Lehrjahre der Männlichkeit
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Besprechung
Moritz T.
Anmerkungen zur Übersetzung
Titel «Lehrjahre der Männlichkeit. Geschichte einer Jugend»
«Die Erziehung der Gefühle» oder „Lehrjahre des Herzens“ scheinen näher an «L’éducation sentimentale», und sind eingängiger als der von Elisabeth Edl gewählte Titel «Lehrjahre der Männlichkeit», der etwas sperrig daherkommt, nicht zuletzt weil «Männlichkeit» in der Gegenwart ein schillernder Begriff ist. Aber Edl legt im Nachwort engagiert dar, warum die freiere Übersetzung der Intention Flauberts am besten entspricht. Sie kann sich dazu auch auf den grossen dänischen Germanisten Georg Brandes berufen, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts den Titel entsprechend interpretierte. Ob sich aber «Lehrjahre der Männlichkeit» durchsetzt?
p. 9
„(…) und die beiden Ufer, bestückt mit Lagerhäusern, Werften und Fabriken, zogen dahin wie zwei breite Bänder, die man entrollt.“
Im Original:
et les deux berges, peuplées de magasins, de chantiers et d’usines, filèrent comme deux larges rubans que l’on déroule.
Zunächst könnte man Zweifel hegen an der Wortwahl „bestückt“; aber die „Gebäude-Stücke“ fügen sich schön ein auf die „Bänder“. Im Original „peuplées“ wurde in älterer Übersetzung mit „belebt“ wiedergegeben, nah am Original, aber wenig treffend, während Cornelia Hasting in ihrer Übersetzung aus dem Jahr 2000 den Satz aus unerfindlichen Gründen einfach weglässt.
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p. 132
„(…) und sie rügte ihn, da erhielt er einen Brief.“
Frédéric gesteht der Mutter, die Möbel in seiner Pariser Wohnung Freund Deslauriers überlassen zu haben.
Original:
„et elle le grondait, quand il reçut une lettre.“
Etwas schwerfällige Übersetzung; leicht eigenartige Konstruktion aber auch.
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„Sie klagte wegen seiner seltenen Besuche, fand einen Vorwand, etwas zu sagen.“ p. 218
Im Original:
Elle se plaignit de ses rares visites, trouva moyen de dire quelque chose.
Übersetzung etwas schwerfällig. Besser gelöst von Cornelia Hasting: „Sie beklagte sich über die Seltenheit seiner Besuche, plauderte ein wenig.“
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p. 225/5:
„‚Du hast wirklich einen Schädel.‘
‚Er hat schon mancher den ihren verdreht.'“
Frédéric und Matinon im Gespräch; bei Hasting heisst es „Charakterkopf“ statt Schädel, und dann funktioniert auch Matinons Replik. Den Schädel verdrehen? Eher nicht.
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Dagegen p. 233:
„So verteidigte er ihn auf nebelhafteste Weise (…)“
Brillante Übersetzung, nebelhaft (im Gegensatz zu „lebhaft“); Mme Arnoux hat eben vor Frédéric ihren Mann (der dann aus dem Haus gestürmt ist) der Lüge und Untreue überführt.
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p. 247:
„(…) und kippte ein Gläschen nach dem anderen, gedankenlos.“
im Original:
il s’exaltait et buvait des petits verres, coup sur coup, machinalement.
Deslauriers ist eben gerade nicht „gedankenlos“, sondern voller Gedanken. „Mechanisch“ wohl die bessere Wahl.
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p. 464:
„Und aufblickend entdeckte er am anderen Tischende Mademoiselle Roque.“
im Original:
Et, levant les yeux, il aperçut, à l’autre bout de la table, Mlle Roque.
„Entdeckte“ vielleicht etwas forciert (er hatte Louise schon zuvor gesehen), aber keine schlechte Wahl.
