Mensch werden

Autor: Michael Tomasello
Verlag: Suhrkamp
Genre: Nachschlagewerke
Erscheinungsjahr: 2020
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-518-58750-8
Auflage: 2. Aufl.
Einbandart: Gebunden
Seitenzahl: 542
Sprache: Deutsch
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Besprechung

bheym

Mein Fazit auf den Punkt gebracht: inhaltlich interessant, Art der Darstellung und Verwendung von Begrifflichkeiten mangelhaft. Die Theorie der geteilten Intentionalität, die das spezifisch Menschliche...
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SEITE: 70 bheym Keine Kommentare
Stelle:

„[Über die kognitiven Fähigkeiten der Menschenaffen hinaus] brachen wir kognitive Prozesse, die sich für soziale und geistige Koordination mit sozialen Partnern entwickelt haben.“

Anmerkung:

Es gibt mindestens zwei wesentliche Unterschiede zwischen Menschenaffen und Menschen:

    1. Kognitive Prozesse wie das „Sich-Hineinversetzen in andere Artgenossen“ erfolgen bei Menschenaffen eher in Konkurrenz zueinander, während dies bei Menschen sehr oft der Kooperation dient.
    2. Menschen sind zur „rekursiven Schlüssen“ in Bezug auf geistige Zustände in der Lage. Beispiel: „Das Baby weiß, dass die Mutter ihre Aufmerksamkeit auf denselben Gegenstand richtet, und es weiß, dass die Mutter um die Aufmerksamkeit des Babys gegenüber dem Gegenstand weiß“.

Ich finde diese Punkte interessant, weil sie nicht auf der Hand liegen. Ich finde sie auch plausibel, aber weiß noch nicht, ob ich sie zwingend finde bzw. ob hier der entscheidende Punkt bei den Unterschieden zwischen Menschenaffen und Menschen getroffen wurde. Darüber hinaus würde ich es spannend finden, eine Erklärung für diese Unterschiede zu bekommen: Was genau ist es, was zu diesen Unterschieden führt, was haben also Menschen auf eine grundlegenden Ebene, was Menschenaffen nicht haben, damit sie sich kooperativ verhalten und rekursive Schlüsse ziehen können? Sind es am Ende doch die genetischen Unterschiede? Wenn die Antwort ist: Nein, es sind nicht die Gene, es sind die ontogenetischen Prozesse, kann man weiter fragen: Aber warum sind die ontogenetischen Prozesse so nachhaltig unterschiedlich, was ist es, was die Menschenkinder diesen Pfad einschlagen lässt, und die Menschenaffenkinder jenen?

SEITE: 134 ad.valsan 2 Kommentare
Stelle:

Diese Darstellung der frühen Ontogenese … Entwicklungsveränderung oder -transformation (siehe Rakoczy, 2015).

Anmerkung:

Ich habe Literatur zu Tomasello gesucht, die sich mit seiner Forschung bzw. seinen Denkmodellen auseinandersetzt. Um diese Literatur zu verstehen, musste ich mich in Dispute zwischen Entwicklungspsychologen einlesen, die divergierende Erklärungsansätze bezüglich der evolutionären Entstehung der spezifisch menschlichen Merkmale verfechten.
Im zitierten Abschnitt lässt Tomasello diese unterschiedlichen Ansätze anklingen. Unter der Annahme, dass sich Tomasellos Buch an ein gebildetes LAIENpublikum wendet und nicht an Entwicklungspsycholog*innen,  ist es nicht verständnisfördernd, solche Dispute anklingen zu lassen. Termini wie ’nativistisch‘ und ‚konstruktivistisch‘ werden in diesen Disputen mit einer Fachgebiet spezifischen Bedeutung verwendet, aber diese kennt doch das LAIENpublikum nicht (und Tomasello erläutert sie nicht). Mit solchen Einschüben verliert Tomasello einfach seine Leser*innen.

