Zitat & Kommentar

#25 25.10.2025
Ivo Andrić - Die Brücke über die Drina | Kommentarautor Moritz Th.

Die Brücke über die Drina > Die Brücke über die Drina_p. 136

Man sass dort wie auf einer Zauberschaukel: Gleichzeitig ging man auf der Erde, schwamm auf dem Wasser, flog durch den Raum und war dennoch fest und sicher verbunden mit der Stadt und seinem weissen Häuschen, dort am Ufer, mit seinem Garten und den Pflaumenbäumen ringsum.

Kommentar

Ivo Andrić beschreibt in seinem Roman detailliert die lange Entstehungsgeschichte der Brücke über die Drina im bosnischen Višegrad, die der Bevölkerung grosse Opfer abverlangte. Viele Leute stehen dem unbarmherzigen Regime der osmanischen Bauherren und dem Projekt zunächst ablehnend gegenüber. Später überwiegt einfach die Skepsis, ob diese Brücke, mit vielen Nebenbauplätzen und Hilfskonstruktionen, jemals fertiggestellt wird.
Als man aber 1578 tatsächlich nach sieben Baujahren zu Fuss von einem Ufer der Drina ans andere gelangt, nehmen die Einwohner die Brücke stolz in ihren Besitz. Das 180 Meter lange Bauwerk wird zu einem Ort des Austauschs, zu einem neuen Lebensraum, zu einem Teil der Landschaft, und als «Zauberschaukel» auch zu einem Ort der Transzendenz, der die Stadtbewohner «den Reichtum der Welt und die Unermesslichkeit der Gottesgaben» empfinden liess, wie es bei Andric heisst, der aber auch zeigt, wie die Brücke zum Schauplatz von grausamen Gewalttaten und Hinrichtungen wird, und wie sie im Laufe der Jahrhunderte Überschwemmungen, Bombardierungen und dem Zahn der Zeit widersteht. Physik und Metaphysik einer Brücke, die 2007 zum UNESCO-Weltkulturerbe deklariert wurde.

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