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p. 505
„Dieser Schwund der Männlichkeit liess ihm den Kopf völlig frei (…)“
im Original:
Cette atrophie sentimentale lui laissait la tête entièrement libre,
Frédéric findet Mme Dambreuse sexuell nicht sehr anziehend (die Brust ist zu „mager“). Wenn er mit ihr schläft, stellt er sich Bilder von Rosanette oder Mme Arnoux vor (interessant, dass die beiden hier auf derselben Ebene erscheinen). Die „Atrophie der Gefühle“ (Übersetzung Hastings) hat ganz klar eine sexuelle Komponente; die Übersetzung mit „Schwund der Männlichkeit“ ist aber fragwürdig. Hat sich hier Edl von ihrer Neuübersetzung des Buchtitels verleiten lassen? Wenn man die sexuell Komponente in den Vordergrund rücken will, wäre vielleicht „Das Schwinden des Begehrens“ oder „Der Schwund der Begierde“ eine Variante.
Erster Teil
Zu Beginn des Romans kehrt der 18-jährige Frédéric Moreau von einer Reise nach Le Havre zurück in seinen Heimatort Nogent-sur-Seine, via Paris. Zweck der Reise: seinen Erbonkel günstig zu stimmen. Am Ende des ersten Teils (nach 130 Seiten) erhält der Held des Romans dann einen Brief mit der Nachricht, dass sein Onkel verstorben sei, ohne ein Testament zu hinterlassen. Frédéric erbt eine beträchtliche Summe, die ihn aus dem «provinziellen Sumpf» (und der Obhut seiner Mutter) zieht, worin er beinah stecken geblieben wäre. Jetzt steht ihm die Welt, und das heisst: Paris offen, und der Weg zu der angebeteten Mme Arnoux, Gattin eines Kunsthändlers, der er sich während seiner Jura-Studienjahre am Rand der Bohème angenähert hatte, unter zeitweiligem Zagen und Zweifeln, aber auch rauschhaften Zukunftsprojektionen. Zum ersten Mal gesehen hatte er Mme Arnoux auf jener Heimreise auf einem Seine-Raddampfer.
„(…) und die beiden Ufer, bestückt mit Lagerhäusern, Werften und Fabriken, zogen dahin wie zwei breite Bänder, die man entrollt.“
Was für ein Auftakt! Erst werden wir mit allen Sinnen in den Tumult vor dem Ablegen des Schiffes hineingezogen, bis eine Dampfwolke alles verhüllt. Mit dem Entrollen der Ufer-Bänder, in Entsprechung zum Fortgang des Textes, wird der Leser an Bord genommen, er fährt mit.
„‚Ein Ignorant ist das, ein Bürger, ein Schuft, ein Halunke!'“
In der Bohème wird der Bürger gleichgesetzt mit dem Halunken; Maler Pellerin über den Kunsthändler Arnoux.
„Da Schatten sie umhüllte, konnte er zunächst nichts wahrnehmen als ihren Kopf.“
Endlich trifft Frédéric Mme Arnoux wieder, nach vielen Monaten und 60 Seiten, die einen unmotivierten und unfokussierten Jus-Studenten zeigen. Zwar hat er zwischenzeitlich Mme Arnoux fast vergessen; aber er hat keine anderen tieferen Interessen. Zerstreute Szenen zeigen ihn am Rand der Bohème, ohne dass er eine Leidenschaft für die Kunst oder wenigstens diese Lebensform entwickelt.
„Eine wunderbare Kraft, die noch ihren Gegenstand suchte, war ihm zugefallen. Er fragte sich ernsthaft, ob er ein grosser Maler werden sollte oder ein grosser Dichter; – und er entschied sich für die Malerei (…)“
Frédéric, berauscht von einem Händedruck Mme Arnoux‘ zum Abschied (der freilich auch anderen Gästen zuteil wurde). Herrlich, wie Flauberts Sarkasmus durch alle Zeilenritzen durchschimmert. Die lakonische, rasche Entscheidung zugunsten der Malerei verdankt sich übrigens auch Mme Arnoux: ihr Gatte ist ja als Kunsthändler tätig.
