Lehrjahre der Männlichkeit

Autor: Gustave Flaubert
Untertitel: Geschichte einer Jugend
Verlag: Hanser
Genre: Romane
Erscheinungsjahr: 2020
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-446-26769-5
Auflage: 1
Einbandart: Gebunden
Seitenzahl: 800
Sprache: Deutsch
Originaltitel: Education sentimentale
Originalsprache: Französisch
Übersetzung: Elisabeth Edl
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Besprechung

Moritz T.

Ressentiments schaffen keine grossen Romane. Aber die ungeheure Energie, die in Flauberts Meisterwerk steckt, speist sich auch aus dieser Quelle. Die grosse Kunst Flauberts liegt...
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Anmerkungen zur Übersetzung

Anmerkung:

Titel «Lehrjahre der Männlichkeit. Geschichte einer Jugend»

«Die Erziehung der Gefühle» oder „Lehrjahre des Herzens“ scheinen näher an «L’éducation sentimentale», und sind eingängiger als der von Elisabeth Edl gewählte Titel «Lehrjahre der Männlichkeit», der etwas sperrig daherkommt, nicht zuletzt weil «Männlichkeit» in der Gegenwart ein schillernder Begriff ist. Aber Edl legt im Nachwort engagiert dar, warum die freiere Übersetzung der Intention Flauberts am besten entspricht. Sie kann sich dazu auch auf den grossen dänischen Germanisten Georg Brandes berufen, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts den Titel entsprechend interpretierte. Ob sich aber «Lehrjahre der Männlichkeit» durchsetzt?

 

p. 9

„(…) und die beiden Ufer, bestückt mit Lagerhäusern, Werften und Fabriken, zogen dahin wie zwei breite Bänder, die man entrollt.“

Im Original:

et les deux berges, peuplées de magasins, de chantiers et d’usines, filèrent comme deux larges rubans que l’on déroule.

Zunächst könnte man Zweifel hegen an der Wortwahl „bestückt“; aber die „Gebäude-Stücke“ fügen sich schön ein auf die „Bänder“. Im Original „peuplées“ wurde in älterer Übersetzung mit „belebt“ wiedergegeben, nah am Original, aber wenig treffend, während Cornelia Hasting in ihrer Übersetzung aus dem Jahr 2000 den Satz aus unerfindlichen Gründen einfach weglässt.

***

p. 132

„(…) und sie rügte ihn, da erhielt er einen Brief.“

Frédéric gesteht der Mutter, die Möbel in seiner Pariser Wohnung Freund Deslauriers überlassen zu haben.

Original:

„et elle le grondait, quand il reçut une lettre.“

Etwas schwerfällige Übersetzung; leicht eigenartige Konstruktion aber auch.

***

„Sie klagte wegen seiner seltenen Besuche, fand einen Vorwand, etwas zu sagen.“ p. 218

Im Original:

Elle se plaignit de ses rares visites, trouva moyen de dire quelque chose.

Übersetzung etwas schwerfällig. Besser gelöst von Cornelia Hasting: „Sie beklagte sich über die Seltenheit seiner Besuche, plauderte ein wenig.“

***

p. 225/5:

„‚Du hast wirklich einen Schädel.‘

‚Er hat schon mancher den ihren verdreht.'“

Frédéric und Matinon im Gespräch; bei Hasting heisst es „Charakterkopf“ statt Schädel, und dann funktioniert auch Matinons Replik. Den Schädel verdrehen? Eher nicht.

***

Dagegen p. 233:

„So verteidigte er ihn auf nebelhafteste Weise (…)“

Brillante Übersetzung, nebelhaft (im Gegensatz zu „lebhaft“); Mme Arnoux hat eben vor Frédéric ihren Mann (der dann aus dem Haus gestürmt ist) der Lüge und Untreue überführt.

***

p. 247:

„(…) und kippte ein Gläschen nach dem anderen, gedankenlos.“

im Original:

il s’exaltait et buvait des petits verres, coup sur coup, machinalement.

Deslauriers ist eben gerade nicht „gedankenlos“, sondern voller Gedanken. „Mechanisch“ wohl die bessere Wahl.

***

p. 464:

„Und aufblickend entdeckte er am anderen Tischende Mademoiselle Roque.“

im Original:

Et, levant les yeux, il aperçut, à l’autre bout de la table, Mlle Roque.

„Entdeckte“ vielleicht etwas forciert (er hatte Louise schon zuvor gesehen), aber keine schlechte Wahl.

