Die Cultur der Renaissance in Italien
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Besprechung
Moritz T.
«Es ist die wesentlichste Schwierigkeit der Culturgeschichte, dass sie ein grosses geistiges Continuum in einzelne scheinbar oft willkürliche Categorien zerlegen muss, um es nur irgendwie zur Darstellung zu bringen.»
Satz mit erheblichen Implikationen, die leider hier nicht weiter entfaltet werden.
Aus der sehr knapp bemessenen «Vorbemerkung»; B. stürzt sich dann sofort in medias res und die «politischen Zustände im XIII. Jahrh.». Gern hätte man mehr erfahren über Methodik und auch die Zielsetzung des Buches; und inwieweit die «Categorien» eben nur scheinbar «willkürlich» sind, und die «wesentlichste Schwierigkeit» überwunden wird.
B. ist sich bewusst, dass jede (kultur-) historische Darlegung von selektiven Prämissen ausgeht und darum auch zu relativieren ist. Zugleich ist er in seinen Urteilen pointiert und zupackend; das macht einen wesentlichen Reiz seiner Arbeit aus.
Der Staat als Kunstwerk
Die italienischen Fürstentümer in beständigem Kampf, was für ein Rundumschlag: Gewalt, Korruption, Gier, Mord (gern innerhalb der Familie) soweit das Auge reicht, ein Reigen der Brutalität und Niedertracht, grosszügig aus vielerlei Quellen geschöpft, souverän (auch im negativen Sinne) im Zugreifen und Urteilen. Von weitem kommt einem der Mordreigen in Bolanos „2666“ in den Sinn…
«(…) mit jener quälerischen und grausamen Art, ohne welche man dem Orientalen freilich kein Geld aus den Händen bringt.»
Steuer eintreiben unter Friedrich II., Beispiel einer politisch unkorrekten Formulierung…
«Das Unheimliche und Gottverlassene dieser Existenz bekam in den Gedanken der Zeitgenossen noch eine besondere Farbe durch den notorischen Sternglauben und Unglauben mancher Herrscher.»
Tyrannen im Oberitalien des 14. Jahrhunderts. Inwieweit spielt diese Farbe für die Opfer von Mord und Schandtaten eine Rolle…?
Die Bastarde
Im Italien des 15. Jahrhunderts waren häufig «Bastarde» an die Macht, Söhne der Herrscher, die nicht aus einer Ehe hervorgingen. Geringes Gewicht der «legitimen» Erbfolge, Talent und – vermutlich – Skrupellosigkeit wichtiger.
«(…) in Simonetto fanden sie noch das Trotzigkühne, als hätte ihn selbst der Tod nicht gebändigt.»
Burckhardt berichtet von den Usurpationskämpfen um 1500 in Perugia; die Opfer werden von Zeitgenossen (übernommen vermutlich aus der Cronaca del Matarazzo, keine eindeutige Quellenangabe für diese Stelle) glorifiziert, der Autor referiert hier diese Perspektive.
«Schon die echten Spanier treten in Italien fast immer entartet auf, vollends aber zeigt der Ausgang dieses Marranenhauses (1494 und 1503) einen augenscheinlichen Mangel an Race.»
Über Alfonso Herzog von Calabrien und sein Haus. Da wird viel vorausgesetzt. Was bedeutet «entartet», was heisst «Race» zu haben bzw. eben nicht? Sind Marranen (konvertierte Juden) keine echten Spanier? Hier werden keine Quellen referiert, das scheint Burckhardts Urteil zu sein.
«(…) dass die Soldaten sich niemals eigenmächtig am Bürger und Landsmann erholen durften (…)»
erholen, mit einer ursprünglicheren Bedeutung
Florenz als erster moderner Staat der Welt
Überraschende Rolle der Statistik (p. 57), Begeisterung für diese Epoche von Florenz, aber auch für die Geschichtsschreibung der Florentiner (p. 58) und insbesondere Machiavellis (p. 60)
«(…) sie erscheinen, trotz den schwersten Irrtümern, als geborene Statistiker.»
Über die italienischen Regierungen, im Unterschiede zu den «nordischen Zeitgenossen», die ihre Untertanen und Nachbaren weniger genau ins Auge fassen. Man kann diese Herrscher zu überzeugen versuchen, «d.h. durch thatsächliche Gründe zu bestimmen hoffen.»