„Die Kunst müsse ausschliesslich auf die Moralisierung der Massen hinzielen! Man dürfe nur Stoffe behandeln, die anspornten zu tugendhaften Taten; alles andere sei schädlich. (…)
‚Nein, Monsieur, Sie haben kein Recht, mein Interesse auf Dinge zu lenken, die ich verdamme.'“
Sénécal, in woker Manier im Streitgespräch mit dem Maler Pellerin, der Frédéric Unterricht gibt.
„Pellerin wollte nicht gelten lassen, dass es schöne Frauen gebe (er bevorzugte Tiger) (…)“
Hübsch
„(…) und er sagte mit seiner allerzärtlichsten Stimme:
‚Sie leiden?‘
‚Ja, ein wenig‘, antwortete sie.“
Annäherung in der Kutsche (wie viele Anbändeleien sind diesem Gefährt zu verdanken, im realen Leben und in der Literatur?), währenddem Mme Arnoux‘ Tochter Marthe hingestreckt zwischen Frédéric und ihr schläft; gleich wird Frédéric Marthe auf die Stirn küssen. Und im Dunklen die Hand nach Mme Arnoux ausstrecken, nur um sie dann wieder verschämt zurückzuziehen.
„Er bewies weder Kenntnis noch Tauglichkeit.“
Monatelang hatte ihn seine Mutter bearbeitet, in der Kanzlei Prouharam eine Stelle anzutreten, nachdem sie ihm entdeckt hatte, dass das Familienvermögen bedeutend geringer war, als Frédéric angenommen hatte. Endlich hat sie ihn soweit; die Erwartungen an den jungen Juristen waren allgemein gross. Flaubert braucht einen Satz, um sie zu enttäuschen: lakonisches, ökonomisches Erzählen. Sofort wendet sich die Aufmerksamkeit wieder der fernen Mme Arnoux zu.
„(…) und sie rügte ihn, da erhielt er einen Brief.“
Frédéric gesteht der Mutter, die Möbel in seiner Pariser Wohnung Freund Deslauriers überlassen zu haben.
Original:
„et elle le grondait, quand il reçut une lettre.“
Etwas schwerfällige Übersetzung; leicht eigenartige Konstruktion aber auch.
„Nun begleitete er sie zur Messe, spielte am Abend eine Partie Impérial, gewöhnte sich an die Provinz, versumpfte (…)“
Katholizismus und Kartenspiel, in Obhut der Mutter; im Sumpf der Provinz.
Zweiter Teil
Grossartige Schilderung der Einfahrt mit der Nacht-Postkutsche in das im Morgenlicht von Osten her nicht so glamouröse Paris; Hinterhöfe, Schmutz, Fabrikschlote, fahles Licht, kalt. Frédéric vermag das nichts anzuhaben; er sehnt das Wiedersehen mit Mme Arnoux herbei. Doch als er sie aufsuchen will, stellt sich heraus, dass die Arnoux’ nicht mehr an der Rue de Choiseul wohnen.
Das vom Onkel geerbte Vermögen ermöglicht Frédéric das Leben eines Müssiggängers, wenn auch die finanzielle Komfortzone nicht sehr gross ist. Wie eine Jojo-Kugel nähert sich Frédéric immer wieder an Mme Arnoux an, nur um sich dann wieder zu entfernen; immerhin kann er eine gewisse Nähe herstellen, aber der entscheidende Schritt, sie zu seiner Geliebten zu machen, will nicht gelingen. Wenn er sich wieder von Mme Arnoux entfernt, zieht es ihn zur «Marschallin» Rosanette hin, Mätresse auch von M. Arnoux. Ganz am Ende von Teil II gewinnt er Rosanette endlich als Geliebte. Sein Herz aber ist anderswo. – Seine Mutter intrigiert derweil in der Heimat an einer Heirat mit der Tochter des nicht ganz standesgemässen, aber reichen Nachbarn. Immer noch droht ein «Happy End» im Sumpf der Provinz.
