Courting India
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Besprechung
Moritz T.
«On the streets of London, public interest in the entire story exploded in hundreds of ballads, libels, and rhymes.»
Kerker, Tod, Intrige, Scheidung, Heirat: Ingredienzen für einen shitstorm im London des frühen 16. Jahrhundert.
„’(…) and he to be a man sent immediately from our King, for that the title of a merchant is by them despised.'“
Die englischen Händler verzweifeln: sie versuchen sich am Hof des Mughals zu etablieren, aber sie werden ignoriert, währenddem die Portugiesen, die lange vor den Engländer Handel mit indischen Partnern betrieben, ihr Beziehungsnetzwerk gesponnen haben und gegen die Konkurrenz of «base people (…) in a little island» (p. 37/8) intrigieren. Erst der Hilferuf der East India Company bewog den englischen Königshof, diplomatische Beziehung mit dem Mughal aufzunehmen und Thomas Roe, die Hauptfigur dieses Buches, ins ferne Indien zu senden, um bessere Rahmenbedingungen für den Handel zu erzielen. Dem notorisch klammen James I. fällt die Zustimmung leicht: die East India Company kommt für die Kosten der Botschaft auf, und er kann bei einem Erfolg der Mission mit höheren Steuerträgen rechnen. Den Leitern der Company ist nicht ganz wohl bei dieser Verquickung von Wirtschaft und Hof – und Roe leidet dann unter dieser Konstellation.
Knight’s Move
Endlich geht es los – Roe auf dem Weg nach Indien. Eine lange Seereise voller Entbehrungen und Gefahren: nur drei von zehn Matrosen kehrten lebend von solchen Expeditionen zurück. Die Ratten an Bord griffen nicht nur die Vorräte an, sondern gelegentlich auch die schlafenden Männer. Nach der Ankunft geht es für Roe darum, seiner Rolle als ambassador eines mächtigen Königs gerecht zu werden. Er provoziert einen Konflikt mit der indischen Zollbehörde: er will nicht, dass sein Gepäck durchsucht wird. Er setzt sich halbwegs durch – und damit auch ab von früheren „ambassadors“, die nichts anderes waren als merchants (ohne offizielle-königliche Befugnis), und damit das standing des englischen Königreichs in Mitleidenschaft gezogen hatten.
“The letter that Roe sent him on 17 January 1616 (…) would only reach Carew on 18 September 1616.”
Interkontinentale Korrespondenz zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Gefahr, dass ein Brief verloren geht oder in falsche Hände gerät, ist gross. Das beeinflusst natürlich, wie Neuigkeiten, die bei der Ankunft schon keine mehr sind, ausgetauscht werden.
Baburnama, Buch des ersten Mughal-Herrschers in Indien, beschreibt sein neues Imperium
„How you saw the effect of travel, it seemed, depended on whether you saw yourself as the translator or the translated.
In Ajmer, Roe was doing his best to resist translation.”
Reisen bringt die Gefahr eines Identitätsverlusts (oder, vorsichtiger formuliert, Wandels der Identität) mit sich. Viele Tagesreisen von der heimischen Umgebung entfernt, stellte sich die Frage im 17. Jahrhundert akuter als heute. Roe, seiner Rolle als ambassador bewusst, hält an englischen Gewohnheiten fest, bis hin zu der in der indischen Sommerhitze nicht ganz angemessenen englischen Kleidung. – Translate (der Ausdruck geht auf Shakespeare’s Midsummer Nights Dream zurück, vgl die Referenz p. 157) or be translated – entscheidende Frage zu Beginn der Kolonialzeit. Akklimatisation, das Annehmen von lokalen Gewohnheiten mag vielleicht den Austausch mit dem Mughal-Hof befördern, aber Roe scheint grosses Gewicht darauf zu legen, das Eigene zu bewahren.
„He was very close to recommending that the English give up trade and resort to much more profitable piracy.“
Der Botschafter verzweifelt: die Position der East India Company bleibt prekär, kaum Fortschritte im Handel mit dem Indien der Mughals. Piraterie als valable Alternative, einfach eine andere Form des Handels.
