
Migration
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Besprechung
bheym
Migration soll als „wesentlicher Aspekt der … wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Umwälzungen der Gegenwart“ verstanden werden.
Interessant, dass der Autor voraussetzt, wir hätten es in der Gegenwart mit tiefgreifenden Umwälzungen zu tun und Migration als ein wesentlicher Aspekt davon verstanden wird.
Sinngemäß: Da Politiker nicht zuhören und die Fakten ignorieren, wende ich mich an Sie.
Da klingt eine ganze Menge Resignation und Frustration durch.
In der Folge heißt es dann auch, Politiker würden die Wahrheit bewusst verzerren, sie wollten Angst schüren und Falschinformationen verbreiten. Da scheint mir wirklich ein hohes Maß an Frustration vorzuliegen. Es wird auch meist verallgemeinernd von „Politikern“ oder auch „den Medien“ gesprochen.
Politiker haben es nicht geschafft, mit ihren Maßnahmen den Zustrom zu verringern.
Die Frage ist allerdings, wie es ohne die Maßnahmen gewesen wäre: Wäre der Zustrom dann womöglich größer gewesen?
HdH schreibt, seit Langem habe die Migration prozentual praktisch nicht zugenommen (3,1% im Jahr 1960, 2,7% im Jahr 2000 und 3,25% im Jahr 2017).
Auch wenn schon eine gewisse Zunahme zumindest seit 2000 zu sehen ist, ist die Referenz „Weltbevölkerung“ problematisch, weil diese sehr ungleichmäßig wächst. In Europa schrumpft sie, in Afrika wächst sie stark. Somit liegt die Vermutung nahe, dass der Anteil der Migranten in Europa zugenommen hat. Von daher ist es ohnehin fraglich, wie sinnvoll es ist, auf die weltweite Migration abzuheben, weil anzunehmen ist, dass Migration vor allem regional als Problem wahrgenommen wird.
„Allein zwischen 1846 und 1924 verließen rund 48 Millionen Europäer den Kontinent – das entspricht rund 12 % der europäischen Bevölkerung des Jahres 1900.“
Was soll diese Zahl sagen? Sie vergleicht eine Größe eines längerem Zeitraums mit der eines Zeitpunkts.Die Sinnhaftigkeit dieser Gegenüberstellung erschließt sich mir nicht.
Geflüchtete machen heute etwa 7 – 12% der Migranten aus, was etwas 0,3% der Bevölkerung entspreche.
Das würde heute ca. 25 Mio Flüchtlingen entsprechen. In den Medien hört man in der Tat von Zahlen zwischen 60 und 100 Mio. Sind die dort massiv überhöht, vielleicht, weil zu viele von den Migranten als Flüchtlinge gewertet werden?
HdH legt anschaulich dar, dass sich die globale Migration zahlenmäßig kaum verändert hat, es hat sich vor allem die Migrationsrichtung verändert: Während früher viele Europäer nach Nord- und Südamerika ausgewandert sind und auch in andere Kolonien, kommen heute viele Nichteuropäer nach Europa und Nordamerika.
Es stimmt also, dass keine Höchstwerte in der Migration erreicht werden, aber wohl schon, dass die Migration nach Europa deutlich zugenommen hat. Das ist aber auch genau das, was die „Migrantenskeptiker“ meinen – die haben in aller Regel sicher keine globale Perspektive, sondern eher die Situation vor der eigenen Haustür bzw. im eigenen Land.
Binnenmigration ist viel bedeutender als internationale Migration (83% Nicht-Migration, 13% Binnenmigration, 3% internationale Migration, 0,3% Flüchtlinge). Trotz der erheblichen wirtschaftlichen Unterschiede bleiben die meisten Menschen zuhause.
Das ist ähnlich wie beim CO2: schon kleine Anteile können große Wirkung haben; würde sich die Migration verdoppeln, wäre der Anteil ja immer noch gering, aber die damit einhergehenden Herausforderungen wären viel größer. Somit wird auch dieses Argument „Migrationsskeptiker“ kaum beruhigen.
