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Besprechung
Moritz T.
«Italien gibt es, sagte ich mir. Mich gibt es auch!»
Der Ich-Erzähler zieht um, in eine hellere, freundlichere Umgebung, der trübe Frankfurter Winter geht zuende, italienisches Essen auf dem Tisch.
Erinnerung an das Trinken
Der Ich-Erzähler imaginiert sich kurz aber intensiv als Trinker in den Märzvorabend hinein (seit fünf Jahren ist er trocken). Eine Form der Sucht ist geblieben, Wahrnehmungssucht?
«Und was schreien die Abendzeitungen? ‘Stophs Nichte verliess die Prager Botschaft!’ meldet die Rundschau, als ob sie schon öfter mit mir besorgt darüber gesprochen hätte.»
Die Zeitung spricht mit dieser Schlagzeile den Ich-Erzähler an, den das vielleicht nicht sonderlich interessiert, aber der den Dialog auf seine Art führt, beiläufig das Übergriffige dieser Art der öffentlichen Kommunikation vermerkend. Dieses Sensorium für die Umgebung, die zu ihm (persönlich) in allen Formen spricht, macht den Schriftsteller Kurzeck aus.
„Denk dir ein Thema, einen Satz, denk dir Wörter und Klugheiten aus. Aber bis du dir für den Anfang einen Anfang als Anfang gefunden und ausgedacht und zurechtgegrübelt, bis du bei dir selbst soweit bist, ist vielleicht schon ein anderer Tag.“
Der Ich-Erzähler, der Schriftsteller, kein Meister des smalltalks. Versunken in der eigenen Gedanken- oder Wörterwelt, die Gastgeber schon längst wieder weg, die Chance auf ein Gespräch vertan.
„Gehen – wie geht das? Wie man einen Raum betritt. Und wie man ihn lebend wieder verlässt.“
Nach 21 Jahren als Trinker musste der Ich-Erzähler das Leben neu lernen; konnte es aber zugleich neu entdecken. Wenig war ihm selbstverständlich. Grund(lage) des Schreibens.
„Frankfurt am Main als Baustelle, Gleichnis, Wohnort und Arbeitsplatz.“
auch ein Frankfurt – Roman
„Sonst immer pünktlich.“
Ab Seite 71 beschreibt der Ich-Erzähler, wie er sich mit Carina am Rosenmontagmittag auf den doch eher kurzen Weg zum Kulturtreff in Höchst macht, wo er für eine mögliche Vorlesung vorsprechen kann. Es ereignet sich unterwegs nichts Spezielles, aber was muss in Höchst alles festgehalten werden, in wen muss man sich alles hineinversetzen (sehr gern in ein junges Mädchen mit kurzem Rock!), wie viele Erinnerungen steigen auf, bis er endlich auf Seite 110 beim Kulturtreff eintrifft, natürlich dann verspätet. Eine Verzettelung, wie sie im Buche steht.
Erinnerung an einen Abend vor der Trennung
„Peta“, wie Carina ihn ruft, versucht zu schreiben, Carina verwickelt ihn in ein Spiel, „im Eiscafé“; Peta spielt einen Gast, der in Ruhe schreiben möchte, wird aber von Carina ununterbrochen zum Bestellen oder zum Kennenlernen anderer, imaginärer Gäste aufgefordert. Dichte Beschreibung einer Erinnerung; in der Erzählgegenwart, Abend des Ausflugs mit Carina nach Höchst, muss der Ich-Erzähler die ehemals gemeinsame Wohnung jetzt dann verlassen.
Seite 143, aus der Erzählgegenwart leichthändig zurück in die Kindheit in Staufenberg; diese Rückblenden etwas weniger intensiv, weniger dicht erzählt.
„Sind doch wir, die wir hier gehen? Hat sie einmal morgens auf dem Weg zum Kinderladen nach langem Grübeln gefragt.“
Fast so etwas wie ein Leitmotiv; der Ich-Erzähler fragt sich das in Variationen immer wieder, beiläufig. Sich seiner selbst versichern, aber auch Distanz zu sich haben. Keine Selbstverständlichkeit. Und jetzt zeigt sich, dass der Satz von Tochter Carina stammt.