Bei der Durchsicht dieser Sekundärliteratur bin ich auch auf eine sprachliche Lösung bezüglich Tomasellos (mich und Moritz) störende Rede von ‚einzigartig‘ gestossen: Diese Autoren reden von ’spezifisch menschlichen‘ Eigenschaften oder Merkmalen oder ontogenetischen Entwicklungsschritten.

Im zitierten Abschnitt verwendet Tomasello die Bezeichnung ‚objektive Perspektive‘ und zwar ohne Anführungszeichen. Was soll man darunter verstehen? In vorangehenden Abschnitten, in denen er über die Perspektivenübernahme Dritter spricht, steht ‚objektiv‘ noch in Anführungszeichen. Irgendwo spricht er von der Vogelperspektive. Das ist für mich eher ein Schwadronieren, denn ein Vereinfachen für ein Laienpublikum.

SEITE: 421 - 487 Moritz T. Keine Kommentare
Stelle:

Schlusskapitel

Anmerkung:

In den Schlusskapiteln fasst Tomasello seine These zusammen: Kollektive Intentionalität, im Laufe der Evolution beim Menschen ausgebildet, nicht aber bei den Menschenaffen, sorgt für den entscheidenden Unterschied zwischen den Spezies. Kultur, kulturelle Artefakte sind natürlich wichtig für die menschliche Ontogenese, wie das Vygotskij hervorhebt, aber entscheidender ist das, was diese Kultur erst ermöglicht: kollektive Intentionalität. Tomasello argumentiert in diesen Passagen stringent, wenn er die Limiten anderer wissenschaftlicher Ansätze durchgeht. Auch die Sprache ist eher Ausdruck dieser, wie Tomasello zu oft betont, einzigartigen menschlichen Fähigkeit der kollektiven Intentionalität, und nicht die Ursache für die Differenz zu den Menschenaffen.– Wichtig ist, dass die kollektive Intentionalität, einmal entwickelt, auf alle möglichen Bereiche des menschlichen Lebens angewendet wird, nicht nur für den Bereich, in dem sie sich in der Evolution ausgebildet hat (wobei man da nochmals genauer nachlesen müsste!). Bei sehr ähnlicher genetischer Disposition resultiert daraus eine markant andere Ausprägung in der Ontogenese, wenn man Menschen mit Menschenaffen vergleicht.

Tomasello beschreibt die kollektive Intentionalität durchwegs mit positiv konnotierten Begriffen, Fairness, Respekt, Vernunft. Er hantiert auch unbefangen mit einem problematischen Begriff wie der Objektivität, die erst durch kollektive Intentionalität ermöglicht werde. Das ist bei den Aspekten, die für den Autor in diesem Buch im Vordergrund stehen, verständlich. Dennoch irritiert es ein klein wenig, dass er auf negativ konnotierte Begriffe wie Gruppendruck, Mobbing, Asozialität, die man mit der kollektiven Intentionalität mindestens sekundär auch in Verbindung bringen könnte, mit keinem Wort eingeht. Schade auch, dass sich Tomasello – abgesehen von Seitenblicken auf den Autismus – nicht der möglichen Verweigerung oder bewussten Abwendung von einer (spezifischen) kollektiven Intentionalität widmet, «einzigartige» Option für den Menschen, und vielleicht für die Entwicklung der Spezies von Belang.

Aber Tomasello vermittelt wichtige Einsichten, und regt zu weiteren Überlegungen an. Die Entwicklung der kollektiven Intentionalität in der Evolution dieser einen Spezies scheint für das gesamten Ökosystems einen ungeheuren Impact zu haben.

In den Schlussabschnitten verteidigt Tomasello die Anordnung seiner Experimente gegen Kritik von verschiedenen Seiten, gegen «Affenspötter», für die Tomasello die Rolle der Menschenaffen zu hoch einschätzt, im Vergleich zu den Menschen, genauso wie gegen «Affenenthusiasten». Auch hier scheint die Argumentation plausibel.

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