Breiten Raum nimmt im zweiten Teil die Schilderung des gesellschaftlichen und politischen Pariser Lebens ein; wir lernen ein breites Spektrum von frühsozialistischen bis hin zu reaktionären Standpunkten kennen. Allmählich machen sich Unruhen bemerkbar, im Vorfeld der Februarrevolution 1848. Frédéric bleibt ein Aussenseiter, ohne Beschäftigung, mit zerbröselnden Freundschaften, unerfüllter Liebe, und ohne klare Zukunftsperspektive.
„Um vier Uhr schliesslich sprang Frédéric (…) plötzlich auf (…)“
Zurück in Paris, aber Arnoux und Frau sind verschwunden; Frédéric heftet sich auf die Spuren der gemeinsamen Bekannten, lässt sich zu einer langen Warterei auf Régimbart und vielen Drinks in einer Spelunke verführen. Endlich hat er genug; im Original allerdings hat er es eine halbe Stunde länger ausgehalten. Nur um zu erfahren, dass der Wirt ohnehin jemand anderem im Sinne hatte, der angeblich bald erscheinen sollte. Absurd vertaner Tag.
Wiederbegegnung mit Mme Arnoux
Endlich findet Frédéric die Arnoux, die jetzt einen dreijährigen Sohn haben. Frédéric muss also mehr als drei Jahre in Nogent-sur-Seine verbracht haben. Etwas überraschend lange für das Gefühl des Lesers. – Frédéric registriert erstaunt, von seinen Liebesgefühlen nicht übermannt zu werden; nüchtern, könnte man sagen, trotz der nachmittäglichen Zecherei, von der nichts zu spüren ist.
„Es folgten allerhand Geschichten: Kalauer, Anekdoten, Aufschneidereien, Wetten, Lügen, die für wahr durchgingen, unwahrscheinliche Behauptungen (…). Der Wein strömte, Gericht folgte auf Gericht, der Doktor tranchierte.“
Etwas kursorisch… Warum nur sind Bälle in Romane meist langweilig? Durchscheinende Funktion: Der Autor kann viele Akteure aufs Mal in Aktion zeigen und in Beziehungen setzen, Kostüme schildern; die Dekadenz der Hauptstadt zeigen.
„Das Handeln wird für manche Männer umso schwieriger, je grösser das Begehren ist.“
Vager Plan und Zufall haben ihm intimen Zugang verschafft zu Mme Arnoux, den er gekonnt nutzt; er leiht ihren Klagen über die Liederlichkeit des Ehemanns sein Ohr, einen Resonanzraum eröffnend: „Frédéric beteuerte, auch sein Leben sei verfehlt.“ (p. 236)
Soweit, so gut für den Möchtegern-Liebhaber. Aber eine „unbezwingbare Scham“ hält ihn zurück.
„‚Und was die vertretene Meinung betrifft, so ist es meiner Überzeugung nach am vernünftigsten und am stärksten, wenn man gar keine hat.'“
Der alte und etwas vernachlässigte Freund Deslauriers, der mit finanzieller Hilfe Frédérics eine Zeitung gründen möchte.
Am Pferderennen (Zweiter Teil, Kapitel IV)
Frédéric meint endlich Rosanette erobert zu haben, „die Marschallin“, zuvor unter anderem auch Mätresse von Arnoux. Er fährt mit ihr in der Kutsche ans Pferderennen, das sie aus dem Gefährt beobachten. Brillant geschilderte Eindrücke (offenbar teilweise von Théophil Gautier übernommen, wie die Anmerkungen verraten) der Rennen wie auch der Zuschauer, in impressionistischer Manier: jedenfalls lassen einen die Szenen an Degas oder Renoir denken.