The Wager
Wein und Kunst verschaffen dem Botschafter endlich einen besseren Zugang zum Mughal Jahangir. Der Wein kippt zwar bereits ins Säuerliche, aber die Geschenk-Geste Roes wird am Hof offenbar honoriert. Der Herrscher fragt nach einem Künstler im Haus des Botschafters, von dem er gehört hat. Roe nimmt den jungen Händler und Amateurmaler Robert Hughes zu einem Treffen mit dem Mughal mit, aber er sichert sich ab mit einem kleinen Gemälde des Miniaturisten Isaac Oliver, das er Jahangir schenkt. Das Bild gefällt dem Mughal, und er bietet Roe eine Wette an: Seine Hofkünstler werden eine Kopie des Gemäldes erstellen, und Roe wird nicht in der Lage sein, Original und Kopie zu unterscheiden. Die Mughals unterhalten ein eigenes Hof-Studio mit herausragenden Malern, und sie legen grossen Wert auf Kunst. – Kunst als Möglichkeit, sich über die Welt zu verständigen, hier auf hohem diplomatischem Niveau. Für Roe bedeutet die Episode einen Durchbruch, wenn nicht zu den inneren Zirkeln des Hofes, dann doch zu einem intensiveren Austausch mit Jahangir.
Sunnitische – schiitische Spannungen
Mughals sind Sunniten, Persien schiitisch. Krieg der Mughals gg Deccan / Südindien, kontrolliert durch Schiiten.
Muslim und Hindus? Bislang kein grosses Thema
Lashkar
Die Armee der Mughals on the move. Eine Maschinerie, die ihresgleichen sucht, und die auf jahrzehntelange Erfahrung der Mughals zurückgreift; schliesslich waren die Vorfahren Jahangirs (mächtige) Nomaden. Unzählige Elefanten und Kamele transportieren Menschen und Material, das sich innert kurzer Zeit zu einer ganzen Zeltstadt formen lässt, mit den feudalen ambulanten Häusern des Herrschers in der Mitte, und der immergleichen Anordnung, so dass sich die Bewohner immer sofort zurechtfinden, egal wo die Stadt aufgebaut wird. Wer in der Nähe des Mughals sein Zelt aufschlagen kann, ist in der Hierarchie des Hofes weit oben. Ambassador Roe siedelt an den outskirts. – Farbenfrohe, unterhaltsame Schilderung dieses Spektakels, das von den europäischen Augenzeugen Bewunderung oder mindestens Respekt für die Organisation und Effizienz erheischt. Die Funktion des Kapitels im Erzählzusammenhang bleibt ein wenig unklar; es ist zur Genüge geschildert worden, über welche Reichtümer und Organisationskraft der Mughal-Hof verfügt.
«(…) an atheist (…)»
Jahangirs religiöse Offenheit irritiert den jungen Chaplain Terry, der Roe im Auftrag der East India Company aufsucht, mit lang ersehnten Geschenken, die der Mughal dann aber in corpore quasi beschlagnahmt (und wenig schätzt). Terry tut sich schwer, Jahangir einzuordnen. Toleranz für verschiedene Religion ist ein kaum verständliches Konzept, wenn nur eine Religion das Himmelreich garantiert.
„The business of the English Ambassador had become a minor pawn in the high stakes game of Shatranj, Indo-Persian chess, that was splitting Jahangir’s household apart.“
Die Rückkehr von Khurram, Sohnes des Herrschers, an den Mughal-Hof, nach siegreichem Feldzug gegen die Deccan kings, scheint zunächst den Einfluss von Roe weiter zu schmälern. Khurram erhält den Namen Shah Jahan (Herrscher der Welt) und ist designierter Nachfolger seines Vaters; Roe steht nicht in seiner Gunst. Dann aber protegiert überraschenderweise die Frau des Mughals, Nur Jahan, den englischen Handel in Surat. Die Autorin Nandini Das unterstellt Roe aufgrund der verfügbaren Quellen, dass er über die Motive der Herrschersgattin wohl nicht im Bilde war, die gemäss Das ihre Position gegen Shah Jahan stärken will.
„(…) we know that nothing particularly significant emerged from Roe’s embassy. Yet if there is one thing that following Roe in India illuminates, it is the messiness of human experience and memory. It is a reminder of how contact and interchange between cultures can happen often almost despite itself.“
Fazit der Autorin