Alte Meister
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Besprechung
Moritz T.
«Noch nie hat er, auf der Sitzbank im Bordone-Saal sitzend, den Hut aufgehabt, und genauso wie mich die Tatsache, dass er mich für heute ins Museum bestellt hat, beunruhigte, weil diese Tatsache tatsächlich die ungewöhnlichste ist, wie ich dachte, die ich mir denken kann (…).»
Aha, da sieht man gar den Schimmer eines Plots, einer Entwicklung! Es wird also nicht nur bei «Atzbacher und Irrsigler beobachten Reger beim Betrachten des Weissbärtigen Mannes» bleiben, und Atzbachers Reflexionen dazu, die zumeist Regers Gedanken wiedergeben.
«Der eine nimmt gegen elf Uhr vormittags ein Vollbad, um über die Tageshürde zu kommen, ich gehe ins Kunsthistorische Museum.»
Erfrischend, wie Reger hier wie selbstverständlich eine „Tageshürde“ voraussetzt, die auf höchst unterschiedliche Art genommen werden kann.
Die Lehrer, der Staat – «Unglück», «Unnatur»
Typische Bernhard-Suada. Erst werden die Kunsthistoriker geschmäht, dann geht es den Lehrern verbal an den Kragen, die den Kindern nicht nur die Kunst verleiden, sondern sie überhaupt dem Unglück ausliefern. Aber eigentlich zielt Reger im Bericht Atzbachers auf den (katholischen) Staat, der alles zernichtet, «wenn wir Menschen sehen, sehen wir nur Staatsmenschen als unnatürliche Menschen, die der Staatsstumpfheit anheim gefallen sind.» (p. 59). Dann dreht er weiter an der Schraube – auch die Künstler, die Maler stehen im Dienste des Staates, «da macht nicht einmal Rembrandt eine Ausnahme» (p.61/2). Das Resultat: Verlogenheit, Dekorations-, oder gemeine katholische Staatskunst. – Am Ende ist alles Staatskunst und alle sind Staatsmenschen, der Unnatur preisgegeben. Es gibt kein «Aussen» mehr, keine Alternative. Routiniert setzt der Autor die Maschinerie in Gang, die dann von wie allein zu Ende schnurrt.
«Schauen Sie ein Bild nicht lang an, lesen Sie ein Buch nicht zu eindringlich, hören Sie ein Musikstück nicht mit der grössten Intensität, Sie ruinieren sich alles und damit das Schönste und das Nützlichste auf der Welt.»
Interessanter Gedanke: wie intensiv soll man sich mit einem Kunstwerk beschäftigen? Reger behauptet von sich, zur «totalen» Rezeption zu neigen, die ihm dann das Gemälde, oder das Musikstück «vergraust». Es scheint ein richtiges Mass der Annäherung zu geben, aber diese angemessene Distanz zu finden, ist selbst eine Kunst.
«Dass sich der Mann am Ende seines Lebens umgebracht hat, ändert an seiner absoluten Mittelmässigkeit nichts.»
Wann hätte sich Stifter denn sonst das Leben nehmen sollen? Wie kommt Reger auf die Idee, dass ein Suizid etwas an einer Mittelmässigkeit ändern könnte? Wie sieht eine «absolute» Mittelmässigkeit aus? Tirade gegen Stifter, einem der «antipoetischsten und unpoetischsten» Schriftsteller «gleichzeitig». Ist das einer der misslungensten Superlative überhaupt? Und wie ist es möglich, dass sich Stifter immerhin im Mittelmass hält, wenn er zu den unpoetischsten Schriftstellern zählt?
Fragen über Fragen, aber wie Atzbacher kurz darauf festhält, natürlich Reger referierend: man soll ein Kunstwerk nicht zu eindringlich studieren, sonst wird es einem „vergraust“.
Man kann Reger zugute halten, dass er hier aus enttäuschter Liebe in seinen Furor gerät, offenbar hatte er früher Stifter geliebt.
Heidegger
Nach Stifter (und Bruckner) jetzt die Abrechnung mit Heidegger, der wahlweise als Scharlatan, als Kitschkopf und als philosophischer Heiratsschwindler denunziert wird (das ist nur eine kleine Auswahl der Beschimpfungen). Wie schon bei Stifter vermeidet es Reger, in eine inhaltliche Auseinandersetzung zu gehen. – Im Vorbeigehen lehren wir doch noch einen Künstler kennen, der nach Reger das Prädikat „Genie“ verdient: Wagner.
„Nur was wir am Ende lächerlich finden, beherrschen wir auch, nur wenn wir die Welt und das Leben auf ihr lächerlich finden, kommen wir weiter, es gibt keine andere, keine bessere Methode, sagte er. Im Zustand der Bewunderung halten wir es nicht lange aus und wir gehen zugrunde, wenn wir ihn nicht zeitgerecht abbrechen, sagte er.“
Vielleicht der Kern der Regerschen Lebensphilosophie: was man lächerlich findet, kann man beherrschen. Folglich macht man alles lächerlich, den Papst natürlich, aber auch die weltlichen Autoritäten, und wie gesehen Schriftsteller und Künstler. Bewunderung ist gefährlich; es gilt sie „zeitgerecht“, was immer das heisst, abzubrechen.
