub Kottenpeter, der sich von seiner Depression erholt. Diese Schlussszenen rührt der Autor ungeniert mit der Kitschkelle an. Schon zuvor neigt er dazu, Plot-Linien und Motive überdeutlich auszuziehen.
Zwei Aussenseiter-Figuren des Romans kommen gegen Ende ausführlich zu Wort: Was soll denn nun in der allgemeinen Malaise helfen? Der Weltuntergang durch den Klimawandel steht bevor, in der eigenen Blase brodeln die Widersprüche und die Linke hat die Diskurshoheit verloren. Zwar arbeitet auch hier Schulz – ganz in der Tradition der Neuen Frankfurter Schule und insbesondere Eckhard Henscheids stehend – mit Humor und Sprachwitz, aber es ist nicht zu übersehen, mit welch grossem Ernst und Anspruch er die Probleme analysiert, und den – geneigten – Leser*innen bedenkenswerte, mal rationalistisch, mal esoterisch-dialektisch gefärbte Rezepte mit auf den Weg gibt.