Helgoland
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Besprechung
bheym
Moritz T.
„Sie hat sich nie geirrt. Sie bildet das schlagende Herz der heutigen Wissenschaft. Und doch bleibt sie zutiefst rätselhaft, Irgendwie beunruhigend.“
Die Quantentheorie, von mysteriöser Tiefe… Hätten wir sie ausgelotet, wäre sie dann nicht obsolet?
„Aber die Quantenmechanik ernst zu nehmen, über ihre Bedeutung nachzudenken, ist eine geradezu psychodelische Erfahrung: Sie verlangt von uns auf die eine oder andere Weise, auf etwas von dem zu verzichten, was uns in unserem Weltverständnis als solide und unangreifbar erschien. Sie fordert uns anzuerkennen, dass die Realität zutiefst anders ist, als wir sie uns vorstellten. Und den Blick in diesen Abgrund zu richten, ohne Angst, ins Unergründliche zu sinken.“
Etwas pathetisch und umständlich. Aber gut, wir sind gewarnt…
„Die Wellenmechanik ist so obskur wie Heisenbergs Matrizen. Wenn wir ein Elektron, das wir sehen, immer nur in einem einzigen Punkt sehen, wie kann es da eine sich im Raum ausbreitende Welle sein?“
Schrödinges Wellenmechanik ergibt ebenso korrekte Resultate wie Heisenbergs Tabellen. Aber beide Ansätze erklären nicht abschliessend, wie sich die Elektrone verhalten. Born erkennt dann, dass Schrödingers Wellenmechanik (nur) die Wahrscheinlichkeit berechnet, mit dem ein Ereignis eintrifft – ebenso wie die Heisenbergschen Tabellen oder Matrizen.
„Die Ψ-Welle entwickelt sich nur so lange nach der von Schrödinger aufgestellten Gleichung, wie wir ihr dabei nicht zuschauen. Sobald wir sie beobachten, – Simsalabim! – konzentriert sie sich in einem Punkt, an dem wir dann die Teilchen sehen.“
Erst lernen wir, dass wir es nur mit Berechnungen von Wahrscheinlichkeiten zu tun haben, und zweitens, dass unsere Beobachtung die „Wirklichkeit verändert“. „Das Dunkel verdichtet sich“, in der Tat.
Granularität der Welt
Auf „allerkleinster Skala“ zeigt sich ein gekörnter Aspekt der Welt: Werte entwickeln sich nicht in einem übergangslosen Kontinuum.
Wahrscheinlichkeit, Observable (=nur beobachtbare Grössen), Granularität – drei Elemente der Quantentheorie. Wie aber kommt der Einfluss der Beobachtung ins Bild?
XP – PX = iℏ
„Das ist alles“ – Herzstück der Quantentheorie. X ist der Ort eines Teilchens, P die Geschwindigkeit multipliziert mit seiner Masse. Eigentlich würde man erwarten, dass XP minus PX null ergibt. „Man versuche nicht, sie (die Formel) zu entschlüsseln.“ Dennoch würde man es begrüssen, wenn der Autor noch etwas verweilt bei dieser Formel (gut, er verspricht, darauf zurückzukommen) und den Zusammenhang mit Granularität erläutert, oder mit dem Einfluss der Beobachtung auf das Messresultat. Aber es kann wohl nicht Ziel des Buches sein, den Laien auf der mathematischen Ebene mitzunehmen.
Photonen-Experiment
„Man beachte die Absurdität: Wenn ich nicht hinschaue, wo das Photon vorbeieilt, landet es immer unten, aber wenn ich hinschaue, kann es oben landen.“ (p. 54)
Vier Photonen werden auf eine Bahn geschickt, die sich in zwei Zweige teilt, bevor sie wieder in eine Bahn zusammenkommen, die sich dann nochmals teilt. Eine Ausgangsposition, zwei Routen, oder Zweige die wieder zusammenkommen, zwei mögliche Endpositionen. Wenn kein Mensch interveniert (eine Hand in einen der Zweige hält, oder die vorbeischiessenden Photonen auch nur in den Zweigen beobachtet), enden alle vier Photonen in der unteren Endposition. Mit eine der beiden Interventionen verteilen sich die vier Photonen auf die untere (zwei Photonen) und die obere Endposition (zwei Photonen). Die Beobachtung allein scheint also einen Einfluss auf das Verhalten der Photonen zu haben.