«In Italien gab es zuerst eine Wissenschaft und Kunst des (…) Kriegswesens.»
Burckhardt redet von der «neutralen Freude an der correcten Kriegführung»; von einem quasi ästhetischen Genuss.
Brutalität der Spanier
… zurückzuführen «vielleicht» «auf ein nicht abendländischen Zusatz des Geblüts»; Rassismus in Reinform.
«Mit Ausgang des XIII. Jahrhunderts aber beginnt Italien plötzlich von Persönlichkeiten zu wimmeln; der Bann, welcher auf dem Individualismus gelegen, ist hier völlig gebrochen; schrankenlos specialisieren sich tausend einzelne Gesichter.»
Zuvor hat sich der Mensch als Teil einer Gruppe begriffen. B. führt dann Dante an, der im Norden nicht möglich gewesen wäre, «Fülle des Individuellen». Keine Scheu mehr, «anders zu sein und zu scheinen als die anderen» p. 93. Interessante These, aber… woher kommt diese Entwicklung? Wie muss man sich das Lebensgefühl davor vorstellen?
Dante – der Wille zum Werk als Ausweis eines Individuums, einer Persönlichkeit, p. 96
Leon Battista Alberti
uomo universale, wird von B. in sehr hohen Tönen gelobt. Kaum Distanz, Relativierung. Hübsch:
«(…) wenn er krank war, hat ihn der Anblick einer schönen Gegend gesund gemacht.» p.99
Die Landschaft als Heilmittel. Die Wahrnehmung der Landschaft… in der Kunst erst allmählich ein Thema.
Spott, Parodie, Witz, Humor, Satire, Hohn
Nur möglich, wo sich Persönlichkeiten zeigen/exponieren. Ab p. 107
Pietro Aretino, grösster Lästerer, der sich sein Schweigen bezahlen lässt. p. 115
«Aretino ist Journalist in dem Sinne, dass er einen permanenten Anlass des Publicierens in sich hatte.» Fussnote p. 115
Könnte man nicht sagen: es bildete sich ein öffentlicher Raum, in dem kommuniziert wurde, in der sich dann auch eine gewisse Dynamik entfalten konnte?
«Federigo von Urbino ‘hätte sich geschämt’ ein gedrucktes Buch zu besitzen.»
Bibliophilie im 15. Jahrhundert, als der Buchdruck noch neumodisch war… Altertümer und Bücher zentral in der Überlieferung der Antike. Bibliotheken als Prestigeangelegenheit.
«Blitzschnell gehen sie von wissenschaftlichen Gründen zur Invective und zur bodenlosen Lästerung über (…)»
Die Humanisten kommen bei B. nicht gut weg…
«Die Italiener sind die frühesten unter den Modernen, welche die Gestalt der Landschaft als etwas mehr oder weniger Schönes wahrgenommen und genossen haben.»
Nach dem Abschnitt über die fremden Tiere wendet sich B. der Landschaft zu; s. auch die Bemerkung zu Alberti, p. 99. Exkurs zu den Griechen und den Germanen und deren Landschaftsbegriff.
s. auch die Fussnote zum Kosmos von Humboldt.
«Aber die festen Beweise für eine tiefere Wirkung grosser landschaftlicher Anblicke auf das Gemüth beginnen mit Dante.» p.201
wie (bei B.) fast alles bei Dante beginnt… Petrarca aber als eigentlicher Landschaftsdichter (202)
Die Weite des Blicks nimmt einen doch sehr für B. ein.
«Mit dem XV. Jahrhundert rauben dann auf einmal die grossen Meister der flandrischen Schule, Hubert und Johann van Eyck, der Natur ihr Bild.»
Merkwürdige Formulierung. – Für den Norden vermutet B. einen Vorsprung der bildenden Kunst gegenüber Poesie und Bildung, in der Herausbildung eines Landschaftsbegriffs, respektive der «Entdeckung der Welt»; in Italien dagegen ist Dante ein Pionier, dem erst viel später analoges in Skulptur und Malerei folgt. (s. Fussnote p. 212)
«Warum haben aber die Italiener der Renaissance in der Tragödie nur Untergeordnetes geleistet?»