„… wie uns Politiker weismachen wollen. … Ihre Parolen …“
Hier wieder eine sehr pauschale und ziemlich herabwürdigende Ausdrucksweise. Auch wenn es die Tendenz sicher gibt, ist diese Darstellung undifferenziert und überzogen. Das ist schade, weil HdH durch solche Ausfälle Gefahr läuft, seine eigene Expertise zu kompromittieren.
Die Zuwanderung erfolge vor allem, weil Arbeitskräfte nachgefragt wurden. Bis in die 70er Jahre gab es staatliche Anwerbeprogramme, ab den 80er Jahren gab es dahingegen zunehmend Einreisebeschränkungen, obwohl die Nachfrage nach Arbeitskräften nach wie vor da war. Dies wiederum führte zu einer Erhöhung von illegalen Migranten bzw. Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis.
Hier bleibt unklar, warum es dann zu den Einreisebeschränkungen kam, wenn der Bedarf doch nach wie vor da gewesen sein soll. Was führte zu dieser widersprüchlichen Politik? Ist sie einfach auf der (unbegründeten) Skepsis der Bevölkerung zurückzuführen? Weil z.B. Migranten zu Sündenböcken gemacht werden? Theoretisch ist ja auch denkbar, dass Zuwanderer nach wie vor gebraucht wurden, es aber auch zunehmend Migranten gab, die sich mit der Integration schwer taten und keine Arbeit gefunden haben. Hinzukommt, dass es in den siebziger Jahren und Anfang der achziger Jahre im Gefolge der Ölkrisen zu tiefgreifenden Rezessionen („Stagflation“) und einer erheblichen Erhöhung der Arbeitslosigkeit kam. Somit drängt sich der Gedanke auf, dass der Bedarf nicht mehr so war wie in den 50er und 60er Jahren, die ja allgemein die Wirtschaftswunderjahre waren.
„Die Vorstellung von illegal Asylsuchenden ist ein Widerspruch in sich“.
Das ist unverständlich: Wieso soll es nicht auch Menschen geben, die Asyl beantragen, obwohl sie nicht an Leib und Leben bedroht sind, nicht politisch verfolgt werden usw.? Wieso soll es logisch unmöglich sein, dass das Recht auf Asyl missbraucht werden kann? Es mag ja sein, dass ein derartiges Problem viel kleiner ist als allgemein angenommen, es aber auf diese Weise ad absurdum führen zu wollen, scheint mir ebenso verfehlt.
„Bin Anfang der 2000er Jahre sank die Zahl der Geflüchteten weltweit auf 9 Millionen. Es waren so wenige, dass Experten dem UN-Flüchtlingskommissar seine Existenzberechtigung absprachen.“
9 Millionen Flüchtende ist sicher deutlich weniger als der Rekord von 16 Millionen, aber „so wenig“ scheint mir auch nicht ganz passend. Darüber hinaus finde ich es problematisch, wenn von „Experten“ die Rede ist, ohne dass dies mit einer Fußnote bzw. Namen belegt wird. Und schließlich haben wir seit einigen Jahren wieder eine ganz andere Situation, in der es wieder mehr Flüchtende gibt. Was bezweckt HdH also mit dieser Aussage? Dass das Problem mit Flüchtenden aufgebauscht ist?
Die Vielfalt in den Gesellschaften hat nicht zugenommen, sie war auch in der Vergangenheit hoch. Im Gegenteil, HdH sieht sogar einen Homogenisierungstrend, der auch mit Nationalismen zu tun hat. Je homogener eine Gesellschaft, desto skeptischer ist sie gegenüber Zuwanderung.
Auch hier entsteht wieder der Eindruck, dass HdH das Unwohlsein von einigen Menschen, insbesondere von „Migrationsskeptikern“, nicht wirklich adressiert. Der Tenor ist fast durchgängig, dass man Mythen aufsitzt und dass das Migrations-/Zuwanderungsthema aufgebauscht ist. Ist es nicht so, dass in Mittel- und Westeuropa junge Schülerinnen und Schüler eine größere Sprachenvielfalt aufweisen und dass in Schulklassen ein größerer Anteil z.B. deutsch nicht gut versteht und spricht? Ist diese Wahrnehmung falsch? Es wäre hilfreich, wenn HdH auf solche Punkte eingehen würde und sich etwas weniger in allgemeinen Statements bzw. sehr punktuellen Beispielen verlieren würde.