Es ist aber nicht nur ein Wettbewerb der Rennpferde, sondern auch der unterschiedlich ausgestatteten Kutschen, Kaleschen, Landauer, „Mylords“, „Breaks“, „Escargots“, „Berlinen“, die am Ende des Rennens bei einsetzendem Regen im Stau stehen. Man wirft Blicke von Kutsche zu Kutsche, macht Statusvergleiche; imponierende BMWs, bescheidenere Renaults.
Auf dem Rückweg beschmutzt seine „Berline“ einen Fussgänger, in dem Frédéric den Jugendfreund Deslauriers erkennt. Aber auch Frédéric und drei zentrale Frauenfiguren des Romans begegnen sich am Rennen: Schlüsselszene des Romans? Einst Annäherung an Mme Arnoux in der Kutsche, jetzt ein Bruch in der Beziehung von Kutsche zu Kutsche, herbeigeführt von der „Marschallin“, die – mit Frédéric an ihrer Seite – die Rivalin lauthals blossstellt. Mme Dambreuse sieht ihn mit der Mätresse.
„Da erinnerte sich Frédéric der nun schon fernen Tage, als ihn nach diesem unsagbaren Glück verlangte, in einem dieser Wagen zu sitzen, neben einer dieser Frauen. Ja, er besass dieses Glück, und er war nicht froher darum.“ (p. 286)
Die Zeit des jugendlichen Schwebens, des Träumens ist vorbei. In der Kutsche gefangen, festgelegt, den Blicken ausgesetzt.
„Zu lang schon bezwang er sein Herz. Endlich hatte er es zufriedengestellt, er verspürte so etwas wie stolze Männlichkeit, einen Überfluss innerer Kräfte, die ihn berauschten. Er brauchte zwei Sekundanten.“
Der vermögende Cisy lädt Frédéric zusammen mit anderen zu einem üppigen Diner. Cisy hatte ihn bei der Marschallin ausgestochen; jetzt beleidigt er Mme Arnoux. Ausser sich vor Wut wirft Frédéric einen Teller nach Cisy, der ihn anschliessend zum Duell auffordert, das in einer einzigen Farce endet.
„Und Frédéric liebte sie so sehr, dass er ging.
Gleich danach packte ihn der Zorn auf sich selbst, er schalt sich einen Trottel, und vierundzwanzig Stunden später kam er wieder.“
Endlich gesteht Frédéric (nach 360 Seiten) Mme Arnoux seine Liebe. Sie bittet ihn zu gehen. Er lässt sich nicht abschütteln, sie lässt sich nicht erweichen. Frédéric verzweifelt, als sie nicht zu einem Rendez-vous erscheint, das sie wegen ihres kranken Sohns verpasst. Frédéric landet doch noch bei der Marschallin.
Dritter Teil
Stärkerer Ausschlag der Amplituden: Die Revolution bricht aus, und Frédéric stützt sich ins Getümmel, aber er bleibt ein Zaungast der politischen Umwälzungen, wie er in gewisser Weise ein Zaungast des Lebens bleibt. Zwar hat er sich in der Pariser Gesellschaft eine gewisse Position schaffen können, basierend auf seiner Erbschaft, mit einer adligen Geliebten, Mme Dambreuse, und einer Mätresse, die ihm ein Kind gebiert, das früh stirbt. Mit ihr, Rosanette, verlebt er während der Revolution einige Tage in Fontainebleau, wo sich die beiden inmitten der wundervoll beschriebenen Natur auch emotional nahe sind. Aber das bleibt eine flüchtige Episode. Seine einzige Leidenschaft bleibt Mme Arnoux, die seine Gefühle erwidert, aber die beiden kommen nicht zusammen. Weder für Politik noch fürs Geschäft entwickelt er nachhaltiges Interesse, und verpasst die vielen Chancen, die die Umwälzungen bieten würden. Am Ende blickt er – als «Kleinbürger», der grösste Teil seines Vermögens ist weg – mit dem Jugendfreund Deslauriers auf ein «verpfuschtes Leben» zurück.