Italien in der Literatur und in der Staatskunst und überhaupt als Kulturnation führend in Europa; B. sucht nun in einer Rundschau nach Gründen, warum diese Führungsrolle sich nicht auch in anderen Künsten niederschlägt. Beeindruckend die Breite des Zugriffs, aber es bleibt doch bei einer kursorischen Abhandlung, und im Zweifelsfall bei der Begründung, dass die Gegenreformation die Entwicklung der Künste gebremst habe. Vielleicht ist aber einfach auch diese Fragestellung wenig ergiebig, oder die möglichen Gründe noch komplexer und zufälliger, als B.s strukturell weit angelegter Ansatz hergibt.
«Anders verhält es sich allerdings mit Neapel, welches durch die strengere Ausscheidung und die Pompsucht seine Adels mehr als aus irgend einem anderen Grunde von der geistigen Bewegung der Renaissance abgeschnitten blieb.»
Durchlässigkeit der Elite als Bedingung für die Renaissance; Bildung und Reichtum kann gegenüber dem Adel Einfluss erwirken. Neapel als Ausnahme.
«Die Idealfarbe aber, welche man den eigenen, wie in den aufgesetzten Haaren zu erreichen bestrebte, war blond.»
Die Sonne, so vermutete man, hat die Kraft die Haare zu blondieren; «(…) so gab es Damen, die den ganzen Tag nicht aus der Sonne gingen.» Allerdings gab es auch für den Teint eine Idealfarbe, und die war wohl eher nicht sonnengebräunt…
Die italienische Sprache
Die italienische Sprache als «wichtigstes Capital der Nation», p. 257, und als Voraussetzung der Entwicklung einer «höheren Geselligkeit» p. 255
«Da die Bewirthung dabei Nebensache war, konnte man stumpfe und gefrässige Individuen ohne Schwierigkeit fern halten.»
Geselligkeit, bei der die Kunst der Konversation im Vordergrund stand. Solche Sätze machen den Charme B.s aus und befremden zugleich, zumal er hier ohne spezifischen Quellennachweis auskommt: B. gibt sich als quasi-Zeitgenosse aus.
„Zum Verständnis der höheren Geselligkeit der Renaissance ist endlich wesentlich zu wissen, dass das Weib dem Manne gleich geachtet wurde.“
Das drückt sich aber vor allem aus in einer gleichberechtigten Bildung, im Umgang mit den Künsten.
«Festwesen», Allegorien, Mysterien, Pantominen…
Erschöpft sich bisweilen in Aufzählungen überlieferter Anlässe, ohne sie in erhellenden Zusammenhang zu stellen.
«Immerhin aber fand Italien um den Anfang des XVI. Jahrhunderts sich in einer schwere sittlichen Crisis, aus welcher die Besseren kaum einen Ausweg hofften.»
B. zitiert Machiavelli, der den Italienern unterstellt, «irreligiös und böse» zu sein, nicht zuletzt weil die Würdenträger der Kirche mit schlechtem Beispiel vorangehen (p. 274). In der Desorientierung macht B. das «Ehrgefühl» als wichtige Richtschnur aus, überhaupt für den modernen Europäer, eine «räthselhafte Mischung aus Gewissen und Selbstsucht» (p. 293). Ist das Burckhardts eigene Definition? Ein Freipass mit gewissen Leitplanken. – Grossartige Passage…
«(Die Phantasie) vor allem verleiht seinen Tugenden und Fehlern ihre besondere Farbe; unter ihrer Herrschaft gewinnt seine entfesselte Selbstsucht erst ihre volle Furchtbarkeit.»
Etwas überraschend identifiziert B. die Spielsucht als Symptom oder Resultat der Phantasie (die die möglichen Gewinne lebhaft vorgaukelt), «In der Folge wurde bekanntlich Italien die Heimath des Lotteriewesens.»; dann auch die Rachsucht, die am Ursprung der der Vendetten steht. Interessante und originelle Überlegung, die aber nicht sonderlich zwingend scheint: Kann Rachsucht nicht auch gerade Symptom eines Mangels an Phantasie sein?
