
Dream Count
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Besprechung
ALLE BESPRECHUNGENAnmerkungen zu einzelnen Stellen
“(…) because it was during lockdown that I began to sift through my life and give names to things long unnamed.”
Ursprüngliche Motivation des Erzählens.
“’Okay, that’s patronizing classist shit.’”
Die Dialoge zwischen Chiamaka und ihrem Partner Darnell laufen oft nach dem selben Muster ab: Darnell spielt die Klassen-Karte, die sämtliche möglichen Argumente Chiamakas aussticht. Chiamaka stammt aus einer wohlhabenden nigerianischen Familie, Darnell ist ein Afro-Amerikaner, der sich zur akademischen Linken zählt. Hier geht es darum, dass Darnell es unmöglich findet, dass Chiamaka in Paris den Cocktail Mimosa bestellt. Chiamaka verteidigt sich: sie müsse doch nicht bestellen, was er in Paris für angemessen halte, nur damit er eine anwesende Französin beeindrucken könne. Darauf dann die oben zitierte Antwort Darnells, auf die sich Chiamaka (und der Leser) keinen Reim machen kann. – Entscheidend ist natürlich am Ende, dass Chiamaka emotional von Darnell abhängig ist. Eine rational geführte Diskussion ist so nicht möglich. – Für Chiamaka ist jetzt das Mass voll und sie bringt die Energie auf, Darnell zu verlassen.
“It might have sounded cruel, but it wasn’t; it was only being benignly blunt, as Nigerians are wont.”
Die 44-jährige Chiamaka erhält kurz vor ihrer Abreise nach Amerika im heimischen nigerianischen Dorf Besuch ihrer Tante Jane, die ihr erklärt, dass sie jetzt handeln und Mutter werden müsse, zur Not auch mit einer Samenspende. Sonst sei es zu spät. Klare Ansage.
“He read books I did not think of as real books, about leadership and project management.”
Chiamakas Partner Chuka ist in vielen Bereichen anders, “each day with Chuka I encountered his otherness”. Sie ist auch irritiert, wie viel wert er auf Marken legt: „His was a life of faith in trusted brands.“
“A soft underbelly of cynicism ran through her word.”
Chiamaka im Gespräch mit einer Verlags-Redaktorin, die bei aller Liebenswürdigkeit knallharte Marketing-Prioritäten geltend macht.
“’The problem is that many of these White people don’t think we also dream.’”
Chuka überrascht Chiamaka einmal mehr mit einer Einsicht, über einen unterschwelligen, sich in Empathie tarnenden Rassismus, der davon ausgeht, dass das Leben der Schwarzen ein Kampf sein muss.
Kapitel Zikora
Als Zikoras Partner erfährt, dass sie schwanger ist, verlässt er sie. Fokus auf Zikoras Scham und Wut. Zikora bringt einen Knaben zur Welt, ihre Mutter steht ihr bei. Das Verhältnis von Mutter und Tochter ändert sich, schöne Beschreibung dieser neuen Nähe.
Wir sehen die eine oder andere Szene jetzt aus Zikoras Sicht, über die wir schon im Chiamaka gewidmeten Kapitel gelesen haben.
Zikora felt a bifurcation of self, two parts of her existing in parallel. At work she was meticulous, skeptical, reading everything twice and asking questions, but with men she blundered ahead, wanting to believe whatever she was told.
Hübsche Formel, die aber plusminus auch auf Chiamaka zutrifft, und den Leser allmählich etwas ermüdet. Stets im Hinter- oder auch mal im Vordergrund: der Zeitdruck der Frauen, die Kinder kriegen wollen, bevor es zu spät ist.
“Zikora would never admit this to anybody, but Pope Benedict left a sourness in her soul.”
Überraschender Satz, bislang Religion nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Roman verankert sich in der Zeitgeschichte.