Reihe von Laien-Fragen, die Rovelli hier nicht im Detail diskutiert:
a) Was bedeutet «Beobachten»? Wird mit einem Detektor gemessen, der halt doch einen Impact auf die Bahnen hat? Die Hand in der Bahn und die Beobachtung scheinen denselben Effekt zu haben. Später klärt sich: Beobachten impliziert, eine Relation zu haben – prinzipiell gleichwertig wie die Intervention mit der Hand.
b) wie kann ich aus diesem Experiment schliessen, dass sich bei Nicht-Intervention tatsächlich eine Wellenteilung vollzieht in der ersten Verzweigung und eine Superposition stattfindet? Warum kann ich schliessen: «Dass die Photonen oben verschwinden, wenn beide Bahnen frei sind, ist ein Beispiel für die Quanteninterferenz.»(p. 52) ?
c) Leider etwas unscharfe Formulierung: „Wenn ich dagegen eine der Bahnen mit einer Hand versperre, setzt sich die ψ-Welle nicht wie zuvor wieder zusammen und verhält sich folglich anders: Sie teilt sich wieder in zwei Teile auf, von denen die eine nach oben strebt.“ (p. 53) Am Ende finden wir ja (nach der Intervention) zwei Photonen in der unteren, und zwei in der oberen Endposition. Die Photonen scheinen sich je für eine der beiden Positionen zu entscheiden. Warum also die Aussage, dass sich eine Welle nochmals teilt?
d) Inwiefern interagieren die ψ-Wellen der Teilchen mit einander?
Natürlich ist der Witz des Experiments an dieser Stelle, dass es eben unerklärlich ist. Aber der Autor lässt doch viele Detail-Fragen offen.
„Die Katze befindet sich also in einer ‚Quantensuperposition‘ der wachen und der schlafenden Katze.“
Schrödingers Gedankenexperiment, bei dem allerdings die Katze ursprünglich gleichzeitig tot und lebendig ist (bis wir nachsehen). Warum diese Entschärfung? Der Pointe ist doch gerade, dass zwei sich kategorisch ausschliessende Zustände koexistieren. – Auch etwas unbefriedigend, wie wenig Rovelli hier auf die Problematik der Verlegung des Phänomens von der mikro- in die makroskopische Welt eingeht.
„Die Entdeckung der Quantentheorie, glaube ich, ist die Entdeckung, dass die Eigenschaften eines jeden Dings nichts anderes sind als die Art, wie dieses Ding die anderen beeinflusst.“
Dann sind keine sinnvollen Aussagen über ein Ding möglich, wenn man nicht die Wechselwirkung mit der Umgebung in Rechnung stellt.
„Wenn das Elektron mit nichts wechselwirkt, hat es keine physikalischen Eigenschaften. Es hat keine Position, keine Geschwindigkeit.“
Wenn das Röhrensystem im Photonenexperiment geschlossen ist (keine Beobachtung, keine Intervention), dann haben die Photonen darin keine Positionen und keine Geschwindigkeit. Aber agieren sie nicht innerhalb des Röhrensystems, haben sie keine Wechselwirkung mit den Bahnen, auf die sie losgeschickt werden?
„Ist es möglich, dass etwas in Bezug auf Sie, aber nicht auf mich real ist?“
Aus der Perspektive der Katze: sie ist wach. Aus der Aussenperspektive: Quantensuperposition zwischen den Zuständen wach und schlafend. Unterschiedliche Wechselwirkung auf die beiden Teilnehmer.
„Die luftige und leichte Welt der Quanten“
Überzeugende Zusammenfassung, warum die Dinge nur in Wechselwirkung existieren. Eigentlich können wir nicht sinnvoll ein Was beschreiben, sondern immer nur ein Wie des Zusammenspiels von Objekten. Ohne Wechselwirkungen öffnet sich ein Boden ins Nichts. Was heisst das für die Objektivität?
Am Ende des Kapitels schreibt Rovelli:
„Die feine Körnung der Dinge ist diese seltsame luftige Welt, in der die Variablen relativ sind, in der die Zukunft nicht von der Gegenwart bestimmt wird.“ (p. 87)
Er nennt die Quantenwelt „luftig“, das scheint zutreffend, es gibt nicht die Schwere der Objekte, die ein- für allemal definiert sind. Aber … dann gibt es in den Wechselwirkungen ja doch keine beliebigen Eigenschaften, sondern bestimmte. Sind die möglichen Wechselwirkungen damit nicht auch definiert?
Auf die Körnung geht er soweit ich sehe im Kapitel sonst nicht ein, ist eine etwas isolierte Aussage. Und inwieweit die Zukunft nicht von der Gegenwart bestimmt wird, erläutert er hoffentlich noch.
„Ein Stein erstrahlt nicht am Himmel (…)“
müsste heissen: ein Stern. Auf der vorangehenden Seite findet sich eine Schlussklammer ohne Eröffnungsklammer.
