
das denken ist beim malen das malen
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Besprechung
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«Als man den Maler damals fragte, wie er verstanden werden wollte, antwortete er halb selbstironisch: ‘Vielleicht doch als Hüter der Tradition. Das ist mir dann lieber als alle sonstigen Missverständnisse.’»
2002, 70. Geburtstag Richters.
«’Das Malen ist das einzig Positive, das ich habe. Selbst wenn ich alles andere noch so negativ sehe, kann ich wenigstens in den Bildern eine Art Hoffnung weitergeben. Wenigstens kann ich weitermachen.’»
Wenigstens kann ich weitermachen. Wenigstens kann ich arbeiten, anknüpfen, weitergeben. Kunst als Inbegriff der Hoffnung, der sinnstiftenden Tätigkeit.
Sehr reduzierter Begriff der Kunsttätigkeit. Weitermachen. Aber eben befrachtet mit der ganzen Tradition.
«Unmittelbare Reaktionen auf das, was er in Düsseldorf hätte wahrnehmen können, lassen sich nicht beobachten.»
Nach der Emigration in den Westen findet sich Richter in einem bewegten kulturellen Umfeld wieder, das Zweite hier skizziert, von der «Blechtrommel» bis zu den Rolling Stones. Die verfügbaren Quellen geben aber wenig Aufschluss darüber, was Richter besonders geprägt hat. Einmal schreibt Richter in einem Brief: «Es gäbe so viel zu berichten. Von der Kunst, von den Realisten u. von den Abstrakten, vom Westen und vom Osten (…)» (p. 21), aber er tut es in nur sehr begrenztem Masse, zur spürbaren Frustration des Biographen.
«Die Sinn- und Wirkungslosigkeit einer direkten Aussage ist zu augenscheinlich. Mir wurde die Lächerlichkeit meiner gegenständlichen Arbeiten klar. (…) Malen, das ist Demonstration gegen die Verzweiflung, gegen die Leere, das Chaos…»
Dann doch ein «aufschlussreicher» Brief aus jener Zeit Anfang der 1960er Jahre.
«Für Richter brachte die Auseinandersetzung mit Fluxus die Befreiung.»
Auflösung der Grenzen von Kunst und Leben. Beuys-Einfluss.
«Überspitzt könnte man sagen, dass wir es im übertragenen Sinn mit einem Gefangenen zu tun haben, der allerdings seine mentale Fesselung bzw. ideologische Fixierung, wie sie sich in Habit und Haltung verkörpern, nicht reflektiert und möglicherweise, wie die meisten Menschen im dritten Reich, dazu auch gar nicht willens/oder in der Lage war.»
Gemälde nach eine Foto aus dem Album der Familie, das Richters Onkel Rudi zeigt, der «Liebling der Familie». – Was hier «überspitzt und im übertragenen Sinne» formuliert wird, wirkt ein wenig beliebig. Richter bezeichnete Onkel Rudi als «Liebling der Familie», der offenbar den Vorzug vor seinem Vater erhielt. Spielte das eine Rolle bei der Wahl des Motivs?
Kapitel 2 «Das Denken ist beim Malen das Malen»
Eine interessante Zwischenbemerkung, der einen Grundsatz der Ästhetik Richters aufgreift. Autonomie des Malens, jenseits aller konzeptionellen Vorstellungen, die beim Beginn eines Gemäldes den Künstler beschäftigen mögen. Zentral ist aber nicht nur der sich verselbständigende Malprozess, sondern das Innehalten, das Sehen – eine Arbeit, die prinzipiell auch der Kunstbetrachter leisten muss, von daher die interessante, von Richter propagierte Gleichstellung von Produzent und Konsument. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Künstler entscheiden kann/muss, wie und ob der Mal-Prozess fortgesetzt wird. – Zweite skizzierte eine prekäre Position des (jungen) Künstlers zwischen Avantgarde, die durchaus mit gesellschaftspolitisch subversiv aufgeladenen Momenten spielt, und Affirmation. Der Balanceakt ist aufgegangen, könnte man retrospektiv argumentieren, Richter hat sich nicht vereinnahmen lassen. Dazu beigetragen hat bestimmt auch die schwer zu fassende Heterogenität schon in seinem frühen Schaffen.
«’Es darf keine vorweg gefasste Idee dabei sein, das Bild ist jedes Mal ein Abenteuer (…) Was schliesslich dabei herauskommt, ist das Ergebnis verworfener Funde.’»
Autonomie der Malerei, die keines gedanklichen Vor- oder Überbaus bedarf. Oder vielleicht doch, aber nur mit dem Ziel, ihn abzuschütteln. Zitat Braques, in dessen Tradition Zweite Richter hier sieht.