„Wozu Woche für Woche die Woche?“
Mit Carina und Edelgard am Samstag unterwegs. Kleine Suada über den Vorstadtspiesser und seine Konsumgewohnheiten, und die Leere am Wochenende, wenn alles – doppelt – eingekauft ist.
„Und wie es mich sehnt jetzt!“
Immer wieder mal geht der innere Blick nach Süden, eine Pizzeria ist Anlass genug. Weg aus dem Frankfurter Einerlei!
„Du musst endlich einsehen, dass die Welt nicht nur für dich da ist!“
Der Ich-Erzähler verspätet sich, Tochter Carina schläft schon, und die Ex-Partnerin Sibylle will ihn nicht mehr in ihr Zimmer lassen. Ein Streit. Meint er, die Welt ist nur für ihn da, wie es ihm Sibylle vorwirft? Vielleicht… aber vielleicht auch nur, weil er sich der Welt immer wieder versichern muss, er, der sich „am Rande“ bewegt, für sich, und für diejenigen, die er liebt.
Eskalation, Sibylle droht die Polizei anzurufen. Endlich verlässt er die Wohnung, irrt draussen durch die Stadt.
„Wie immer kein Geld. Und nie genug Schlaf.“
Zwei Dauerthemen… Variationen über den Schlaf, oder das Fehlen des Schlafes, p. 263-268. Ist es der Wahrnehmungshunger, der den Schlaf vertreibt? Oder dass er sich der Welt andauernd versichern muss?
„Und wie alles von allen Seiten immerfort auf mich einreden muss!“
Jeder Gang, zum Milchholen, in die Stadt: überwältigt von einer Stimmen- und Bilderflut.
„Zettel und Kugelschreiber und mir eben beim Sprechen noch schnell für mich selbst etwas aufgeschrieben. Und sitze hier mit meinen drei Gläsern und dem heutigen Abend und in jeder Hand eine Zigarette. Rechts eine Gauloises und links eine Gitanes. Wie soll ich da essen?“
Mit Freund Jürgen unterwegs, ruhelos. Nicht (mehr) gewohnt, sich zum Essen hinzusetzen, sich Zeit zu nehmen.
Kapitel 19
Unterwegs in Frankfurt mit Freund Jürgen, dem der Ich-Erzähler berichtet, wie er den gemeinsamen Freund Eckart nach längerer Zeit wieder getroffen hat; dann Erinnerungen, wie er unterwegs war mit Freund Eckart. Einblick in den (vergangenen) Trinker-Alltag des Ich-Erzählers.
„Manche Samstage ist der Flohmarkt am Main mit dem Fluss und dem Himmel und den Bäumen, Gesichtern und Stimmen das Schönste, was es in Frankfurt gibt.“
Der Flohmarkt – alles im Fluss, zirkuliert, nichts geht verloren: kein Wunder fühlt sich der Ich-Erzähler hier zuhaus (meistens).
Kapitel 20
Der Ich-Erzähler bringt Tochter Carina zum Frankfurter Hauptbahnhof, von wo sie mit ihrer Mutter Sibylle nach Giessen reist. In diesem Bahnhofs-Kapitel kommt die Durchlässigkeit für die anderen und die Welt, die den Erzähler auszeichnet, schön und leichtfüssig zur Geltung, mit guter Distanz: er versetzt sich in Carina, die Milchbarfrau, Teenager oder Emigranten, immer wieder das Beben der Züge in der Halle.
„Die Deutschen beschweren sich dann oft, weil es ihnen zu wenig ist für ihr Geld.“
Der Ich-Erzähler hat im Frankfurter Hauptbahnhof Abschied genommen von Carina und Sibylle. Er tut sich schwer, sie gehen zu lassen, „nie den Abschied gelernt“. Jetzt genehmigt er sich einen „napolitanischen“ Espresso.
„Und merkte, dass ich beim Telefonieren in ihre Richtung stand. Damit sie mich besser hören kann.“
In der Telefonzelle.
„Zu müd auch zum Essen jetzt. Fast ja zu müde, um ins Bett zu gehen.“
Müdigkeit ein immer wiederkehrendes Thema. Mittagsmüd und abendmüd. Schreiben heisst wachsein, aufmerksam; aber welcher Müdigkeit ist das abgetrotzt; viele Espressi.