***

p. 505

„Dieser Schwund der Männlichkeit liess ihm den Kopf völlig frei (…)“

im Original:

Cette atrophie sentimentale lui laissait la tête entièrement libre,

Frédéric findet Mme Dambreuse sexuell nicht sehr anziehend (die Brust ist zu „mager“).  Wenn er mit ihr schläft, stellt er sich Bilder von Rosanette oder Mme Arnoux vor (interessant, dass die beiden hier auf derselben Ebene erscheinen). Die „Atrophie der Gefühle“ (Übersetzung Hastings) hat ganz klar eine sexuelle Komponente; die Übersetzung mit „Schwund der Männlichkeit“ ist aber fragwürdig. Hat sich hier Edl von ihrer Neuübersetzung des Buchtitels verleiten lassen? Wenn man die sexuell Komponente in den Vordergrund rücken will, wäre vielleicht „Das Schwinden des Begehrens“ oder „Der Schwund der Begierde“ eine Variante.

 

SEITE: 143 - 386 Moritz T. Keine Kommentare
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Zweiter Teil

Anmerkung:

Grossartige Schilderung der Einfahrt mit der Nacht-Postkutsche in das im Morgenlicht von Osten her nicht so glamouröse Paris; Hinterhöfe, Schmutz, Fabrikschlote, fahles Licht, kalt. Frédéric vermag das nichts anzuhaben; er sehnt das Wiedersehen mit Mme Arnoux herbei. Doch als er sie aufsuchen will, stellt sich heraus, dass die Arnoux’ nicht mehr an der Rue de Choiseul wohnen.

Das vom Onkel geerbte Vermögen ermöglicht Frédéric das Leben eines Müssiggängers, wenn auch die finanzielle Komfortzone nicht sehr gross ist. Wie eine Jojo-Kugel nähert sich Frédéric immer wieder an Mme Arnoux an, nur um sich dann wieder zu entfernen; immerhin kann er eine gewisse Nähe herstellen, aber der entscheidende Schritt, sie zu seiner Geliebten zu machen, will nicht gelingen. Wenn er sich wieder von Mme Arnoux entfernt, zieht es ihn zur «Marschallin» Rosanette hin, Mätresse auch von M. Arnoux. Ganz am Ende von Teil II gewinnt er Rosanette endlich als Geliebte. Sein Herz aber ist anderswo. – Seine Mutter intrigiert derweil in der Heimat an einer Heirat mit der Tochter des nicht ganz standesgemässen, aber reichen Nachbarn. Immer noch droht ein «Happy End» im Sumpf der Provinz.

Breiten Raum nimmt im zweiten Teil die Schilderung des gesellschaftlichen und politischen Pariser Lebens ein; wir lernen ein breites Spektrum von frühsozialistischen bis hin zu reaktionären Standpunkten kennen. Allmählich machen sich Unruhen bemerkbar, im Vorfeld der Februarrevolution 1848. Frédéric bleibt ein Aussenseiter, ohne Beschäftigung, mit zerbröselnden Freundschaften, unerfüllter Liebe, und ohne klare Zukunftsperspektive.

SEITE: 279 - 286 Moritz T. Keine Kommentare
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Am Pferderennen (Zweiter Teil, Kapitel IV)

Anmerkung:

Frédéric meint endlich Rosanette erobert zu haben, „die Marschallin“, zuvor unter anderem auch Mätresse von Arnoux. Er fährt mit ihr in der Kutsche ans Pferderennen, das sie aus dem Gefährt beobachten. Brillant geschilderte Eindrücke (offenbar teilweise von Théophil Gautier übernommen, wie die Anmerkungen verraten) der Rennen wie auch der Zuschauer, in impressionistischer Manier: jedenfalls lassen einen die Szenen an Degas oder Renoir denken.

Es ist aber nicht nur ein Wettbewerb der Rennpferde, sondern auch der unterschiedlich ausgestatteten Kutschen, Kaleschen, Landauer, „Mylords“, „Breaks“, „Escargots“, „Berlinen“, die am Ende des Rennens bei einsetzendem Regen im Stau stehen. Man wirft Blicke von Kutsche zu Kutsche, macht Statusvergleiche; imponierende BMWs, bescheidenere Renaults.

Auf dem Rückweg beschmutzt seine „Berline“ einen Fussgänger, in dem Frédéric den Jugendfreund Deslauriers erkennt. Aber auch Frédéric und drei zentrale  Frauenfiguren des Romans begegnen sich am Rennen: Schlüsselszene des Romans? Einst Annäherung an Mme Arnoux in der Kutsche, jetzt ein Bruch in der Beziehung von Kutsche zu Kutsche, herbeigeführt von der „Marschallin“, die – mit Frédéric an ihrer Seite –  die Rivalin lauthals blossstellt. Mme Dambreuse sieht ihn mit der Mätresse.

„Da erinnerte sich Frédéric der nun schon fernen Tage, als ihn nach diesem unsagbaren Glück verlangte, in einem dieser Wagen zu sitzen, neben einer dieser Frauen. Ja, er besass dieses Glück, und er war nicht froher darum.“ (p. 286)

Die Zeit des jugendlichen Schwebens, des Träumens ist vorbei. In der Kutsche gefangen, festgelegt, den Blicken ausgesetzt.

 

 

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