„Zwischen 1882 und 1968 wurden in den Vereinigten Staaten schätzungsweise 4743 Lynchmorde begangen.“
Das ist mal eine präzise Schätzung …
Das Lynchmorde verurteilungswürdig sind, steht außer Frage, dennoch ist schwer zu beurteilen, ob die Zahl hoch oder niedrig ist, weil sie nicht ins Verhältnis gesetzt wird.
Hauptaussage ist, dass Migration als Teil des Entwicklungsprozesses der Herkunftsländer zu verstehen ist: Die Migration nimmt mit steigender Entwicklung nicht ab, sondern sie steigt an. Die begründet HdH mit gesteigerten Fähigkeiten und Ambitionen der Migranten, dabei spielt auch die Urbanisierung eine entscheidende Rolle: bei fortschreitender Entwicklung setzt eine Landflucht ein, die Menschen streben in die Stadt und dann auch vermehrt ins Ausland. HdH betont, dass das BIP ein unzureichender Gradmesser sei, es seien andere Faktoren wie Bildung, Alphabetisierung usw. ebenfalls wichtig. Am Ende fokussiert er aber doch stark auf das BIP und sagt, die Migration sei bei einem BIP pro Kopf zwischen 5 und 10 k$ am stärksten und würde danach wieder abnehmen. Insgesamt kann man sagen, dass Entwicklungshilfe die Migration sogar verstärkt.
Der Punkt mit der Entwicklungshilfe ist sicher interessant. Allerdings ist es für „Migrationsskeptiker“ wenig relevant, ob die Migranten aus den ärmsten Ländern oder nur relativ armen Ländern kommen. Sie streben in aller Regel in reichere Länder. Insgesamt frage ich mich, ob HdHs Analyse hier die entscheidenden Punkte trifft. Es gibt Migranten, die unglaublich lange und gefährliche Wege auf sich nehmen (z.B. über das Mittelmeer, durch den Ärmelkanal, über den Balkan) und für die es, wenn sie ihr Ziel mal erreicht haben, schwer ist, Arbeit zu finden und ein würdiges Leben in den Zielländern zu führen. Ist es also am Ende nicht so, dass sich viele der Migranten einfach ein besseres Leben erhoffen, dann aber oftmals ihr böses Erwachen erleben? Hierzu wären substanzielle Aussagen und idealerweise auch Zahlen interessant.
„Aus Sicht selbst der illegalen Migranten ist die Migration eine vernünftige Entscheidung.“ … „Bei den meisten Migranten handelt es sich um eine bewusste Entscheidung und nicht um eine Verzweiflungstat“ … „Migration wird als eine Investition in die Zukunft gesehen.“
Das sind wieder sehr pauschale Aussagen. Interessant wäre zu erfahren, für wie viele und für welche Migranten diese Aussage wirklich zutrifft. Es ist kaum vorstellbar, dass es keine Migranten geben soll, die ihre Entscheidung bereuen, selbst dann, wenn sie bewusst getroffen wurde (auch bewusst getroffen Entscheidungen können auf Fehlannahmen beruhen).
„Einige Migranten werden natürlich auch enttäuscht.“
Aha, sie gibt es also doch. Wieviele sind es denn? Ist es nur ein Randphänomen?
Hauptaussage: Die Migration ist eine bewusste Entscheidung, weil die Perspektiven, insbesondere die Verdienstmöglichkeiten im Zielland, deutlich besser sind. Überweisungen in die Herkunftsländer stellen einen wichtigen Faktor dar und lösen dort oftmals eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung aus. Als Beispiel nennt HdH das Todro-Tal in Marokko, in dem er selbst mehrere Jahre als Forscher zugebracht hat.
