Emma
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Besprechung
Moritz T.
Volume One
Einführung in das Leben und Denken von Emma Woodhouse, die vornehmlich mit Heiratsplänen für ihre Freundinnen beschäftigt scheint. Ökonomische und soziologische Faktoren dominieren das match making. Natürlich fällt die physische Attraktivität eines Partners auch ins Gewicht; beim Versuch, ihre hübsche Freundin Harriet mit dem gesellschaftlich höher gestellten Mr. Elton zu verkuppeln, überschätzt Emma aber diesen Aspekt. Sie liest die Signale, die Mr. Elton aussendet, konsequent falsch. Die Autorin lässt den Leser ahnen, dass Emma sich hier vertut und an der Eskalation am Ende von Volume One nicht ganz unschuldig ist.
Eskalation ist ein grosses Wort: es geht sehr manierlich und gesittet zu, es ereignet sich wenig. Fünf Zentimeter Schneefall und eine mögliche Verzögerung einer Heimfahrt mit der Kutsche haben in dieser Geschichte die Anmutung einer Katastrophe. Kunst Jane Austens, die Ereignislosigkeit unterhaltsam zu gestalten.
Zwei abwesende Figuren, Frank Churchill und Jane Fairfax, ziehen allerlei Projektionen auf sich. Geschickter Spannungsaufbau: werden sich die Hoffnungen oder Befürchtungen erfüllen, wenn die beiden zu Protagonisten der Erzählung werden?
„The danger, however, was at present so unperceived, that they did not by any means rank as misfortunes with her.“
Eitel Sonnenschein im Leben von Emma. Sie ist sich nicht bewusst, dass Ihr Eingebildetsein eine Gefahr darstellt; im Gegensatz zum Leser, der jetzt am fernen Horizont dunkle Wolken aufziehen sieht.
„(…) one to whom she could speak every thought as it arose, and who had such an affection for her as never could find fault.“
Emma wird ihre Gouvernantin und Freundin Miss Taylor vermissen, die heiratet und aus dem gemeinsamen Haushalt auszieht. Die Geschmeidigkeit des Satzrhythmus reflektiert die harmonische Beziehung.
„(…) for when his wife died after a three years‘ marriage, he was rather a poorer man than at first, and with a child to maintain.“
Aus der zeitlichen Distanz fallen zwei Dinge auf: wie umstandslos der Tod hier eingreift in die Lebensgeschichte von Mr. Weston; und dass zuerst unter ökonomischem Gesichtspunkt überhaupt erwähnt wird, dass aus der – nicht ganz harmonischen – Ehe mit der (ehemaligen) Miss Churchill ein Kind hervorging.
„(…) almost past every thing but tea and quadrille.“
Mrs Bates; hübsch- (oder eher: hässlich-) lakonische Charakterisierung der „harmless old lady“.
„She is loveliness itself. Mr. Knightley, is she not?“
Dass sich die Ex-Gouvernante Emmas in deren Abwesenheit derart ausgiebig mit ihr beschäftigt und sie in den höchsten Tönen lobt: wir nehmen’s ohne Erstaunen hin. Aber woher kommt das vertiefte Interesse Mr. Knigthleys, wie es sich hier in der Konversation mit Mrs Weston zeigt? Nun gut, er ist der Bruder von Emmas Schwager und Nachbar.
Volume One, Chapter 7
Emmas junge Freundin Harriet erhält per Brief einen Heiratsantrag, von einem jungen Mann niedrigen Standes. Emma will vorgeblich keinen Einfluss nehmen auf den Entscheid, und tut es dann natürlich doch bis hin zu der Formulierung des abschlägigen Bescheids. Sehr durchsichtige Manöver, aber nicht konsequent als Farce inszeniert.
„‚But still, you will be an old maid, and that’s so dreadful!'“
Emma suggeriert Harriet, dass die Heirat der Freundin mit Mr. Elton bereits eine beschlossene Sache ist, auch wenn die belastbaren Indizien den Leser nicht vollends überzeugen. Harriet kehrt den Spiess um: warum denkt eigentlich Emma nicht an Heirat? Emma weist den Gedanken von sich. Harriet weist auf die gesellschaftlich wenig akzeptierte Position der alten Jungfer hin. Emma lässt sich nicht beeindrucken.