„‚Egal‘, sagte Frédéric, ‚ ich finde das Volk erhaben.'“
Frédéric – zusammen mit Hussonnet – als Zaungast der Revolution.
In Fontainebleau
Mehrtägiger Ausflug mit der Marschallin nach Fontainebleau. Überraschend enthusiastische Schilderung der Wälder und der Landschaft, in die Frédéric und seine Geliebte, fern vom Pariser Trubel, eintauchen. Die Beschreibungslust Flauberts scheint sich hier ein Stückweit verselbständigt zu haben; soviel Naturschwärmerei traut man Frédéric kaum zu. Ein Idyll, die beiden lernen sich besser kennen, und vielleicht sogar lieben. Rosanette erzählt Frédéric, wie sie – fast noch ein Kind – mit Wissen ihrer Mutter von einem fremden Mann sexuell missbraucht worden war.
„‚Was für ein Lügner!‘, sagte sich Madame Arnoux.
‚Darum also hat er mich verlassen!‘ dachte Louise.“
Diner bei den Dambreuses, mit vielen wichtigen Romanfiguren: Mme und M Arnoux, Louise Roque und ihr Vater, Pellerin, Cisy und Martinon, die der Dambreuse-Nichte (oder gar Tochter?) Cécile den Hof machen. Die Konversation dreht sich um Pellerins Bild der „Marschallin“ – und Frédérics Rolle. „Was Frédéric anging, so war das Modell ganz gewiss seine Mätresse. Solche Überzeugungen entstehen im Nu (…)“; der Roman gewährt uns hier lakonische Einblick in die Gedankenwelt von von Mme Arnoux und Louise.
„Mit einem liebevollen Schluchzen war sie aufgesprungen. Ihre Arme öffneten sich; und stehend umarmten sie einander, in einem langen Kuss.“
Kitschige Versöhnungsszene; endlich haben sich Frédéric und Mme Arnoux gefunden. Man wundert sich etwas über diesen Stil – aber Flaubert schraubt damit die Fallhöhe nach oben: Im nächsten Moment knarzt das Parkett und die beiden werden von der „Marschallin“ Rosanette unterbrochen und gnadenlos gedemütigt; sie holt Frédéric quasi nach hause. Die Szene endet mit dem Abgang Frédérics und der „Marschallin“, unter einem Lachen von Mme Arnoux, das man sich verzweifelt und grauenvoll vorstellt. – Rosanette zieht wohl eine Legitimation für ihr Vorgehen aus ihrer Schwangerschaft, die sie in der nächsten Szene dem unglücklichen Frédéric enthüllt.
„Das politische Geschwätz und das gute Essen lähmten sein Anstandsgefühl. So mittelmässig ihm die Leute auch schienen, er war stolz, sie zu kennen, und in seinem Innern sehnte er sich nach bürgerlicher Achtung. Eine Geliebte wie Madame Dambreuse würde ihm Ansehen verschaffen.
Er tat fortan alles Nötige.“
Im jetzt gerade konservativ-reaktionären, prinzipiell aber opportunistisch gesinnten Milieu der Dambreuses. Die Hausherrin zum Ehebruch verführen, um sich damit Anerkennung zu verschaffen.
„(…) und die Passanten waren vor Ehrfurcht ergriffen angesichts der grossen Menge Stroh auf der Strasse, unter den Fenstern.“
Mme Dambreuse pflegt hingebungsvoll ihren todkranken Gatten, und erntet dafür Bewunderung. Das Stroh, so klären uns die zuverlässigen Anmerkungen auf, dämpft den Lärm der Wagenräder. Hübsches Detail.
Auch hier wieder: Flaubert bereitet seine chocs sorgfältig vor: M. Dambreuse stirbt, und Minuten später zieht die fromme Gattin vor Frédéric erbarmungslos über den stupiden Verstorbenen her, der ihr mit der verhassten Cécile eine Bastardin ins Haus gebracht hat. Sie fragt den perplexen Frédéric gar, ob er sie heiraten wolle.