Joseph und seine Brüder 2

Autor: Thomas Mann
Untertitel: Joseph in Ägypten. Joseph der Ernährer
Verlag: Fischer
Genre: Belletristik
Erscheinungsjahr: 2018
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-10-048331-7
Einbandart: gebunden
Sprache: Deutsch
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Besprechung

Moritz T.

(Rezension für alle vier Bände) Im Hintergrund dieser Geschichte zieht ein junger Gott ohne viel Anhängerschaft, aber mit Ambitionen, die Fäden. Er protegiert und leitet...
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SEITE: 676 - 1329 Moritz T. Keine Kommentare
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„Joseph in Ägypten“

Anmerkung:

In der Bibel heisst es über Josephs Zeit in Potiphars Haus: «Und der HERR war mit Josef, sodass er ein Mann wurde, dem alles glückte.» Moses 1, 39, 2

Wir sehen, wie Joseph aufsteigt in der Gunst seiner Vorgesetzten, und in seinen Ämtern. Der sterbende Meier Mont-kaw bestimmt Joseph zu seinem Nachfolger; er hat jetzt eine für den Hof Potiphars auch wirtschaftlich entscheidende Stellung inne. Alles gelingt über die Massen, er ist beliebt und trifft gute Entscheidungen. Kaum mehr wird uns ein Blick in Josephs Innenleben gegönnt. Es gibt da – anders als früher – wenig zu berichten. Er ist ein Mann mit einer göttlichen Mission. Jeder Satz dient zur Vertiefung der Idylle, die fein säuberlich ausgemalten Garten- oder Speisesaal-Szenen sind statische Tableaus, ohne grosse Dynamik oder Richtungsänderung: Joseph wird zusehends zum Ägypter, und zu einen sehr erfolgreichen dazu.

Aber Joseph ist und bleibt ein Fremder. Er dient einem anderen Gott; und das gibt dem einzigen Feind und Neider Josephs am Hofe, dem Zwerg Dudu, schliesslich den Ansatzpunkt für eine Intrige. Die ist – da zunächst erfolglos – nur ein die Idylle noch stärker hervorhebender Seitenzweig der Handlung. Aber Dudu vermag die Aufmerksamkeit Muts, der Gattin des kastrierten Herrn Potiphar, auf Joseph zu lenken. Von da an ist „Joseph in Ägypten“ im Wesentlichen die Geschichte einer (einseitigen) Liebe,  in allen Stufen von der Ignoranz, über das Kennenlernen und den Flirt bis hin zur wahnwitzigen Obsession. Mut ist dieser Leidenschaft, die sie auch körperlich verändert, hoffnungslos ausgeliefert. Der geschmeichelte Joseph verpasst es, sich entschieden von Mut zu distanzieren. Er unterschätzt die Gefahr, die nochmals grösser wird, als Mut ihre Liebe und Frustration nicht länger verbirgt und alles auf eine Karte setzt. Als auch ein Zaubertrank-Vodoo nicht ganz zum Ziel führt, da eskaliert die liebes-wahnsinnige Gattin des Herrn die Situation und klagt Joseph der versuchten Vergewaltigung an. Sturz des Emporkömmlings.

Viele herrlich inszenierte Dialogszenen mit Anleihen aus Wagners Opern, wie der Kommentarband nachweist. Thomas Mann zieht uralte, nicht nur biblische, Quellen herbei, etwa wenn „die Damengesellschaft“ kollektiv einem Taumel verfällt, als Mut den schönen Joseph den Wein ausschenken lässt und perfiderweise besonders scharfe Messer zum Obstschneiden bereitstellt. Das Resultat ist ein (Finger-) Blutbad. Die Szene findet sich beispielsweise auch im Koran.

Zugleich verarbeitet Mann zeitgenössische Ereignisse; die Demagogie und der Antisemitismus der Nazis wird in der Kampagne des Zwergs Dudu und der Anklagerede Muts gegen Joseph reflektiert.

Zum Ereignis macht „Joseph in Ägypten“ (noch stärker als die Bände davor) aber die äussert souveräne (durchaus auch im Sinne von eigenwillige) Handhabung der Sprache. Dieses umständliche,  in langen Perioden und Gedankengängen, manchmal zeremoniell daherkommende Deutsch mutet – heute natürlich noch mehr als vor 90 Jahren –  fremd an; aber es übt eine grosse Faszination aus, wie der Autor es versteht, Gefühlsregungen bis in alle Verästelungen Ausdruck zu geben.