„Jüngst ist es chinesischen Wissenschaftern gelungen, zwei Photonen in einer Entfernung von über tausend Kilometern in einem verschränkten Zustand zu halten.“
„Entanglement“, Rovellis Vergleich mit zwei Verliebten, die sich in Gedanken auch über Distanz verbunden bleiben.
„Die Beziehung zwischen zwei Objekten ist nichts, was in dem einen oder anderen enthalten ist: Sie ist mehr.
Diese wechselseitige Verbundenheit zwischen allen Bestandteilen des Universums ist befremdlich.“
Aber… wurde zuvor nicht festgestellt, dass ein Objekt für sich gar nicht sinnvoll beschrieben werden kann? „Mehr“ wovon ist dann die Frage.
Der Sprung zu „allen Bestandteilen des Universums“ kommt hier etwas überraschend.
Zuvor diskutiert Rovelli kurz die Frage, wie die psi-Wellen zweier Teilchen interagieren: offenbar erzeugen sie eine „kompliziertere Welle, die andere Informationen enthält“ (p. 94). Auch hier wieder: welche Informationen enthält denn die Welle eines isolierten Teilchens?
„Das Produkt der Genauigkeiten kann nicht kleiner als eine minimale Grösse sein: als die Hälfte der Planck-Konstante.“
Rovelli kommt zurück auf die Granularität oder „Körnigkeit“ der Wirklichkeit: man kann sich der genauen Teilchen-Position und der Geschwindigkeit multipliziert mit der Masse nicht beliebig annähern. Es gibt eine Grenze, die Wirklichkeit bleibt (grob-) körnig. Die Pointe besteht wohl darin, dass die Wirklichkeit nicht nur für den Menschen granular ist, sondern prinzipiell. Heisenbergsche Unschärferelation.
„Die Zukunft ist nicht durch die Vergangenheit bestimmt: Die Welt ist probabilistisch.“
Auch auf die Nicht-Determiniertheit kommt Rovelli zurück. Ich kann die Geschwindigkeit und danach auch die Position eines Teilchens bestimmen, aber wenn ich die Position erfasse, verliere ich die Information über die Geschwindigkeit. Es ist darum nicht genau vorhersagbar aus den in der Gegenwart verfügbaren Informationen, wie sich das Teilchen in Zukunft verhält.
„Wenn umgekehrt die zweite Variable bestimmt sein soll, die Photonen also alle ’nach unten‘ gehen sollen, muss die erste Variable unbestimmt sein, das heisst, sie können beide Bahnen passieren. Das ganze Phänomen ist folglich die Konsequenz der einen Gleichung, die besagt, dass diese beiden Variablen „nicht kommutieren“ und folglich nicht beide bestimmt sein können.“
Rovelli kommt dankenswerter Weise auf das Photonen-Experiment zurück. Warum aber heisst Bestimmung der zweiten Variablen zwingend dass alle Photonen „nach unten gehen sollen“?
Und „nicht kommutieren“ heisst doch: die Elemente in der Multiplikation können nicht beliebig vertauscht werden, die Reihenfolge hat einen Einfluss auf das Resultat. Und (?): wir verlieren die Informationen zu der einen Variablen, wenn wir die andere messen. Aber das scheint ja nicht zuzutreffen für den Fall, wenn ich auf der Verzweigung die Messung vornehme und ich feststelle, dass zwei Photonen die obere und die zwei die untere Bahn nehmen. Dann nämlich finde ich auch in der Endposition zwei Photonen oben und zwei unten. Rovelli nennt das „unbestimmt“. Warum?
„Machs radikaler Vorschlag besteht darin, die Phänomene nicht als Manifestationen von Objekten, sondern die Objekte als Verknüpfungen von Phänomen zu denken.“
Ausflug in die Philosophie, die Literatur (Musil) und die Politik (Lenin und Bogdanow). Einfluss von Ernst Mach in allen drei Sphären, dazu aber auch in der Physik (Einstein, Pauli, Schrödinger).
Kapitel „Naturalismus ohne Substanz“
„(…) dass die gesamte Natur gequantelt ist und dass in einem Physiklabor mit einem Messapparat nichts Besonderes geschieht.“ (p. 129)
Die Welt in Superposition. Aber sie ist nicht in Suspension: Die Katze ist tot (oder in Rovellis tierisch korrekter Version: sie schläft), auch wenn der Beobachter immer noch davon ausgeht, dass die Situation in einer Superposition verharrt. Oder? Wenn der Betrachter nicht erfährt, dass die Katze tot ist, dann bleibt die Situation in der Wirklichkeit des Beobachters unentschieden.
