
Mars
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Besprechung
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„(…) anderseits ist er eine seelische Krankheit, von der ich nur sagen kann, es sei ein Glück, dass sie endlich ausgebrochen sei. Ich meine damit, dass sie bei allem, was ich von zu Hause auf meinem unerfreulichen Lebensweg mitbekommen habe, das bei weitem Gescheiteste gewesen ist, das ich je in meinem Leben getan habe, dass ich Krebs bekommen habe.“
Zweierlei fällt auf: wie umstandslos hier eine somatische zu einer psychischen Krankheit gemacht und damit instrumentalisiert wird. Und wie umständlich der Satzbau ist.
Erster Teil, Kapitel I
Dem Gesetz der innerfamiliären Harmonie wird alles untergeordnet. Der Vater gibt üblicherweise eine Meinung vor, der dann die anderen bereitwillig und erleichtert folgen. Kontroverse Themen gelten als „schwierig“ oder „unvergleichbar“ und werden ausgeklammert. Aber Diskussionen werden auch vermieden bei banalen Alltagsdingen, wie beim Festlegen eines Termins. Die Harmonie könnte gestört werden. Der Sohn fügt sich nahtlos ein, er ordnet ausserfamiliäre Erfahrungen mit Nein-Sagern und kontroversen Standpunkten als exotisch ein, oder als Zeugnis von fehlender Reife. Sie stellen das familiäre Weltbild nicht in Frage.
Nicht ganz in dieses Bild passt, dass die Mutter zu einer Gegnerin des erst 1972 in der Schweiz eingeführten Frauenstimmrechts wurde, zu einer radikalen gar. Das ist nun allerdings eine kontroverse Position, zwar nicht innerhalb der Familie, der Vater ist natürlich derselben Ansicht, aber bestimmt im Umfeld der Familie. Wieso tabuisierte man die Frage nicht einfach als «schwierig»?
„Es musste alles harmonisch sein; etwas Problematisches durfte es nicht geben – denn dann ging die Welt unter.“
Eine ganz auf Harmonie getrimmte Familie. Dissens ist nur ein Missverständnis, das man aus dem Weg räumt. Meinungsverschiedenheiten sind nicht vorgesehen. Der Sohn lernt nicht streiten, er lernt nur Strategien der Streitvermeidung.
Das setzt eine umfassende Kontrolle der Emotionen voraus, die man sich bei einem Kind schwer vorstellen kann.
„Ich möchte das Wort ’schwierig‘ als nahezu magisch bezeichnen: Man sagte ’schwierig‘ über eine Sache, als sagte man einen Zauberspruch darüber, und die Sache war verschwunden.“
Effiziente Vermeidung von heiklen Themen in der Familie. Alles was „schwierig“ ist, kann nicht weiter diskutiert werden. Der Vater verfügt über eine weitere erfolgreiche Strategie: Dinge lassen sich nicht vergleichen. Ohne Vergleich ist auch keine Bewertung möglich.
Schwierig und nicht vergleichbar: zu dieser Erkenntnis muss man erst einmal gelangen. Leute, die sich auf kontroverse Themen einlassen, verfügen einfach noch nicht über diese intellektuelle Reife.
„(…) dass sie in ihren extremsten Formen (wie dies nun bei mir der Fall zu sein scheint) sich auch als neurotisch bedingte Krankheiten, zum Beispiel Krebs, manifestieren können.“
Krebs neurotisch bedingt. Keine These, sondern eine Feststellung. Ursache: Schäden durch falsche Erziehung. –
„(…) einen ganz repräsentativen Fall darstellt.“
Die Situation im Elternhaus mag zwar etwas extrem gewesen sein, aber der Ich-Erzähler hält sie dennoch für repräsentativ. – Nicht ganz unwichtig, dass wir es hier nicht mit einer Autobiographie zu tun haben, sondern mit einem Roman.