„(…) and a sort of pleasure in the idea of their being coupled in their friends‘ imagination.“
Flirt mit einem Phantom. Emma kennt Frank Churchill nicht, den Stiefsohn ihrer ehemaligen Gouvernante und Freundin Mrs Weston. Aber sie beschäftigt sich in Gedanken gern mit ihm; und mit dem Gedanken, dass andere sich Gedanken über ihn und sie als zukünftiges Paar machen. – Imaginierte Imagination von Dritten, innerer Monolog mit zusätzlicher Ebene.
Volume 2
Wir verlieren in Volume 2 Harriet, die junge Freundin Emmas und eine der Hauptfiguren in Volume 1, etwas aus den Augen, nachdem die Verkupplung mit Mr. Elton gescheitert war. Mr. Elton kehrt mit einer anderen Braut ins Zentrum des Geschehens zurück, und bald dominiert Mrs Elton die Seiten von „Emma“, sehr zum Ärger von Emma, die die impertinente Person nicht ausstehen kann. Immerhin erweist sich die Begegnung mit dem viel-erwarteten Frank Churchill als prickelnd. Emma geniesst seine Aufmerksamkeit, sorgt sich aber, ihn zu sehr zu ermutigen; sie ist nach wie vor entschlossen, sich nicht zu binden und nicht zu heiraten. – Jane Fairfax bleibt für Emma ein Rätsel, mögliche Freundin, mögliche Nebenbuhlerin. Sie scheint ein Geheimnis zu belasten, Emma spekuliert über eine illegitime Liebesgeschichte. – So die Ausgangslage vor dem Finale.
„‚Ma’am,‘ addressing her, ‚do you hear what Miss Woodhouse is so obliging to say about Jane’s handwriting?‘
And Emma had the advantage of hearing her own silly compliment repeated twice over before the good old lady could comprehend it.“
Ms Bates versucht ihrer halb tauben Mutter mitzuteilen, dass Emma die Handschrift der Nichte von Jane Fairfax, Ms Bates‘ Nichte, gelobt hat. Konversationsbeitrag Emmas aus purer Höflichkeit; sie hält wenig von Jane und vermutlich auch wenig von ihrer Handschrift. – Beispiel für die Betulichkeit der Dialoge.
„(…) and to give her the impression of his not being improved by the mixture of pique and pretension, now spread over his air.“
Der von Emma verschmähte Mr. Elton kehrt im Triumph zurück: er hat anderweitig eine mehr oder minder respektable Braut gefunden. Emma nicht angetan von Mr. Eltons Auftritt, wie der hübsche Satz zu Verstehen gibt.
„(…) and give the most decided proof of what degree of intimacy was chosen for the future.“
Emma immer noch mit den Folgen des missglückten Verkupplungsversuchs Harriet/Mr. Elton beschäftigt. Sie fährt Harriet zu der Familie des abgewiesenen Verehrers Robert Martin, holt sie aber nach einer Viertelstunde schon wieder ab. Die Beziehung zu der Familie, mit der Harriet einige Wochen gelebt hatte, soll wiederhergestellt werden, aber die Kürze des Besuches soll deutlich die Grenzen aufzeigen: Harriet gehört nicht zu dieser Familie, Mr. Martin soll keine Hoffnung schöpfen, dass er Harriet jetzt doch noch gewinnen kann. Harriet und ihre Mentorin Emma verschätzen sich aber: die Kürze des Besuches erlaubt es nicht, die anfängliche Befangenheit zu überwinden; sie muss auf die Martins befremdlich, wenn nicht gar beleidigend wirken. Der erwünschte „degree of intimacy“ wird nicht erreicht.
„(…) of guessing how soon it might be necessary for her to throw coldness into her air (…)“
Emma geniesst den Flirt mit Frank Churchill. Sie möchte aber nicht zu weit gehen, und überlegt sich, wie sie seine Emotionen steuern kann. Dass zuletzt ihre Gefühls-Kalkulationen mit der Realität kollidierten, scheint vergessen.
Volume 2, Chapter 17
Empfang für die frisch vermählten Eltons bei den Woodhouses. Mrs Elton nimmt ihre Favoritin Jane Fairfax in Beschlag, und wir werden über mehrere Seiten hinweg Zeugen, wie sie ihr ihre Dienste in der Vermittlung einer Stelle aufdrängt, obwohl Jane sich das verbittet. Emma hatte sich schon zuvor über die Impertinenz der Ehefrau ihres ehemaligen Verehrers geärgert; hier wird sie dem Leser nochmals demonstriert.
