
Leo Strauss
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Besprechung
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„(…) Philosophie nicht als ein Lehrgebäude oder ein Fach, sondern als eine besondere Form des Lebens zu verstehen sei. In diesem Verständnis stimmt er mit den wahren Philosophen von Platon bis Nietzsche überein.“
Leo Strauss stimmt also überein mit Nietzsche und Platon. Mit der Bezeichnung „wahre Philosophen“ bezieht auch Heinrich Meier Position.
Kapitel 1: Das philosophische Leben. The law of reason of „Kuzari“
Aus den Erörterungen Meiers zur Lektüre Strauss von Halewis «Kuzari» lässt sich extrahieren: Der Philosoph ist prinzipiell ein asoziales Wesen, seine Erkenntnisse bleiben zuletzt relativ und können darum nicht verbindend sein. Das Argument für den Glauben ist ein politisches / soziales: ohne das Fundament einer Offenbarungs-Religion kann ein Gemeinwesen nicht bestehen.
Unklar bleibt aber zunächst die Position der Politischen Philosophie. Müsste nach der Darlegung doch ein Oxymoron sein?
„Er erkennt im Kuzari zuallererst das perfekte Sujet für die Einführung des Begriffs des philosophischen Lebens und für die Verhandlung des Vernunftgesetzes.“
Merkwürdige Strategie, die Meier hier Strauss unterstellt. Anhand der Interpretation einer mittelalterlichen Dichtung, die den (jüdischen) Glauben verteidigt, will Leo Strauss seinen Begriff des „philosophischen Lebens“ etablieren.
Das Problem dieser Strategie: um mit Autorität über das philosophische Leben zu reden, muss da nicht einer selbst Philosoph sein? Aber der „Kuzari“ zeichnet sich durch scharfe Kritik an der Philosophie aus. Ist der Autor Halewi also kein Philosoph, sondern ein Philosophie-Gegner? Aber wie kann ein Gegner glaubwürdig über das philosophische Leben berichten?
Das ist nur dann nicht möglich, wenn man von einer scharfen Trennung von Philosophie und Glauben ausgeht; dies scheint allerdings hier eine Grundannahme zu sein, vgl. auch p. 19/20. Aber selbst wenn man das zugibt: warum soll sich ein Philosoph nicht zum Glauben bekehren können, und dann aus seinem eigenen früheren Leben als Philosoph berichten?
Strauss scheint zu argumentieren, dass ein genuiner Philosoph nicht konvertieren kann. Und wenn er konvertiert, war er kein genuiner Philosoph.
Halewi A und Halewi B
Erörterung zweier Hypothesen:
Halewi A: er ist ein raffinierter, camouflierter Philosoph, der dem Leser anheimstellt, die Gedanken des (meist) abwesenden Philosophen zu denken und so selbst zum Philosophen zu werden.
Strauss selbst räumt ein, dass das unwahrscheinlich ist.
Halewi B: er war ein Philosoph, hat aber zum Glauben gefunden. Nur… dann war er aber gemäss Strauss kein genuiner Philosoph.
„Die Philosophie setzt ein mit der Infragestellung von Autorität und Tradition. Das philosophische Leben beginnt mit der Leugnung einer Verbindlichkeit oder Gehorsamspflicht (…), wonach es kein zurück gibt.“
Radikale Trennung, der Philosoph kann nicht gläubig sein.
„(…) tritt Strauss an die Stelle des Philosophen, der die Szene verlassen hat. Er ist im Unterschied zu Halewis Persona ein politischer Philosoph.“
In Halewis Dichtung gibt es die Position des politischen Philosophen gar nicht. Umso merkwürdiger, dass Strauss dieses Werk nutzt, um das Profil dieser Rolle zu schärfen.
„Die Vernunft wäre, auf sich gestellt, in der Lage zu erkennen, dass keine Gesellschaft ohne Religion bestehen kann, aber sie erwiese sich ausserstande, den Glauben und das Handeln, derer die Gesellschaft bedarf, richtig zu bestimmen.“
Das kann dann nur die geoffenbarte Religion leisten?
„Die Flagge des Naturrechts stellt einen verbindlichen Massstab in Aussicht. Sie verspricht einen Weg zu weisen aus der Orientierungslosigkeit des Relativismus.“
Damit forderte Leo Strauss „die mächtigsten Strömungen in der Philosophie und Politischen Wissenschaften“ um 1950 heraus, den Historismus und den Positivismus (p. 57/8).