Es werden hier erstaunlich wenig Zahlen präsentiert, so dass sich die Frage stellt, wie repräsentativ diese Aussagen sind. Es wird nichts darüber gesagt, ob es nicht auch ein Problem für die Herkunftsländer ist, wenn die fähigsten und vielversprechendsten Personen ins Ausland abwandern. Insgesamt wird die Migration weitgehend als eine Erfolgsstory vor allem aus Sicht der Migranten dargestellt. Ist das wirklich so? Gibt es nicht viele Migranten, die im Zielland nicht Fuß fassen können, keine Arbeitserlaubnis bekommen und nicht einmal illegal arbeiten können? Es klingt so, als sei alles gut: Die Migranten werden gebraucht und für sie selber ist es attraktiv, ihr Heimatland zu verlassen. Es bleiben Zweifel, ob es wirklich so ist.
Zuwanderer führen nicht zu einer Absenkung der Löhne, sondern sie sorgen im Gegenteil für eine wirtschaftliche Belebung und Innovation. HdH zieht z.B. die USA heran, in die in den 30er Jahren viele Wissenschaftler geflohen sind.
HdH stellt Zuwanderung bisher ziemlich einseitig als Erfolgsstory dar. Dass hochgebildete oder qualifizierte Zuwanderer eine Bereicherung sind, steht außer Frage. Die Frage ist, wie viele Geringqualifizierte ein Land aufnehmen kann. Kann man hier eine Grenze abschätzen? Es entsteht mitunter der Eindruck, dass HdH an den wirklichen Problemen vorbeiredet. Oder gibt es keine wirklichen Probleme?
„Der Westen ist reicher denn je, doch die Ungleichheit wächst, die Reallöhne stagnieren oder sinken, und neue Generationen müssen sich mehr sorgen um ihre Arbeitsplätze oder bezahlbaren Wohnraum machen. Arbeitsplätze werden unsicherer, immer mehr Menschen arbeiten in der prekären Scheinselbstständigkeit der Gig-Economy. Daran ist allerdings nicht die Zuwanderung schuld, sondern die Politik, die für die Deregulierung des Arbeitsmarkts, die Schwächung der Gewerkschaften, den Verlust der Arbeitsplatzsicherheit, die Beschneidung der Rechte von Arbeitnehmer … sowie immer größere Ungleichheit verantwortlich ist.“ (Es geht noch weiter)
Nun degeneriert es leider vollständig zu einem Pamphlet. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht und lässt an der Seriosität des gesamten Buchs zweifeln
„Neuankömmlinge sind Nettozahler, denn sie sind in der Regel jung, berufstätig, gesund und kinderlos.“
Das gilt doch sicher nicht für gering-qualifizierte Asylsuchende, zumal sie oftmals ja nicht einmal eine Arbeitsgenehmigung haben, sondern nur für gut ausgebildete Einwanderer, die sofort einen Job finden bzw. solche, die wegen eines Jobs in das Zielland kommen.
„Der Verkauf von Sozialwohnungen war ein Segen für die Mieter, die zum Schnäppchenpreis Hausbesitzer werden konnten., doch er verknappte den bezahlbaren Wohnraum und ließ die Mieten steigen.“
Das Argument ist nicht schlüssig, weil der bloße Verkauf von Wohnungen kein Grund dafür ist, dass die Mieten steigen und dass Wohnraum knapper wird. Der Grund besteht vielmehr darin, dass nicht genug Wohnungen gebaut wurden bzw. die Nachfrage nach Wohnraum größer war als das Angebot.
„… Schuld ist jedoch nicht die Zuwanderung, sondern die Entscheidung der Politik, den Sozialstaat zu beschneiden und staatliche Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und sozialen Wohnungsbau zu privatisieren. … Die Sparpolitik, nicht die Zuwanderung, hat den Sozialstaat ausgehöhlt.“
Jedenfalls macht HdH aus seiner politischen Gesinnung keinen Hehl. Seine Argumentation passt allerdings nicht gut damit zusammen, dass die Staatsquote in vielen Ländern immer höher geworden ist und die Sozialausgaben zugenommen haben. Wie ist das zu erklären?
Mythos 10: Die Integration ist gescheitert
Das ist das Muster: Es werden sehr pauschale Aussagen gemacht, die dann in ihrer Pauschalität widerlegt werden. Die Realität ist vermutlich differenzierter.