B. relativiert seine Behauptungen:
«Es ist überhaupt ganz besonders schwer, über die Sphären des Gemüthes bei anderen Nationen zu urteilen.» (p. 298)
Weiterhin zeigt sich die Phantasie «im unerlaubten Verkehr der beiden Geschlechter.» p. 299
«Auch sank die Race deshalb weder physisch noch geistig (…)»
Was man angesichts der vielen ausserehelichen Beziehungen erwartet hätte…? Uns befremdendes Verständnis, das vermutlich aber im 19. Jahrhundert unhinterfragte Basis für solche Urteile war.
«Die Phantasie, welche dieses Volk mehr als ein anderes beherrscht, ist dann überhaupt eine allgemeine Ursache davon, dass jede Leidenschaft in ihrem Verlauf überaus heftig und je nach Umständen verbrecherisch in den Mitteln wird.»
Das hat man dann von der Phantasie an der Macht…
Neapel, traditionell gefährliches Pflaster
Landesüblich, dass Hirten Fremde ausrauben und ermorden; gedungene Mörder.
«Der Italiener der Renaissance aber hatte das erste gewaltige Daherwogen dieses neuen Weltalters zu bestehen. (…) neben tiefer Verworfenheit entwickelt sich die edelste Harmonie des Persönlichen und eine glorreiche Kunst (…)»
Weltalter des «entwickelten Individuums, das uns alle seither prägt. B. bezeichnet die Entwicklung «weder als gut noch böse, sondern nothwendig.»
«Die Bewegungen des Geistes, ihr plötzliches Aufblitzen, ihre Verbreitung, ihr Innehalten sind und bleiben unsern Augen wenigstens insoweit ein Räthsel, als wir von den dabei thätigen Kräften immer nur diese und jene, aber niemals alle kennen.»
Warum gab es keine Reformation in Italien? Darüber kann man spekulieren, aber man muss auch akzeptieren, dass unsere Erkenntnis beschränkt ist.
«Im übrigen Europa dagegen bleibt die Religion noch länger ein objectiv Gegebenes und im Leben wechselt Selbstsucht und Sinnengenuss unmittelbar mit Andacht und Busse; letztere hat noch keine geistige Concurrenz wie in Italien (…).»
Interessante Formulierungen: «objectiv Gegebenes» meint wohl: Unbestritten, auch unbestreitbar. Und die Idee der Konkurrenz: die Angebote im Geistigen werden vielfältiger, das Monopol der Religion wankt; und damit wohl auch der unbedingte Glaube. Könnte man nicht postulieren, dass auch zuvor schon die geistigen Interessengebiete vielfältiger waren, sie die Religion aber noch unter einen Hut zu bringen vermochte?
Natürlich könnte man auch die strikte Dichotomie Sinnenwelt und Geistiges in Frage stellen. B. setzt vieles voraus; aber es wirkt meist originell und anregend.
«Das Verhältnis der Vorsehung zur menschlichen Freiheit und Nothwendigkeit.»
Gemäss B. «centrale Frage», die die Menschen in der Renaissance (und nicht nur dort) umtreibt, und Ansatzpunkt zu kritischen Fragen zur Religion.
«Die Bewunderung der historischen Grösse absorbierte Alles.»
Die Orientierung an der Antike drängte auch das Christentum in den Hintergrund.
«Die Päpste bekennen sich grossentheils offen zur Sternbefragung (…)»
Grosser Einfluss der Astrologie, bis ins Zentrum der christlichen Religion.
«Hier berühren sich Anklänge der mittelalterlichen Mystik mit platonischen Lehren und mit einem eigenthümlichen modernen Geiste. Vielleicht reifte hier eine höchste Frucht jener Erkenntniss der Welt und des Menschen, um derentwillen allein schon die Renaissance von Italien die Führerin unseres Weltalters heissen muss.»
Schluss. Nach der grossartigen, ausführlichen Auslegeordnung in seiner absoluten Kürze ein sehr lakonisches Resumé, nicht ohne eine gewisse Komik in den Werkproportionen… Soll der «Versuch» des Untertitels dieses Offene, vielleicht auch das Unabgeschlossene legitimieren? Das Buch wirkt aber gerade mit dieser nicht näher definierten Horizontlinie sehr modern; viel Raum für eigene Schlussfolgerungen.