«Mangel ist mein Geschick»: Die Zeile findet sich in einem frühen Gedicht Robert Walsers, «Im Bureau», 1897/98 verfasst (s. unten). Es ist eines der ersten Gedichte überhaupt, das sich mit der Situation des Büro-Angestellten, des «Kommis», befasst.
Das Gedicht selbst weist aus formaler Sicht Mängel auf, Versschema und Reime sind höchst inkonsequent eingesetzt. Aber der Dichter vermehrt mit diesem Defizit nur unser Interesse am Gedicht. Geschickt, wie er den Mangel einsetzt.
In seiner Arbeitsexistenz erfährt der Kommis allerdings den Mangel als Schicksal, er muss hinnehmen, dass er auf der dunklen Seite lebt. Er setzt seine Bescheidenheit dagegen, die auch sein Wissen ist: Er durchschaut, welches Spiel gespielt wird. Der Mond aber «bleibt die Wunde der Nacht».
Robert Walsers Helden sind häufig «Mängelwesen»; sie phantasieren von (Liebes-)Abenteuern oder verlieren sich in Gedankenspielen. Sie imaginieren herbei, was ihnen fehlt, aber zugleich durchzieht die Wehmut des Wissens die Zeilen, dass eine Realisierung der Träume verwehrt bleibt. Die Helden akzeptieren den Mangel und zelebrieren ihn sogar, häufig mit überspitzt humoristisch-subversiver Note. Das Spielerisch-Leichte im Vordergrund geht einher mit einer scharfen Analyse der (gesellschaftlichen) Positionen im Hintergrund. Das macht den Reiz von vielen Gedichten und Prosastücken Walsers aus. Er schlägt aus dem Mangel seiner Helden grosses poetisches Kapital.
Kommentar
«Mangel ist mein Geschick»: Die Zeile findet sich in einem frühen Gedicht Robert Walsers, «Im Bureau», 1897/98 verfasst (s. unten). Es ist eines der ersten Gedichte überhaupt, das sich mit der Situation des Büro-Angestellten, des «Kommis», befasst.
Das Gedicht selbst weist aus formaler Sicht Mängel auf, Versschema und Reime sind höchst inkonsequent eingesetzt. Aber der Dichter vermehrt mit diesem Defizit nur unser Interesse am Gedicht. Geschickt, wie er den Mangel einsetzt.
In seiner Arbeitsexistenz erfährt der Kommis allerdings den Mangel als Schicksal, er muss hinnehmen, dass er auf der dunklen Seite lebt. Er setzt seine Bescheidenheit dagegen, die auch sein Wissen ist: Er durchschaut, welches Spiel gespielt wird. Der Mond aber «bleibt die Wunde der Nacht».
Robert Walsers Helden sind häufig «Mängelwesen»; sie phantasieren von (Liebes-)Abenteuern oder verlieren sich in Gedankenspielen. Sie imaginieren herbei, was ihnen fehlt, aber zugleich durchzieht die Wehmut des Wissens die Zeilen, dass eine Realisierung der Träume verwehrt bleibt. Die Helden akzeptieren den Mangel und zelebrieren ihn sogar, häufig mit überspitzt humoristisch-subversiver Note. Das Spielerisch-Leichte im Vordergrund geht einher mit einer scharfen Analyse der (gesellschaftlichen) Positionen im Hintergrund. Das macht den Reiz von vielen Gedichten und Prosastücken Walsers aus. Er schlägt aus dem Mangel seiner Helden grosses poetisches Kapital.
(Mit Dank an Hubert Th.)
Im Bureau
Der Mond sieht zu uns hinein,
er sieht mich als armen Commis
schmachten unter dem strengen Blick
meines Prinzipals,
ich kratze verlegen am Hals.
Nein, dauernden Lebenssonnenschein
hab ich noch nie gekannt, noch nie
so ganz. Mangel ist mein Geschick;
errötend kratzen zu müssen am Hals
unter dem Blick des Prinzipals.
Der Mond ist die Wunde der Nacht,
Blutstropfen sind alle Sterne.
Ob ich dem blühenden Glück auch ferne,
ich bin dafür bescheiden gemacht,
der Mond ist die Wunde der Nacht.