 

 

SEITE: 1335 - 1920 Moritz T. Keine Kommentare
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„Joseph der Ernährer“

Anmerkung:

Eröffnet wird dieser Band mit einem «Vorspiel in den oberen Rängen», ganz nach Wagner- und halb nach Goethe-Vorbild: die Engel unterhalten sich respektlos über das Zustandekommen der Josephs-Geschichte, über Gottes Motive und des Teufels Beitrag. Kein Wunder, müssen Jaakob und Joseph krumme Wege gehen: denn der göttliche Plan ist – aus Engelsperspektive – verworren, eigensüchtig und unausgereift. Nur halb schieben sie die Schuld Semael, dem Satan, in die Schuhe.

Joseph steigt nach dem zweiten «Gruben»-Aufenthalt dank der stichhaltigen Deutung von Pharaos Träumen zum mächtigen Staatsminister auf, souverän, saturiert. Er ist jetzt standesgemäss  verheiratet und hat zwei Söhne. Über ihm trohnt in Ägypten nur noch der Joseph ergebene, willensschwache Pharao. Joseph ist wie geschaffen für diese Rolle; er ist ein umsichtiger Manager der Staatsgeschäfte, der in den sieben (oder fünf) fetten Jahren vorsorgt für die mageren Jahre.

Der Hunger treibt Josephs Brüder (ohne seinen Vollbruder Benjamin, den Jaakob zuhause hütet) nach Aegypten, zu den gut gefüllten Scheunen. Joseph – unerkannt – treibt beim Verkauf des Getreides ein Spiel mit den Brüdern, und zwingt sie zu einem nächsten Besuch, diesmal mit Benjamin. Die Brüder bestehen eine Charakterprobe, Joseph gibt sich zu erkennen, die Sippschaft mitsamt dem Patriarchen zieht nach Aegypten, happy end.

Die zehn Brüder, die den ungeliebten Joseph damals im Brunnen seinem Schicksal überlassen haben, fürchten Josephs Rache und Jaakobs Zorn. Beides bleibt aus. Sie verkennen, anders als diese beiden, dass sie nur ein Instrument waren im Plan Gottes, das Volk Israel (und sich selbst) gross zu machen.

Bevor er stirbt, segnet Jaakob jeden einzelnen der Söhne, ein Spektakel in der Bibel, und ein Spektakel hier. Die Söhne sind ja längst selbst ehrwürdige Greise, was Jaakob nicht hindert, sie «Knabe» zu nennen und ihnen Aufträge zu erteilen, wie man das eben so macht mit Kindern. Ein Bild eines Patriarchen. Letzte Pointe, von langer Hand, aber leise angebahnt: Joseph ist unbestritten Jaakobs Liebling, aber die Rolle des religiösen Führers vermacht der Vater nicht ihm, sondern Juda. Hat Joseph für Gottes und Jaakobs Geschmack zu viel Gefallen gefunden an der weltlichen Macht? Aber wahrscheinlich war auch das Teil des Plans.

SEITE: 1470 - 1553 Moritz T. Keine Kommentare
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„Drittes Hauptstück: Die kretische Laube“

Anmerkung:

Joseph wird mit «schönem Befehl» herangeholt, des Pharaos Träume zu deuten, nachdem die professionellen Traumdeuter des Hofes in den Augen des Pharaos jämmerlich versagt haben.

Joseph zum ersten Mal in der Position des Älteren, Erfahrenen. Der Pharao ist noch ein Teenager, mit Hang zu Überschwang, der Selbst-Beweihräucherung und Sentimentalität, die der Autor mit komischen Effekt inszeniert. Dagegen steht der gewiefte Kommunikator Joseph, der das Gespräch geschickt dirigiert.

Er nimmt sich in der Position des Untergegebenen viele Freiheiten heraus, die aber geschickt-demütig vorgetragen werden. Der junge, zur religiösen Schwärmerei neigende Pharao ist leicht zu gewinnen. Aber die Gegenwart der Pharao-Mutter, die durchschaut, wie Joseph dem Herrscher Gedanken und Worte in den Mund legt, macht den Auftritt zu einem Seiltanz über dem Abgrund.

Joseph redet beispielsweise davon, was er sich selbst berichten wird, wenn er wieder ins Gefängnis, in die «Grube» zurückgekehrt sein wird; denn es ist ja nicht angezeigt, als Sklave solche Worte in so hoher Gegenwart frei heraus zu äussern. Mit gieriger Aufmerksamkeit folgt der Pharao seinen Worten, und verwandelt sie Stichwort für Stichwort in einen eigenen Monolog. Der Mut, mit dem Joseph in den heiligsten pharaonischen Bereich kreuzt, und die Sonne als Gott entthront, hat etwas … Somnambules. Für den Pharao geht es jetzt um das Höchste – und schau an, er folgt auch hierin Joseph.

Grandios, wiederum opernhaft inszenierter Dialog, interpunktiert von den zynisch-realistischen Bassbeiträgen der Pharaomutter. Ein Glanzstück!

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