Ein Kirschkern im März
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Besprechung
Moritz T.
„Und immer noch fassungslos.“
Ein oft leicht daher gesagtes Wort; für den Ich-Erzähler passt es, nach der schmerzhaften Trennung von Partnerin und Kind.
„Die Strassen noch nass und trocknen in grossen Flecken. Für euch ist alles ein Spiel, sagt Sibylle, und von mir will sie sich dann nicht ins Bett bringen lassen.“
Mit dem Kind Blick für unscheinbare Details.
„Das sind wir doch selbst, die Zeit!“
Hadern mit dem Vergehen, dem Vergessen.
Kapitel 5
Ein vergleichsweise ruhiges Kapitel, ein Wochenende zuhause, am Samstagmorgen noch in der Stadt zum Teetrinken mit Sibylle und Carina, die dann wegfahren, und auch Peters Gastgeber scheinen nicht zu Haus zu sein.
Während in Passagen zuvor der Ich-Erzähler gehetzt wirkt und die Assoziationen zuweilen etwas beliebig hin und her jagen, wirkt die Prosa hier konzentriert, der Ich-Erzähler kommt zur Ruhe, zu sich selbst. Er kann schlafen, essen, lesen, entspannen.
Natürlich beschäftigt ihn auch jetzt sein grosses Thema: der Beruf als Schriftsteller, zu dem er keine Alternative sieht, hat ihn mit 40 Jahren in die Armut geführt, er haust als geduldeter Gast bei Freunden, und er ist getrennt von Partnerin und Kind. Aber an diesem Wochenende gönnt er sich eine Verschnaufpause vom ständigen Räsonieren und Kalkulieren, er versinkt in die Lektüre und immer wieder in den Schlaf. Dazwischen Erinnerungen an die Jugendjahre in Stauffenberg, schon damals die Gewissheit, als Schriftsteller oder als Maler leben zu wollen.
„Die Stadt dazu bringen, dass sie es ohne dich nicht gut aushält.“
Der Schriftsteller phantasiert, wie er mit diversen Jobs in Frankfurt genug Geld verdient, um Sibylles Karriere als Sängerin unterstützen zu können. Er steigert die Aufzählung ins Masslose, beliebtes Stilelement Kurzecks.
Kapitel 7
„Aber gerade heute ist so ein Tag, an dem jedes Ding, jeder Augenblick zu Dir spricht.“ (p. 105).
Gilt das nicht für jeden Tag bei diesem Erzähler? Nur sprechen die Dinge und die Augenblicke heute vom Wiedererwachen des Lebens, vom Frühling! Alles im Bann des bevorstehenden Aufbruch. In aufgehellter Stimmung schaut er sich um, er erinnert sich, er phantasiert, er geht (zu seinem Freund Jürgen, wo er in der Geschichte nie ankommt, aber das spielt keine Rolle).
„Vier kleine Fliederbäume in einer Reihe. Wollen bald blühen jetzt!“ (p. 105) Mit solch kleinen Sätzen bringt der Autor die Lust am, die Sehnsucht nach Leben zum Ausdruck.
„Mitten im Krieg geboren, sagte ich, und nie richtig schlafen gelernt. Ich weiss nicht, wie es geht, dass man loslässt. Wer soll denn aufpassen auf die Welt und auf mich, wenn ich schlafe?“
Wahrnehmungszwang macht das Schlafen nicht einfach…
Kapitel 11
Mit Edelgard, einer Freundin, und Carina auf einem Stück Brachland barfuss im Sand. Der ausgebleichte, verwitterte Kirschkern, den er aus dem Sand aufliest, erinnert den Erzähler an die Knochen, die sie als Kinder in Staufenberg im „Schindgraben“ gefunden haben. Der Erzähler nimmt Edelgard, Carina und den Leser mit auf Streifzüge durch das Land der Kindheit, mit Phantasien über die Staufenberger Tiere und die Landschaft vor der Besiedlung durch Menschen, oder einer kindlich-erotischen Szene im Schlafzimmer der abwesenden Eltern von Karin, mit der und ihrem Bruder Klaus er meist unterwegs ist. In wenigen Strichen entsteht eine anschauliche Skizze der Staufenberger Kindheit.
Kapitel 13
Idyllisches Wochenende in Oberhessen, mit Carina und der Frankfurter Gastgeberfamilie. Alltag eines Vaters, Carina, Dorfleben, Freunde. Nichts Spektakuläres, aber tut offensichtlich gut, sogar das Schreiben im Hintergrund.
„Ein Bäckerladen und natürlich hast Du wieder zu essen vergessen.“
So vertieft ins Manuskript, ins Formulieren. Kein Talent zum Schlafen, kein Talent zum Essen. Er scheint sich hauptsächlich von Espresso zu ernähren.
„Schon kommt uns die Ausfahrt entgegen, ein weiter Bogen. Noch wie im Flug diesen Bogen und dann eine enge kurvenreiche Landstrasse, die schon gewartet hat, die uns auffängt und mitnimmt.“
Euphorisch auf der Fahrt ins Wochenende mit den Leuten, bei denen der Erzähler als Gast wohnt. Ungern auf der Autobahn, es kommt auch fast zu einem Unfall. Lieber durch die Dörfer. Jetzt aber die Ausfahrt.