«’Das jeweilige Bild soll sich also aus einer malerischen oder visuellen Logik entwickeln, sich wie zwangsläufig ergeben. (…) Sicherlich ist das auch eine Methode, um die unbewussten Leistungen einzusetzen, soweit wie möglich. – Ich möchte ja gern etwas Interessanteres erhalten als das, was ich mir ausdenken kann.’»
Richter 1990. Zwangsläufig ist ein starkes Wort. Der Prozess soll wohl nicht dem bewussten gestalterischen Willen unterworfen werden.
«’Das Sehen ist ja auch der entscheidende Akt, der letztlich den Produzenten und den Betrachter gleichstellt.’»
Das Sehen im Prozess des Schöpfens ist entscheidend. Um zu sehen, was verworfen werden soll, und was nicht. Und dieser Prozess des Sehens kann prinzipiell auch der Betrachter durchlaufen, wenn natürlich auch nur vom Endergebnis her.
zu den Farbtafeln
Die (stark auf Adorno rekurrierende) Kunsttheorie tat sich schwer mit den Farbtafeln. Zweite referiert hier diverse Positionen, die Mittel und mögliche Intentionen in den Vordergrund rücken, dafür tendenziell die ästhetische Erfahrung, das Schauen, vernachlässigen. Das lässt sich nicht so leicht durchzuhalten, wenn man das Kölner Domfenster (Abb. 94) betrachtet, worauf Zweite hier hinweist.
«’Grau ist für mich die willkommene und einzig mögliche Entsprechung zu Indifferenz, Aussageverweigerung, Meinungslosigkeit, Gestaltlosigkeit. Weil aber Grau, genau wie Gestaltlosigkeit und so fort, nur als Idee wirklich sein kann, kann ich auch nur einen Farbton herstellen, der Grau meint, aber nicht ist. Das Bild ist dann die Mischung von Grau als Fiktion und Grau als sichtbar proportionierter Farbfläche.’»
Richter zu seinen Grau-Bildern, die wiederum für Irritation bei den zeitgenössischen Kunstkritikern sorgten. Zweite bringt die Position in Verbindung mit einem beckettschen Nihilismus (p. 108)
Kapitel „Atlas“
Zweite unterstreicht die zentrale Bedeutung des Atlas im Werk Richters. Die Sorgfalt, mit der hier viele nichts-sagende Fotos katalogisiert und dann in einer bibliophilen Ausgabe quasi wortlos dargeboten werden, wirkt irritierend. Aber sie regen zum Nachdenken an, über Vergänglichkeit, den Moment, die Kunst.
Banalität, Vermeidung des ‘Punctum’, Betonung des ‘Contre-Souvenirs’, das ist es, was Richter im Foto sieht.
Das führt zum Paradox des Atlas: wunderbar in einer bibliographischen Ausgabe aufbereitet, entziehen sich die Fotos möglichst einer ästhetischen Verwertung.
„Was ‘Acht Grau’ ermöglicht, ist eine subtile ästhetische Erfahrung, die sich mit der Selbsterfahrung des Betrachters unauflösbar verschränkt. Grau, so muss man konstatieren, hat in der Vorstellung des Künstlers schliesslich einen Wandel durchlaufen und steht nicht mehr ausschliesslich für Indifferenz und Ausgwegslosigkeit, sondern in diesem Fall für Makellosigkeit und Schönheit. Die Schönheit von ‘Acht Grau’ ist aber keine einzelne, abhebbare Eigenschaft der Installation, sondern etwas, das hervortritt und sich ereignet.“
Der Autor gerät ins Schwärmen. «Acht Grau» sind acht graue, grosse, verstellbare Spiegel, die Ende 2002 in Deutschen Guggenheim Berlin installiert wurden. Die Abbildung auf p. 197 kann keine rechte Vorstellung der Installation vermitteln, die eine andere Interpretin ganz anders las als Zweite, nämlich als «nihilistische Melancholie», die die Kunst insgesamt preisgibt (p. 175). – Ein Kunstwerk, das Emotionen hervorruft, soviel scheint sicher.
«’Und oft bin ich verblüfft, wie viel besser der Zufall ist als ich.’»
Komposition der Farbvierecke für den Kölner Dom. Da mag noch eine Spur Koketterie mitschwingen, aber es ist beeindruckend und einleuchtend, wie Richter den Zufall für seine Kunst instrumentalisiert. Wie er daran geht und sich darüber Gedanken macht, zeugt von der ungeheuren Spannkraft, die seine Kunst ausmacht.
«Historisch betrachtet ist davon auszugehen, dass die vor dem Motiv entstandenen Werke Cézannes einen ultimativen Höhepunkt europäischer Landschaftsmalerei darstellen und vielleicht in gewisser Hinsicht sogar ihr Ende.»
In welcher Hinsicht? Hat Cézanne die Landschaft als Motiv erschöpft? Es bleibt bei dieser Behauptung. Dass sich bei Kandinsky und anderen die Landschaftsmotive ins Abstrakte verflüchtigen, ist kaum ein Beleg.