Kommentar

Zu deutsch: Was ich als Anthropologe jedoch sehr bewundert habe, ist die Fähigkeit Japans, sich in seinen modernsten Erscheinungsformen mit seiner fernsten Vergangenheit solidarisch zu fühlen. (Deepl)

Die Bewunderung, die Lévi-Strauss 1993 in einem Interview ausdrückt, kann der Japan-Reisende auch 30 Jahre später empfinden. Es gibt in Japan eine Kontinuität von vielerlei Dingen über die Jahrhunderte, die für den Westler viel zur Faszination des Inselstaates beitragen. Keramik, Teezeremonie, Stoffmuster, Höflichkeitsformen als Beispiele – die Traditionen reichen weit zurück in die Vergangenheit, und werden weitergepflegt. Zugleich aber ist Japan ein hypermodernes Land, das sich beständig wandelt und dem technischen Fortschritt huldigt.  Man hat im Tokyo des 21. Jahrhunderts aber nicht den Eindruck, als gebe es einen Bruch mit der Vergangenheit; es scheint eher so, dass überlieferte Formen und Muster für die Organisation des Lebens in der Mega-City herangezogen und adaptiert werden, sei das in den grossen Hotels, in den U-Bahnhöfen oder den Strassen der Grossstadt, die – bei aller Verwandtschaft mit westlicher Infrastruktur – von einer tradierten, spezifisch japanischen, zur Kleinteiligkeit neigenden Ästhetik dominiert werden.

Hat diese Kontinuität im Wandel, diese Dichte an über lange Zeit gepflegten Codes, diese «Solidarität mit der Vergangenheit» auch eine Kehrseite? Zum einen ist es für Nicht-Japaner bekanntlich sehr schwierig, in Japan heimisch zu werden. Und zum anderen kann der Konformitätsdruck für Japaner selbst zur Belastung werden. Für den europäischen Besucher aber, der weniger „solidarisch“ ist mit der eigenen Vergangenheit, ist Japan faszinierend.