Amor gegen Goliath
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Besprechung
ALLE BESPRECHUNGEN„Weit und breit kein Mond; umso sahniger leuchtet – quer durch den funkelnden Äther – der gesprenkelte Strom der Milchstrasse hinein.“
Romantik, sich in Jargon hüllend.
Erstes Buch
Im Mittelpunkt stehen zwei Helden, deren Lebenskreise sind noch kaum berühren: Kottenpeter, der in einer von Eifersucht (seinerseits) und Angststörungen (seinerseits) unterminierten Beziehung mit Cathi lebt, die sich in der Klimabewegung engagiert. Der Klimawandel scheint mit verantwortlich zu sein für Kottenpeters Angstzustände. Das bleibt aber zunächst eine Roman-Behauptung.
Der grad arbeitlose Akademiker Philphil Büttner (Philipp + Dr. Phil = Philphil, einmal ist es lustig) anderseits ist eher auf der hedonistischen Seite des Lebens zuhause. Er hat sich in Franzi-Franziska verliebt und verlebt harmonische Monate mit ihr, liebäugelt aber sehr mit ihrer besten Freundin Jette. Auch er ist klimabewegt, wobei er das Klimathema vor allem einsetzt, um am Tisch der Schwiegereltern in spe die Diskurshoheit zu erlangen.
Mit Sprachspielen und Wortwitz durchsetzt; über weite Strecken sehr unterhaltsam.
„Zeit seines Lebens ist es umgekehrt gewesen: hin und wieder ein Albtraum, beim Erwachen die Erleichterung. Was für Zeiten, in denen der Albtraum beim Erwachen beginnt.“
Das ist hübsch formuliert; offenbar ein Fall von KLIMA-Angst bei Kottenpeter. Das hätte man gern noch ausbuchstabiert, um es dieser Figur abzunehmen.
„(…) Julia, honigblond, Mitte zwanzig, freundlich, schlau und überhaupt so grundsympathisch, wie ein Mensch in dieser Welt nur eben zu sein vermag. Wenn alle so wären wie sie, dann gäb’s nicht das geringste Problem.“
In diesem Kapitel reflektiert die Figur Kottenpeter die Umwelt und seine Freundin Cathi. Aber wer spricht hier? Doch eher der Erzähler? Etwas klischeehafte Figur, diese Julia, und für einmal keine Ironiesierung in Sicht.
„Zukunffffft.“
Immer zu haben für ein nächstes Wortspiel. „Als sei die Luft raus aus der Zukunft“.
„Er sollte sich beeilen, die Frau wieder anschlussfähig zu machen an den verborgenen Endzweck seines Hierseins (wenn nicht Daseins).“
Die Kunst des Flirtens im klimabewegten Milieu. Wenn der drohende Weltuntergang allzu schwarz gemalt wird, bleibt kein Raum für die Anbändelei, um die es hier Büttner vornehmlich geht. „Nicht leicht“.
„Mit grimmiger Bescheidenheit verzimmert Büttner einen Hau Primitivo hinter der Binde.“
Das Flirtgeschäft läuft, Büttners Sprachkraft sei dank. Da will sich der Autor nicht lumpen lassen.
„(…) (genau gesagt, seit er zum ersten Mal Eckhard Henscheids genialisches Geht in Ordnung – sowieso — genau — gelesen hatte) (…)“
Spätestens seit „rumorte Büttner voran“ auf p. 215 hatte sich der Eindruck verdichtet, es hier noch mehr als ohnehin mit Variationen auf Henscheidsche Dialogkunst zu tun zu haben. Drum hier die Referenz bzw Reverenz souverän plaziert. Büttner im zunehmend alkoholisierten Gespräch mit dem künftigen Schwiegervater; je länger der zum Thema Klimawandel schweigt, desto aufgeputschter Büttner. – Hier war ihm die ungenaue, ungeliebte Antwortpartikel „genau“ herausgerutscht, die er seit langem zu meiden suchte, genau gesagt… s. oben.
„(…) drei zutiefst erholsame, höchst hedonistische, sprich: paradiesische Wochen verbrachten sie auf Franzis Lieblingsinsel Amrum.“
zutiefst erholsam, Lieblingsinsel: Füllmaterial, das umso mehr auffällt, als das die Dialoge zuvor mit beträchtlicher Intensität gestaltet waren.