Volume Three
Frank Churchill und vor allem Jane Fairfax geben Emma Rätsel auf. Frank flirtet kräftig mit ihr, und Jane hält Emma auf Distanz. Emma bemüht sich vergeblich um sie, als es ihr sehr schlecht zu gehen scheint.
Endlich aber kommt an den Tag, was Jane belastet hat und Frank so exaltiert auftreten liess: die beiden waren heimlich liiert, und wollten das aber um jeden Preis geheim halten, weil Frank befürchtete, dass seine Ziehmutter und (Erb-) Tante diese Verbindung nicht akzeptiert hätte. Nach ihrem Tod überschlagen sich die Ereignisse.
Frank bekennt sich endlich zu Jane. Das bringt seine Stiefmutter Mrs Weston in Verlegenheit, weil sie vermutet, dass ihr Schützling Emma in Frank verliebt sein könnte. Falsch vermutet. Emma wiederum befürchtet, dass ihr Schützling Harriet sehr enttäuscht sein dürfte, weil sie in Frank verliebt ist. Wiederum falsch vermutet: Harriet ist in Mr Knightley verliebt. Zu ihrer Überraschung stellt Emma fest, dass sie selbst in Mr Knightley verliebt ist. Emma ermutigte Harriet stets, einen Partner auch über die Standesgrenzen hinweg zu suchen. Sie ist sich nicht sicher, ob Mr Knightley Harriets Gefühle erwidert. Steht Harriet ihrem Glück im Weg, oder steht sie Harriets Glück im Weg? Sehr gekonnt hat die Autorin diesen intrikaten Knoten für ihre Heldin geschnürt. Nach kurzem Bangen löst sich aber in hohem Komödientempo alles in Minne auf und einem umfassenden Happy End mit einer Triple-Hochzeit steht nichts mehr im Wege. Wobei Emma durchaus auch zu robusten Mitteln greift und kurzzeitig Harriet (mit deren Einverständnis natürlich) aus ihrem Blickfeld nach London verfügt.
„Mr. Weston’s ball was to be a real thing. A very few to-morrows stood between the young people of Highbury and happiness.“
Der lang-ersehnte Ball soll endlich stattfinden können; grosse Erwartungen.
„It was a sweet view – sweet to the eye and the mind. English verdure, English culture, English comfort, seen under a sun bright, without being oppressive.“
Patriotischer Ausflug.
Volume Three, Chapter 7
Ein weiterer Ausflug, mit dem sich Emma und ihre Freunde die Zeit vertreiben. Aber es zeigen sich Risse im Gefüge der Gesellschaft, man bewegt sich in separaten Grüppchen, nicht viel Austausch, keine Harmonie. Emma ist dankbar, als sich Frank Churchill plötzlich wieder im Flirtmodus nähert, und versucht, die ganze Gesellschaft zu einem Spiel zu animieren. Mrs Elton ist quasi auf Vorrat beleidigt und entfernt sich mit ihrem Mann von den Freunden. Emma lässt sich zu einer beleidigenden Bemerkung gegenüber Miss Bates hinreissen. – Mr Knigthley weist im Zwiegespräch Emma auf ihren massiven faux pas hin, den sich Emma auf der stillen Heimfahrt in der Kutsche selbst eingesteht. „She had never been so depressed.“ (p. 334), drastische Gefühlslage. Vermutlich mit Folgen für das weitere Romangeschehen.
Gekonnte Schilderung eines misslungenen Ausflugs.
Volume three, Chapter 11
Dreifache Ent-täuschung:
- Mrs Weston nahm an, dass sich Emma ernsthaft für Frank Churchill interessierte, ja, sie hatte eine solche Bindung herbeigewünscht. Darum fiel es ihr so schwer, Emma in das Geheimnis der Verbindung Frank Churchills mit Jane Fairfax einzuweihen (Kapitel 10).
- Jetzt steht Emma eine ähnliche Aufgabe bevor: sie muss Harriet mitteilen, dass sie sich keine Hoffnungen auf Frank Churchill machen kann. Aber es stellt sich heraus, dass Harriet nicht auf Frank, sondern auf Mr Knightley ein Auge geworfen hat, zu Emmas Erstaunen, und sofort auch zu ihrer Bestürzung, denn…
- Emma stellt überrascht fest, dass sie selbst in Mr Knightley verliebt ist, oder ihn mindestens heiraten will.