„Doch die Tatsache, dass zahlreiche Latino-Gruppen auch von Armut betroffen sind, ist ein Hinweis auf eine sogenannte ‚segmentierte Integration‘, die sich durch die erfolgreiche Integration auf der einen Seite und anhaltende Ausgrenzung und Marginalisierung diskriminierter Minderheiten auf der anderen Seite auszeichnet. Das zeigt sich auch an dem höheren Anteil der Schulabbrecher unter Mexikanern der zweiten und dritten Generation.“
Das mutet nach einer tendenziösen Darstellung an (Schuld sind die anderen): Dass es mehr mexikanische Schulabbrecher gibt, wird als Ergebnis der Diskriminierung gewertet. Das mag so sein, aber es wird nicht einmal die Frage aufgeworfen, ob es dafür nicht auch andere Gründe geben könnte. Dieser Duktus wird auf den Folgeseiten fortgeführt.
Weniger flexible und offene Arbeitsmärkte führen in vielen mittel- und westeuropäischen Ländern zu einer höheren Arbeitslosigkeit bei Migranten.
Interessant: Die Arbeitslosigkeit ist also doch höher bei Migranten. Dies liegt allerdings nicht an den Migranten, sondern an den Arbeitsmärkten.
„Ein klarer Weg zur Staatsbürgerschaft … ist die mit Abstand beste Integrationsförderung. Solange der Staat die Migranten arbeiten lässt, ihre Rechte schützt und Wege zur dauerhaften Aufenthaltsberechtigung und Staatsbürgerschaft aufzeigt, integrieren sie sich ganz von selbst.“
Offenbar ist die Welt erstaunlich einfach.
Mythos Parallelgesellschaften: HdH beschreibt, dass die Entmischung zwischen Migranten und Einheimischen in den meisten Ländern überschaubar ist, d.h. es findet durchaus eine Vermischung statt. Es gibt zwar Beispiele für Segregation (z.B. in Schweden oder Frankreich), dies hat dann aber mit einer verfehlten Städteplanung und Wohnungsbaupolitik zu tun. Z.B. wurden große Hochhaussiedlungen aus dem Boden gestampft, in denen Einheimische nicht leben wollten, so dass dort vorzugsweise Migranten hinzogen. Das viel größere Problem sei das Problem von Klassen, bei denen die Bruchlinie zwischen Arm und Reich verläuft.
Auch hier gibt es keinen Hinweis darauf, dass es problematische Aspekte der Migration geben könnte. Es ist die Politik der Einheimischen, die ein Problem darstellen, nie das Verhalten oder Religion/Kultur oder eventuell auch die schiere Anzahl von Migranten.
Mythos Kriminalität: Zuwanderer ersten Generation sind generell weniger kriminell als Einheimische. In der zweiten Generation ändert sich das vor allem durch die „Assimilation nach unten“: „Auch hier sind die Eltern gering qualifizierte Arbeitsmigranten. Deren Kindern gelingt es nicht, in die Mittelschicht aufzusteigen, weil eine Mischung aus Diskriminierung, Arbeitslosigkeit, Armut, Isolation und schwachen Gemeinschaftsstrukturen ihren Erfolg behindert. … Diese Mischung aus Faktoren könnte erklären, warum Jugendliche aus marginalisierten Zuwanderergruppen … eine kriminelle Laufbahn einschlagen.“
Es scheint klar zu sein, dass es jedenfalls nicht an den Zuwanderern liegt. Hier wird einmal mehr deutlich, wie einseitig der Duktus von HdH ist („könnte erklären“).
Mythos Migration führt zu Talentschwund: Gemäß HdH sind es vor allem niedrigqualifizierte Personen, die in den Westen einwandern, und von den Fachkräften ist es nur ein kleiner Teil, selten mehr als 10%. Viele von denen würden mit einer viel besseren Ausbildung wieder zurückkehren und in der Zwischenzeit Geld in ihre Herkunftsländer überweisen. Außerdem seien in Entwicklungsländern viele Fachkräfte arbeitslos, wohingegen im Westen eher Niedrigqualifizierte keine Arbeit hätten.