Zweites Buch: „Weltschmerz“
Zum Kummer (Klimawandel) kommt jetzt das Elend (Epidemie), wir schreiben Frühling / Sommer 2020. Die beiden Hauptfiguren gehen sehr unterschiedlich damit um. Kottenpeter versinkt immer tiefer in seiner Depression, seine „Misophonie“ erstreckt sich am Ende gar auf die Stimme seiner Traumfrau Cathi. Fressattacken, Doomscrolling, Antidepressiva prägen seinen Alltag, und der zunehmend verzweifelte Versuch, seinen Zustand vor Cathi verborgen zu halten.
Ganz anders Philphil Büttner, der in der Coronazeit erst so richtig aufblüht und auf seine Kosten kommt beim Sex mit Freundin Franzi und beim Telesex mit deren Freundin Jette. Sehr ausführlich wird das Geschwurbel der Corona-Diskursanten wiedergegeben, das offenbar auf Büttner in perverser Weise erotisierend wirkt – der Leser allerdings ermattet bald und kann allenfalls Bewunderung aufbringen für die Fleissleistung, mit der der Autor Verschwörungstheorien und Epidemietrittbrettfahrerei dokumentiert.
„Beuys und Schlingensief wären aus dem Staunen nicht herausgekommen angesichts jener illustren sozialen Plastiken im heissen Sommer zwanzigzwanzig.“
Der Autor versteht es, einen grossen Bogen oder ein Wortrad zu schlagen. Hübsches Bild für die kommunikativen Verwerfungen, die der erste Corona-Sommer mit sich brachte.
„Schon immer ist ihr Camus lieber gewesen als Sartre (…)“
Gamasch orientiert sich an den Referenzpunkten ihrer Generation, während die Gegenwart im griechischen Hitzesommer 2021 zu entgleiten droht. Dazu Joni Mitchells „Carey“, sowieso passend hier in Südkreta.
„Eine Kenntnis zumal, der der — come on — pretty much intrinsich zu enhancen hätte?“
Wie es sich halt so denkt als hippe Hamburger Journalistin (Jette).
Wiedergabe Interview mit Hans-Otto Röver
Röver ist ein Freund von Büttner und wird heiss verehrt von Ilona (Gamasch). Anlass genug, ihm ellenlang Platz einzuräumen mit der Wiedergabe eines Interviews. Er vertritt die These, dass die neue Rechte aus einer Überbietungslogik der sich stets weiter radikalisierender Kritik der 68er Generation hervorgegangen ist. Zwar mit allerlei Ironie und Sprachspielerei durchsetzt, aber anders als in den eigenbezogenen Mono- oder Dialogen der Helden Büttner oder Kottenpeter ist hier wenig Distanz seitens des Autoren zu spüren. Versuch, den Gründen für den sich abzeichnenden Verlust der Diskurshoheit der Linken nachzugehen.
„Wenn er ehrlich wäre, wo würde er sich positionieren?“
Büttner, selbst-reflexiv. Natürlich ist er auf der richtigen Seite in Sachen Klimawandel. Aber hat er eine eigene Meinung, einen eigenen Standpunkt dazu? Das scheint ihm sehr fraglich.
Definition von: in einer Blase leben. Schön herausgearbeitet, auch mit dem Fokus auf das Negative (wovon man sich abgrenzt). Das Positive, wofür man steht und warum, bleibt eher in der Grauzone.
Aus den Kretakapiteln nochmals eine Rückblende in die hochdepressive Vorferienzeit Kottenpeters
Ein wenig viel des Guten, dieses retardierende Moment, jetzt wo sich die Geschichte auf Kreta allmählich zuspitzt. Wir haben inzwischen verstanden, nach welchen Mustern die Depression Kottenpeters abläuft; wird hier aber nochmals durchexerziert, aus nicht ganz einsichtigen Gründen.
„Dohlen sei Dank kam er über den Winter.“
Rückblick in finstere Depressionszeit, als Rabenvögel Kottenpeter, ohnehin vogelaffin, Trost und Erhebung bieten. Eine Form der Ornitherapie, die der Geplagte bei seinen drei Lieblingsbäumen mit Arbotheraphie kombiniert.