Hübsche Pointe: die vermeintliche Match-Makerin kennt nicht mal ihr eigenes Herz, geschweige denn das der anderen. Emmas Hauptbeschäftigung war es, Indizien für keimende Liebe zu finden. In ihrem Übereifer entdeckte sie überall Fährten, die sich als falsch herausstellten, und sah nur dort keine Spuren der Liebe, wo welche waren.
„‚But with common sense‘, she added, ‚I am afraid I have had little to do.'“
Wieder muss sich Emma vorwerfen, Harriet falsche Hoffnungen gemacht zu haben auf eine gute Partie. Auch das zweite Matchmaker-Projekt für ihre Freundin scheitert, Frank Churchill ist bereit anderweitig liiert. Dabei hatte er Emma noch vor kurzem beauftragt, für ihn eine Braut auszuwählen. Sie ahnte nicht, dass dieser Auftrag Teil eines ausgeklügelten, weit hergeholten Ablenkungsmanövers Churchills war.
„It darted through her, with the speed of an arrow, that Mr Knightley must marry no one but herself.“
With the speed of an arrow, aber auch nach erst nach 361 Seiten. Harriet macht sich Hoffnungen auf Mr Knightley; erst das provoziert Emmas Erkenntnis.
„Let him but continue the same Mr Knightley to her and to her father, the same Mr Knightley to all the world (…)“
Wenn Mr Knightley keine starken Gefühle für Emma hegen sollte („she was dear to him, might she not say, very dear?“), dann soll er aber auch nicht Harriet heiraten. Schon zuvor hatte sie sich entsetzt bei dem Gedanken gezeigt, wie das Umfeld auf eine Beziehung Mr Knightleys mit Harriet reagieren, wie er seine gesellschaftliche Stellung einbüssen könnte. Natürlich mögen da ihre eigene Gefühle für ihn mit hineinspielen. Aber Emma ist hier, vorsichtig gesprochen, einfach auch sehr konservativ.
„What totally different feelings did Emma take back into the house from what she had brought out! (…)“
Niedergeschlagen beim Aufbruch zum Spaziergang, und bei der Rückkehr „in an exquisite flutter of happiness“, nachdem sie zufällig Mr Knightley angetroffen und der ihr seine Liebe eingestanden hat.
„It is remarkable, that Emma (…) was never struck with any sense of injury to her nephew Henry (…). Think she must of the possible difference to the poor little boy; and yet she only gave herself a saucy conscious smile about it (…).“
Dieser Tadel der Erzählerin im Sog des sich allgemein anbahnenden Happy Ends kommt überraschend: Emma kümmert sich kaum darum, dass der Neffe ihres künftigen Ehemanns um sein Erbe bangen muss, dass ihm – wäre Mr Knightley ledig geblieben – fraglos zugefallen wäre. – Scheint im Kontext nicht soo „remarkable“, es gibt viele andere Aspekte zu bedenken. Warum also dieser Einschub? Soll er zeigen, dass die durch Schaden umsichtiger gewordene Emma weiterhin blinde Flecken hat? Er zeigt jedenfalls, dass wenigstens die Erzählerin diesen Aspekt im Blick hat.
„She would not acknowledge that it was with any view of making a match for her, hereafter, with either of Isabella’s sons (…).“
Allen Misserfolgen zum Trotz, Emma kann nicht lassen vom matchmaking. Sie macht es sich selbst nicht richtig bewusst, aber sie projiziert weit in die Zukunft eine Heirat zwischen einem ihrer Neffen und der neugeborenen Tochter ihrer Ex-Gouvernante, Mrs Weston. Wir erhalten davon Kenntnis dank der – in der Tat allwissenden – Autorin, die weiss, warum (auch) sich Emma eine Tochter (und nicht einen Sohn) erhofft hat für die Westons.
„(…) and that she herself had been the stupidest of beings in not having thought of it, and wished it long ago.“
Mrs Weston schilt sich selbst, als sie von der bevorstehenden Heirat Emmas mit Mr Knightley erfährt. – Dem Leser soll es wohl ähnlich gehen: Mr. Knightley tritt als strahlender Held aus den Kulissen, wo die Autorin ihn zuvor als graue Eminenz halb verborgen hielt.