Hier zeigt sich ein wesentliches Konstruktionsproblem des Buches: Es wird pro Abschnitt immer auf einen Tatbestand (einen Mythos) fokussiert (und dazu ziemlich plakativ, weil oft pauschal von Zuwanderung gesprochen und nicht differenziert wird) und dieser dann im Wesentlichen widerlegt wird. So kommt es nicht zu einer Gesamtschau und teilweise zu Widersprüchen. Z.B. hieß es weiter oben, in den westlichen Ländern würden gerade niedrigqualifizierte Migranten benötigt, wohingegen es hier heißt, diese seien im Westen häufiger arbeitslos. Oder dass der Westen wirtschaftlich von Migranten profitieren würde – das ist schwer glaubhaft, wenn sich Migranten zu Fachkräften ausbilden lassen und dann wieder in die Herkunftsländer zurückkehren. Auch ist es schwer zu verstehen, dass, wenn die Fachkräfte in den Herkunftsländern oft arbeitslos sind oder ohnehin mehr Niedrigqualifizierte auswandern, wie sie dann zu denjenigen gehören können, die in den Herkunftsländern privilegiert seien und das Geld für eine Auswanderung haben. HdH scheint oftmals nur eine Seite zu beleuchten, nämlich diejenige, die gerade passt.
HdH schreibt, die Migrantenüberweisungen in die Herkunftsländer würden nur 0,7% des BIP der Herkunftsländer ausmachen (nachdem vorher die Bedeutung dieser Überweisungen herausgestellt wurde).
Bei 510 Mrd $, die, wie im Kapitel zuvor berichtet, 2022 von Migranten in die überwiesen worden sein sollen, würde das bedeuten, dass die Herkunftsländer ein BIP von in Summe 70 Biliionen $ hätten, ca. 70% vom Welt BIP. Da ist irgendetwas ganz schief mit den Zahlen. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit leider noch weiter.
„Menschenschmuggel ist eine Dienstleistung“; „Der Grenzschutz hat die Menschenschmuggler gezwungen, andere Routen zu wählen.“; „Viele Menschen nehmen die Dienste von Schmugglern in Anspruch, um sich vor den Kriminellen und ihren Komplizen bei der Polizei zu schützen.“
Das ist nun geradezu atemberaubend, wie HdH hier eine Lanze für Menschenschmuggler bricht und den Zielländern implizit das Recht abspricht, die Einreise von Menschen zu kontrollieren/steuern. Die Logik ist: Gäbe es keine Einreisebeschränkrungen/keine Kontrollen, gäbe es keine Schleuser, Schmuggler und auch keine Probleme.
„Zwischen den Behauptungen der Gegner des Menschenhandels und der Realität tut sich ein Abgrund auf.“
Wunderbar skurrile Formulierung, wo gleich mehrere Dinge zusammen kommen: „Gegner“ werden pauschal benannt (es gibt offenbar nicht solche und solche), und HdH selbst scheint kein Gegner des Menschenhandels zu sein, weil er für sich in Anspruch nimmt, die Realität angemessen wiederzugeben.
Mythos Zuwanderung lässt sich durch Beschränkungen verringern: HdH widerspricht, dass Zuwanderungsbeschränkungen die Zuwanderung verringern würde. „Wie kommt es dann, dass die Zuwanderung in den Vereinigten Staaten und in Westeuropa im zurückliegenden Jahrzehnt weiter angewachsen ist?“
Auch das ist so ein Muster: Nachdem vorher in anderem Zusammenhang dafür argumentiert wurde, dass die Migration insgesamt konstant wäre oder sogar leicht abgenommen hätte, heißt es hier, sie würde zunehmen. Die Aussagen von HdH müssen nicht unbedingt falsch sein, aber manchmal argumentiert er sehr global/pauschal, und manchmal wiederum sehr spezifisch (hier mit den USA und Westeuropa). Das wirkt willkürlich.
Zuwanderungsbeschränkungen verstärken die Nutzung von Schlupflöchern, drängen Migranten in die Illegalität, führen zur Torschlusspanik kurz vor Inkrafttreten der Beschränkungen und hindern Migranten an der Rückkehr.