„Wenn der Engländer Aqua brava verwendet, hat er einen guten Geschmack.“
Herrliche Volte im Kampf um den Sitzbank im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums, die Reger zum ersten Mal seit Jahren besetzt vorfindet, von einem Engländer, der sich von der Sitzbank nicht vertreiben lässt (auch nicht durch Irrsigler), so dass sich Reger schliesslich neben ihm niederlässt, nur um festzustellen, dass der Engländer ein ihm nicht unangenehmes Duftwasser benutzt. Reger verwickelt schliesslich den „Engländer aus Wales“ (wäre das nicht vielmehr ein Waliser…?) im feinsten schottischen Tuch in ein Gespräch.
„Ich habe keinen nützlicheren Menschen ausser Ihnen, sagt er. Wahrscheinlich ist mir das Überleben nur durch Sie möglich.“
Jetzt haben sich Reger und Atzbacher im Bordone-Saal getroffen an diesem Tag ausser der Reihe. Reger lobt Atzbachers Pünktlichkeit und seine Fähigkeit zuzuhören. Im Übertreibungs-Eifer geht der Komparativ mit ihm durch, wo es eigentlich der Positiv auch tut.
„Diese Leute, die so wie ich im Grunde tatsächlich Welthassende sind, schleichen sich von einem Augenblick auf den anderen aus der gehassten Welt davon in die Kunst, die ja ganz ausserhalb dieses gehassten Welt ist.“
Reger entwickelt hier eine Metaphysik der Kunst, die aber einigermassen prekär anmutet, nach den seitenlangen Entlarvungstiraden gegen viele Künstler und die Kunst überhaupt.
„Im Ambassador hatten Sie gestern einen so gut geschnittenen Schafspelzmantel an, der mit Sicherheit aus Polen stammt, sagte er plötzlich (…)“
Ansatz- und abschnittsloser Themenwechsel – unvergleichlich, erfrischend. Erst ging es gerade noch um Welt-Hass und Kunst-Metaphysik, und jetzt zeigt sich Reger dem Leben (unter ästhetischem Gesichtspunkt) zugewandt, er kennt sich offenbar auch aus mit polnischen Schafspelzmänteln. Atzbacher, der nun für einen Moment zu Wort kommt, bestätigt die Herkunft des Mantels.
Reger lernt seine Frau kennen
Wo? Tatsächlich auf der Bordone-Bank im Kunsthistorischen Museum, vor dem „Weissbärtigen Mann“. Reger in tiefster „Deprimation“ und Gedanken über einen Schopenhauer-Satz. Irrsigler hatte die erschöpfte Frau zur Bordone-Bank geführt, wo sie neben Reger Platz nahm und eine Stunde lang vermeintlich den „Weissbärtigen Mann“ anstarrte. Als Reger schliesslich fragt, ob ihr das Gemälde gefalle, antwortet sie mit „Nein“. – Eine Komödie, wie der Untertitel sagt.
Österreich, ein Rundumschlag
Die Welt ist auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt, „alles Heutige ist voller Gemeinheit und voller Bosheit“, dann aber konzentriert sich Reger auf Österreich, die abgrundtief dumme Regierung, die verlogene und verkommene, katholisch-nationalsozialistische Justiz, „eine perfide Menschenzermahlmaschine“, die Kultur, die „Tonidiotisten“, die „opportunistischen Schmierenkomödianten“. Es ist zum Verzweifeln.
Verwundert registriert man, dass die katholische Kirche für einmal ungeschoren davonkommt.
„Der weibliche Kopf ist der widerspenstigste, so Reger damals in der Singerstrassenwohnung, wir glauben, er ist zugänglich, während er doch unzugänglich ist.“
Die Regersche Ehe, ein Umerziehungslager.
„Ein Praterbesuch mit der Familie Irrsigler erscheint mir wie ein Höllenbesuch.“
Traumgleicher assoziativer Gedankenfluss, von Giotto und Leonardo zum Praterbesuch ist es nicht weit.
„Einen Österreicher, der immer ein gemeiner Nazi oder ein stupider Katholik ist, dürfen wir als noch so interessant und einzigartig empfinden, an das politische Ruder dürfen wir ihn nicht lassen, sagte Reger (…).“
Nach seitenlangen Beschimpfungen eine gewisse Ambivalenz. Der Österreicher fasziniert Reger, er ist „tatsächlich der interessanteste Mensch von allen europäischen Menschen“ (p. 244).
„Ich dachte, ich will nicht mehr zu diesen Menschen zurück, zu diesen Menschen nicht und andere gibt es ja nicht, so Reger.
Nach dem Tod seiner Frau verharrt Reger in seiner Wohnung, er trinkt nur Wasser, er liest nur Schopenhauer. Dann ein Stück Brot am Fenster, und der Blick auf Passanten. Wehmütiger Satz.