„‚The more we cultivate reason, the more we cultivate nihilism: the less are we able to be loyal members of the society. The inescapable practical consequences of nihilism is fanatical obscurantism.'“
Aus einer 1970 geschriebenen Einleitung zur Neuauflage von „Natural Right and History“. Ob die Kulturrevolution um 1968 in den USA eine Rolle spielte für den verschärften Ton?
„Wenn der Historismus die Behauptung aufrecht erhalten will, alles Denken sei geschichtlich gebunden und folglich geschichtlich überholbar, muss er seine Behauptung von der geschichtlichen Vorläufigkeit oder Hinfälligkeit ausnehmen.“
Meier referiert hier ein Argument von Strauss gegen den Historismus. Nicht ganz überzeugende Durchführung der Argumentation. Was spricht dagegen, dass die Grund-Erkenntnis des Historismus zeitlich begrenzt ist, in der gegenwärtigen Epoche aber Gültigkeit aufweist?
„(…) sondern richtet alle Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit der Offenbarung. Denn die Möglichkeit allein scheint den Ausschlag zu geben und das Patt schliesslich in eine Niederlage der Philosophie zu verwandeln.“
Strauss stellt die Frage, ob die religiöse Offenbarung oder die Philosophie die Oberhand behält, oder ob es ein Patt, ein Unentschieden gibt.
Die Philosophie stosse an Grenzen und könne die Rätsel des Seins nicht lösen: „the need of divine illumnination cannot be denied.“ Und weiter: „Philosophy has to grant that revelation is possible.“
Das scheint nun im Gedankengang von Leo Strauss die Niederlage der Philosophie einzuleiten. Warum allerdings die Philosophie die Möglichkeit der Offenbarung einräumen muss, bleibt an dieser Stelle unklar. Und geht aus dem Bedürfnis nach göttlicher Erleuchtung auch schon die Tatsache der Erleuchtung hervor?
In einer Fussnote auf Seite 92 führt Meier aus, dass „Schüler und Schüler von Schülern von Strauss“ immer wieder die Meinung geäussert haben, „Strauss sei selbst ein Vertreter des ‚Patts‘ zwischen Philosophie und Offenbarung.“ Das klingt nach esoterischem Geraune. Man hätte sich vom Autor hier etwas mehr Distanz gewünscht, kritische Fragen zur von Strauss vorgelegten Ausgangslage und eine nüchterne Einordnung.
„‚The Old Testament, whose basic premise may be said to be the implict rejection of philosophy, does not know ’nature‘ (…).'“
Das Alte Testament kennt den Begriff der „Natur“ nicht. Bedeutet dies schon die implizite Zurückweisung der Philosophie?
„Die autoritativen Verfügungen, denen das Ganze unterworfen ist, sind stets die Verfügungen eines Teils und dienen zuerst den Interessen dieses Teils. Das gilt nicht nur für eine Monarchie oder eine Oligarchie, sondern auch für die Demokratie.“
Das ist eine Skepsis gegen jede Staatsform, die Partikularinteressen verfolgt. Und soweit hier Meier berichtet, gibt es keine mildernden Umstände für die Demokratie, weil sie vielleicht den Interessen einer grösseren Gruppe dient, oder auch: weil die Macht die Seiten wechseln kann.
Der Sündenfall besteht im „Konventionalismus“, die auf das Natur-Recht zu verzichten können glaubt.
„Das beste Regime ist das Regime, in dem die Herrschaft von den ihrer Natur nach Besten ausgeht: die bestmögliche Ausrichtung und Selbstauslegung des Gemeinwesens.“
Strauss relativiert dann alsogleich: Regime sei nicht gleichbedeutend mit Regierung. Das Regime scheint in der Praxis nicht umsetzbar und hat den Status einer Utopie. Zugleich aber soll es „einen Massstab angeben“.
Nach dieser Doktrin gibt es ganz offensichtlich aber prinzipiell die Möglichkeit festzustellen, was denn nun das Beste ist, und dafür muss man wohl die unverrückbaren natural rights-Grundsätze aufsuchen.
Es leuchtet ein, dass mit diesem Massstab die Demokratie keine besondere Hochachtung geniesst. Wechselnde Mehrheiten bringen tendenziell die Gefahr mit sich, vom Massstab abzurücken.