Die Phänomene zeigen sich nur in Bezug von einem Objekt zum anderen. Aber nicht jedes Objekt hat das Potential für jedes Phänomen in einer Interaktion mit anderen Objekten. Unwahrscheinlich, dass ich die Katze bellen höre. Rovelli: „Wir können ihm (dem Objekt) höchstens eine Art probabilistische Disposition zuschreiben, auf die eine oder andere Art in Erscheinung zu treten. Aber auch sie ist nur eine Vorwegnahme künftiger Phänomene und ein Reflex vergangener Phänomene.“ (p. 130) Er bestreitet dann die Bedeutung der Substanz- und-Attribut Beschreibung der Welt. Alles muss mit Blick auf die „Relativa“ gedacht werden. Gibt es aber nicht doch eine Art fluider Substanz, oder einer Substanz, die sich manifestiert zwischen Objekten, und die sich in den „Reflexen vergangener Phänomene“ äussert (die Katze miaut stets, bellt bislang nie)? Eine Substanz in den „Relativa“?
„Mich als Menschen lehrt Nagarjunga Seelenruhe, Leichtigkeit und ein Augenmerk für die Schönheit der Welt: Wir sind nur Bilder von Bildern. Die Realität, uns eingeschlossen, ist nur ein leichter und zarter Schleier, hinter dem sich … nichts verbirgt.“
Verwandtschaft der Quantenmechanik mit uralten buddhistischen Weisheiten; Nagarjunga lebte im zweiten Jahrhundert in Indien, seine Texte haben Rovelli „tief beeindruckt“.
„Die Dinge der Natur sind keine Ansammlung an isolierten Elementen, die in einem desinteressierten Individualismus jeweils eigene Eigenschaften besitzen. Bedeutung und Intentionalität sind (…) im biologischen Umfeld Sonderfälle der allgegenwärtigen Korrelationen. Zwischen der Welt der Bedeutungen unseres geistigen Lebens und der physischen Welt besteht Kontinuität. Beide sind Relationen.“
Die Natur als dichtes Gewebe von Relationen zwischen Objekten. Der Mensch lädt Relationen mit Bedeutung auf; aber er tut prinzipiell damit nichts anderes als ein Bakterium, das sich in seinem Umfeld orientiert.
„Aber ein Ausserhalb der Gesamtheit der Dinge gibt es nicht. Jede Beschreibung der Welt findet in der Welt statt.“
Rovelli entwickelt den Ansatz weiter zu einem Argument gegen die „Viele Welten“-Theorie: Es gibt keine Fakten, die nicht relativ zu einem Beobachter sind, darum ist eine Position, die von aussen kommt und die Verzweigung in verschiedene mögliche Welten zulässt, haltlos.
„Einen ‚Inhaber‘ der Empfindungen hinzuzufügen ist wie dem Phänomen des Gewitters Zeus zur Seite zu stellen.“
Polemik gegen das Konzept eines „Ich“, das die Prozesse steuert oder kontrolliert.
„Die Wirklichkeit ist nicht in Ebenen untergliedert. Die Ebenen, in der wir sie zergliedern, die Objekte, in die wir sie zerlegen, sind die Arten und Weisen, in der die Natur mit uns korreliert; und das geschieht in dieser dynamischen in diesen dynamischen Konfigurationen physikalischer Abläufe in unserem Gehirn, die wir Konzepte nennen.“
Granularität oder Körnung auf einer anderen Ebene.
„Die Wirklichkeit ist nicht in Ebenen untergliedert.“ Ist das jetzt noch ein sinnvoller Satz? Er scheint davon auszugehen, dass es so etwas wie eine objektive Wirklichkeit gibt. Dabei konstituiert sich die Wirklichkeit doch erst zwischen Objekten. Die Wirklichkeit ist immer in Ebenen untergliedert, könnte man sagen, aber in vielen verschiedenen.
„Deswegen, so glaube ich, erkennt sich dieses individuelle Ich, dieses rebellische und einsame Ich, das mich in meinen jungen Jahren zu den ungezügelten einsamen Fragen antrieb, dieses Ich, das sich für vollständig unabhängig und völlig frei hielt … am Ende selbst nur als eine Kräuselung in einem Netz aus Netzen …“
Rovelli bringt immer wieder autobiographische Aspekte ins Spiel. Man erfährt auch, dass er in seiner Jugend Ginsberg und den Buddhismus kennengelernt hat. – Entlastung vom Gewicht eines einsamen Ich, eines „freien“ Subjekts, das sich in einem Netzwerk aufgehen sieht.