Kapitel „Kadiatou“
Die Erzählung gewinnt an Dringlichkeit, wirkt stringenter als in den Kapiteln zuvor. Kadiatou hat nicht die reiche Familie im Hintergrund wie Chiamaka oder auch Zikora, auf die sie sich zur Not stützen kann. Sie ist auf sich allein gestellt, zumal nachdem die geliebte Schwester Binta gestorben ist. Sie ist nicht in erster Linie emotional abhängig von undurchsichtigen Männern wie die anderen Hauptfiguren, sondern finanziell-existenziell. Kadiatou stammt nicht aus Nigeria, sondern aus dem weiter westlich gelegenen Guinea. Die Geschichte mündet in eine Kadiatou vollkommen überwältigenden Episode einer sexuellen Attacke in einem Hotelzimmer, das sie als Zimmermädchen reinigen sollte. Ähnlichkeiten mit einem Vorfall in einem New Yorker Hotel mit dem unrühmlichen Protagonisten Dominique Strauss-Kahn sind kein Zufall.
“They were Nigerians, Kadiatou could tell, from their glaze of self-assurance (…)”
Kadiatou, Zimmermädchen in einem teuren Hotel in Washington D.C., begegnet Chiamaka.
Kapitel „Omelogor“
Omelogor ist die Antithese zu Chiamaka und Zikora: selbstbewusst und unsentimental im Umgang mit Männern. Sie macht Karriere in einer nigerianischen Bank, spielt eine Zeitlang das korrupte Spiel mit, bis sie aussteigt und in den USA in Cultural Studies eine Studie zu Pornographie schreiben will. Sie wird in den USA aber nicht glücklich, die Wokeness und die Political Correctness der anderen Studenten nervt sie, sie ist eine Aussenseiterin, die die USA als provinziell empfindet und unverrichteter Dinge zurückkehrt nach Nigeria, zu ihrem Koch und ihrem Fahrer.
“’My point, which seems self-evident enough, is that every woman has a story like this, where a man has lied to her or betrayed her and left her with consequences.’”
Call der Freundinnen, die Kadiatous Fall diskutieren. Zikora zu Omelogor. Die Freundinnen Chias sind selbst nicht befreundet… Der Satz bringt die Essenz des 400-seitigen Romans auf den Punkt, mit Omelogor, die die Antithese verkörpert und Männer nach kurzer Sex-Beziehung abserviert.
“If our daughters do not know how beautiful they are, just as they are, then surely we have failed.”
Gedanke Omelogors. Ein (weiteres) aktuelles Thema, die Besessenheit von weiblichen Teenagern mit Schönheitsidealen, wird beiläufig und politisch korrekt auch noch in den Roman gepackt. Es geht um Atasi, die Omelogor nach einem Verkehrsunfall bei sich aufgenommen hatte.
Omelogor, Kapitel 8
Im Schnelldurchlauf wird das korrupte nigerianische Bankensystem abgehandelt, in dem die clevere Omelogor rasch Karriere macht an der Seite von «CEO», nicht in selbstsüchtiger Absicht, in erster Linie. Sie entzieht dem korrupten Kreislauf Geld und händigt es an bedürftige Unternehmerinnen aus, als Robyn Hood. Etwas dick aufgetragen.
“But in America I had no friends.”
Als reiche Nigerianerin mit einer Karriere im Banking tut sich Omelogor schwer in den linken, woken Akademikerkreisen.
Kapitel „Chiamaka“
Nochmals ein Kapitel, in dem Chiamaka von ihren Partnern erzählt, ihren «dream count» vervollständigt. Manchmal dauert eine Beziehung einige Monate, manchmal imaginiert sie auch nur eine Partnerschaft nach einem Blickwechsel. Das Portrait Luuks ist biographisch etwas angereichert (erfolgreicher holländischer Geschäftsmann mit einem Nazi-Geheimnis in der Familie), andere sind sehr knapp gehalten. Sie (eine Reiseschriftstellerin!) führt uns an pittoreske Plätze, von Mexico City nach Amsterdam oder in den Schwarzwald, wo sie sich als Schwarze besonders exponiert fühlt. Aber für den Leser verschwimmen die Partner-Portraits zusehends ineinander, und er langweilt sich zusehends, auch wenn das ist nicht schlecht geschrieben und die eine oder andere Beobachtung von Interesse ist.
Zum Abschluss dann nochmals Fokus auf Kadiatou, die zur Überraschung ihrer Freundinnen erleichtert ist, dass es nicht zum Prozess kommt.