Demokratie wäre demnach wohl die typische Erscheinungsform des konventionalistischen, historistischen Denkens, die sich je nach Situation mal in diese oder jene Richtung bewegt.
„An die Stelle der ‚vollkommenen moralischen Ordnung‘, die die ‚Klassiker‘ in der Konzeption des besten Regimes vor Augen stellten, tritt das natürliche Gesetz, das weithin mit der zweiten Tafel des Dekalogs gleichgesetzt wird.“
Religiöse Offenbarung schlägt die Politische Philosophie, die aber in gewisser Weise mit der Berufung auf unverrückbare natural rights den Boden bereitet hat für „the city of god“, die dann auf dem „natürlichen Gesetz“ (=göttlichem Gesetz?) beruht.
„Wahre Gerechtigkeit verlangt göttliche Herrschaft.“
Klarer Satz.
„Die Politik, das bürgerliche Leben, verlangt die Versöhnung von Weisheit und Zustimmung, von Einsicht und Freiheit, oder, wie er jetzt hinzufügt, ‚einen fundamentalen Kompromiss zwischen Weisheit und Torheit‘.“
Das klingt dann doch pragmatisch und öffnet vielleicht auch die Türe für die Demokratie als adäquate Staatsform.
Es gibt Spielraum in den einzelnen politischen Handlungen. „There is a universally valid hierarchy of ends, but there are no universally valid rules of action.“ (p. 139). Insofern stellt sich das Naturrecht, oder eben in Straussens Terminologie, natural right, als wandelbar dar.
Aber ganz befriedigend ist das nicht. Die konsistente Lösung kommt dann mit der Offenbarungsreligion und ihren politischen Implikationen, wie sie Thomas von Aquin interpretiert (p.140ff). Wie steht aber Strauss dazu? Er scheint dem Staatsmann eine gewisse Handlungsfähigkeit (=Autonomie?) zuzugestehen, p. 141 („Aristoteles und Strauss (…)“).
Locke vs Hobbes
Locke: „eminent klug“, „berühmtester und einflussreichster aller moderner Naturrechtslehrer“
Hobbes: „unklug, schelmisch, bilderstürmerischer Extremist“, der für den Abbruch der Linie der Naturrechtslehre verantwortlich ist.
Weiter: Begründer des Liberalismus, Schöpfer des politischen Hedonismus und Atheismus.
Die Religion steht einer Umsetzung der politisch-praktischen Philosophie im Wege (p. 149). Könnte man sagen, dass Hobbes gemäss Strauss die delikate Balance oder das Spannungsfeld von Philosophie, Politischer Philosophie, Politische Praxis und Offenbarungsreligion zerstört hat, indem er keine Distanz von Politischer Philosophie und Politischer Praxis mehr tolerieren wollte?
Leise Distanzierung Meiers von teilweise einseitiger Darstellung Hobbes durch Strauss, p. 143/144.
„Only philosophy, not art, morality etc. etc., is the alternative to relevation: human guidance or divine guidance- Tertium non datur.“
Auszeichnung der Philosophie vor allen anderen Wissenschaften. Sie ist die einzige Alternative zur göttlichen Offenbarung.
Aber hier wieder die strikte Trennung. Either you got faith or unbelief, there ain’t not neutral ground.
„Strauss – denn von niemand anderem ist die Rede – versucht, das Feuer der Philosophie neu zu entfachen, indem er vermittels historischer Untersuchungen freilegt, was die Philosophie ursprünglich ausmacht, was ihre brennende und versehrende Frage ist, worin sie ihren Grund hat.“
Die Entdeckung der Natur durch die Philosophie bedeutet, dass die Philosophie „radikal atheistisch“ ist. Gott muss sich jetzt an der Natur beweisen lassen. Die Philosophie arbeitet also grundlegend mit der Hypothese, dass es keinen Gott gibt.
Strauss führt einen doppelten Kampf: er versucht die Philosophen zu überzeugen, dass die Auseinandersetzung mit der Offenbarungsreligion unumgänglich ist, und er versucht die Theologen zu überzeugen, sich mit der Philosophie auseinanderzusetzen. Beide Seiten scheinen Mitte des 20. Jahrhunderts nicht sonderlich interessiert…