Das ist alles sicher nicht falsch, da es geradezu trivial ist. Wenn es keine Steuern gäbe, würde es auch keine Steuerhinterziehung geben. Außer bei dem Argument mit der Rückkehr gibt es aber keinen Grund dafür, warum die Zuwanderung sogar steigt, wenn es Beschränkungen gibt. HdH scheint nicht in Betracht zu ziehen, dass es auch andere Gründe für einen Migrationsdruck geben könnte (er hat sich ohnehin immer sehr ablehnend gegen über den Push-Pull-Modell geäußert).
Das Argument mit der Zirkulation (Migranten kommen und gehen, und wenn sie nicht mehr kommen dürfen, dann kommen sie illegal und bleiben) scheint in der Tat valide. Hier wäre interessant, wie groß dieser Effekt zahlenmäßig ist. Wie groß ist der Anteil der „Migrationspendler“?
Mythos Klimawandel führt zu Massenmigration: „Sie ignorieren sämtliche empirischen Beweise dafür, dass Umweltzerstörungen wie Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürme, Waldbrände eben keine massive internationale Fluchtbewegung auslösen werden.“
Wie kann man etwas beweisen, das in der Zukunft liegt? Es sind vielleicht Annahmen/Theorien, aber mehr kann es wohl nicht sein.
„Paradoxerweise haben sich Menschen in der Vergangenheit oft gerade an Orte mit großen Umweltgefahren (Küsten, Flusstälern und -mündungen) niedergelassen, weil es sich um besonders fruchtbare und wohlhabende Gegeneden handelte – genau das Gegenteil dessen, was die Fluchtmodelle vorhersagen.“
Ist es aber nicht so, dass durch Klimaveränderungen Gegenden auch unfruchtbarer und damit lebensfeindlicher werden? Wird also nicht die Tendenz bestehen, solche Gegenden zukünftig eher zu meiden? Die Vergangenheit muss nicht unbedingt ein guter Indikator für die Zukunft seien, weil Art und Dimension der Umweltgefahren aufgrund des Klimawandels stark zunehmen könnten. Wer wollte das ausschließen, zumal eine derartige Erwärmung in so kurzer Zeit in der Menschheitsgeschichte präzedenzlos ist.
„Nicht das Klima vertreibt die Menschen, sondern die Politik. Das Schreckensgespenst der Klimamigration soll von den politischen Ursachen der Vertreibung ablenken.“
Das passt ganz gut zu den oftmals pauschalen und einfachen Erklärungen von HdH. Es entbehrt nicht jeder Ironie, dass er einfache Erklärungen, direkte Kausalzusammenhänge anprangert, wenn es um Erklärungen von Migration geht, aber wenn es um die wahren Schuldigen geht, lässt HdH es plötzlich an jeder Differenzierung fehlen und ergeht sich in markigen Formulierungen.
Ein Blick in die Zukunft: „Dieses Buch möchte ein ganzheitliches Verständnis der Migration vermitteln.“
Das ist genau das, was HdH nicht gelungen ist. Durch sein Konstruktionselement, sein Buch anhand von 22 Mythen aufzuziehen, fokussiert er jeweils stark auf das, was er Mythen nennt, und bringt ausschließlich Argumente, die seine These vermeintlich stützen und blendet alles andere aus. Dadurch entstehen 22 Fragmente und eben kein ganzheitliches Bild.
„Das heißt nicht, dass die Zuwanderungspolitik ausschließlich von den Interessen der Wirtschaft diktiert werden sollte und dass der Staat den Migranten die Tür öffnen sollte, wann immer Unternehmer das verlangen. Dieses Denken beherrscht die Zuwanderungspolitik seit Jahrzehnten und ist Teil der wirtschaftlichen Liberalisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes.“
Ein weiteres Beispiel für HDHs pamphletartige Ausführungen und seine unverbrämt zum Ausdruck gebrachte ideologische Ausrichtung. Dabei schrieb er am Anfang etwas von einer ideologiefreien Darstellung …