Seit zwei Jahren schlage ich mich mit dem Gesindel, das bald Fritz, bald Max, bald Eli, bald Mama heisst, um Dich herum und kann es nie dahin bringen, dass Du einsiehst, ich gehöre zu einer anderen und besseren Art von Menschen, dass Du Dich zu mir hältst und vermeidest, was mich aufs tiefste kränken musste.
Kommentar
Im Frühsommer 1882 haben sich Sigmund Freud und Martha Bernays kennengelernt und sich sehr rasch heimlich verlobt. In den folgenden Jahren sind sie meistens räumlich getrennt. Anlass für einen umfassenden Briefwechsel, den der Fischer Verlag jetzt in einer vorzüglichen fünfbändigen Edition publiziert. Diese Form der Kommunikation liegt Sigmund mehr als Martha, die, meist mit Mama und Schwester Minna in einem Haushalt lebend, vielleicht auch weniger das Bedürfnis nach Austausch verspürt als der alleine lebende Freud. Sie ist eher mal kurz angebunden, während er sich und andere gern – analysiert. Das führt zu einem Ungleichgewicht und Auseinandersetzungen, vor allem auch weil Freud kompromisslos ist in seinem Besitzanspruch: er verlangt absolute Loyalität von seiner Braut und dass sie sich für ihn und gegen ihre Familie entscheidet. Er hatte sich bald verkracht mit Marthas Mama und auch ihrem Bruder Eli (der zu allem Überfluss Freuds Schwester ehelicht), die er in diesem Brief vom 27. Juli 1884 ohne mit der Wimper zu zucken als «Gesindel» bezeichnet. Martha bringt das in eine schwierige Lage; immerhin lebt sie mit ihrer Mutter zusammen.
Die psychoanalytisch geschulte Herausgeberin verweist in der Einleitung in Band 1 – natürlich, ist man versucht zu sagen – auf ein mögliches frühkindliches Trauma Freuds als Ursache für die Ausbrüche, die Martha Bernays mit der Zeit besser einzuschätzen und abzufangen lernt.
Der Briefwechsel bietet eine unterhaltsame Lektüre – jeder Netflix-Serie vorzuziehen. Er gibt auch Einblick in das Leben des jungen Wissenschaftlers. Freud erzählt von Patientinnen und Patienten, von Kollegen, seinen Forschungsmethoden und Befindlichkeiten, seinen mal progressiven, mal konservativen gesellschaftspolitischen Einstellungen.
Martha Bernays trägt das ihre zur vielseitigen Korrespondenz bei, die durch alle Konflikte und (auch ökonomischen) Sorgen hindurch eine stärker werdende Verbindung demonstriert, und durchaus auch heitere und leichtere Passagen aufweist. Drei Martha Bernays-Zitate zum Schluss:
“Du kommst mir vor wie jenes verzogene Baby, das immer mit zwei Löffeln zugleich gefüttert werden musste, kaum hatte es den Inhalt des einen Löffels vertilgt, so musste schon der andre ihm in das Mäulchen gesteckt werden, oder es erhob ein jämmerliches Geschrei.” (Band 2, p. 468)
Freud hatte nach mehr Briefen verlangt.
“Liebster, wir werden uns mit der Zeit so ans Schreiben gewöhnen, dass, wenn wir mal zusammenkommen, ich gewiss jede Unterhaltung statt mit einem Kuss mit der Nennung des Datums beginnen werde, was meinst Du?” (Band 2, p. 476)
“Geh, Du dummer Mann, weisst auch gar nichts bei all Deiner Gescheitheit.» (Band 3, p. 253)