Paloma
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Besprechung
Moritz T.
«Die Vielfalt im Fenster vis-à-vis hält mich in Atem (Arzt und Alzheimer): da wechseln die Gegenstände wie Bühnen Kulissen, corso, es ist sehr erbaulich: heute gelbe Gieszkanne neben Azaleenbusch und gelber Fleck einer auftauchenden Person, ein dämmriges Interieur, Umarmung»
Die Vielfalt im ersten Satz erwächst aus der lustvollen Begrenzung auf die Stabreime; wir haben es schliesslich ja auch nur mit einem engen Rahmen, einem Fenster zu tun. Vielfalt der Wahrnehmung ist gut, kann aber auch zu Kontrollverlust werden – rühren «Arzt und Alzheimer» daher? Krankheit und die Angst, dement zu werden sind durchgängige Themen in «Paloma».
Das Fenster ist Welt (Bühne, oder corso) genug: Von der Giesskanne, vielleicht in der Sonne glänzend, gleitet der Blick ins Zimmerinnere, wo sich die Konturen verwischen, das Gelb der Giesskanne aber reflektiert wird. Die Autorin vermag mit ihrer Sprache Nähe und Sinnlichkeit hervorzurufen, eine andere Art der Umarmung.
«(…) habe mich vor der Kirche bekreuzigt sobald mich niemand beobachtet.»
Absicherung auf verschiedene Seiten hin.
«(…) Beschreibungen, sagt Peter H., nie Reflexionen (…)
Programmatisches von Peter Handke (möchte man vermuten).
«Mir träumte es sei Winter geworden, in einer kl.Stadt, ich träumte ich sei gestürzt auf dem glatten Boden, sei nicht mehr hochgekommen, sanfte Dämmerung Scardanelli, überflutetes Fenster und Astgebirge, wie entkernte Nüsse bleiche Apfelputzen, Sätze wie Paukenschläge, ER sitzt in seinem Schlafsessel, ER ist eine Pulverfasz, im Sturm über den Dächern ein aufgespannter lichtgrauer Schirm oder Perlenzeug (Pelerine) und die Vögel wie geschleuderte Bälle im rauschenden Wind, ein paar Träume am Fenster, trage sie bei geschlossenen Augen lange mit mir herum, usw. (‘und schreibst Du eigentlich noch’, so Ilse H., was mich erschreckte)»
Beispiel für die geballte „Assoziationskraft“ der Autorin, die es dem Leser gelegentlich schwer macht, dem Text zu folgen. Der Versuch, alle Anspielungen und Übergänge zu entschlüsseln, kann zu einem Lesekrampf führen. Aber unterliegen unsere eigenen Assoziationen nicht tatsächlich auch einer für uns kaum durchschaubaren Logik? Nur sind wir bei eigenen Gedankenketten geübter, (nachträglich) Brücken und Begründungen einzufügen, sie werden quasi mitgeliefert.
«(…) es hing mit bevorstehenden Nationalratswahlen zusammen.»
was für ein Satz in diesem Buch, fremd hölzern, erst recht, weil von einem Traum berichtet wird. Sonst jedes Wort gewogen, geknetet, spielerisch eingesetzt, und hier diese Formel. Oder bewusst so eingesetzt?
«(…) die Geige, sagte sie: ein Drehschwindel: die Übertragung des tanzenden Geigenbogens auf das Gleichgewichtsorgan usw., wie im Fieber, sagt sie, wie im Fieber: eine Rückgeisterung (Karamel)»
IHM (=Jandl) wird im Konzert schwindlig, zur Aerztin, wunderbarer Ausdruck der «Rückgeisterung»; aber dann «Karamel»? Eine Geruchsassoziation? Oder einfach die Silbenfolge?
«(…) mein Auge badet in den Flugbahnen der Vögel (…)»
Wunderschön.
«Es ist ein Jammer so geliebt zu werden, dabei müszte ich froh sein über ihre Liebe, denn sie dauert nicht, so Heinz Schafroth»
Nachgestellt immer wieder der Sprecher, der Schreiber, mit dem Effekt, dass man zunächst meint, «Ich» rede; Text wird so durchlässig für die Stimmen vieler, keine klare Abgrenzung von «Ich» und anderen.