Fremd zu sein, weckt Wendigkeit und Geistesschärfe. Wer fremd ist, gewinnt einen neuen Standpunkt, er wird, ob er will oder nicht, ein wahrer Weiser. Wer hat uns eingeredet, dass es gut und trefflich sei, stets und ständig dazuzugehören? Nur der Fremde versteht die Welt.
Kommentar
Wir suchen das Fremdsein zu vermeiden; wir wollen möglichst heimisch sein. Die Reisen in exotische Länder dienen uns zur Ergötzung und dann der Festigung unserer Identität. Die polnische Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk schlägt einen radikal anderen Weg ein. Die Worte legt sie zwar einer Roman-Figur in den Mund; aber Fremdsein ist auch ihr Programm als Autorin. Wenn man sich dem Anderen aussetzt, gewinnt man Erkenntnisse, man erfährt mehr über die Welt. Sie praktiziert ihre Poetologie in den «Jakobsbüchern», die sich auf mehr als 1000 Seiten der fremdartigen Sekte der Frankisten widmet, die im 18. Jahrhundert zwischen Judentum und Katholizismus oszillierte. Ein unfassbar reichhaltiger, wunderbarer Roman, der auch den Horizont des Lesers weitet, wenn er sich auf das Fremde einlässt. – Ebenfalls lesenswert sind Tokarczuks Essays «Übungen im Fremdsein» (LINK: Übungen im Fremdsein | Buchhandlung Labyrinth – (buchhandlung-labyrinth.ch) in denen sie ihre Poetologie erläutert, und sie zuweilen auch – mit durchaus kontroversen Standpunkten – ins Politische wendet.