Paradise Lost
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Besprechung
Moritz T.
„(….) Satan, with bold words
Breaking the horrid silence, thus began: (…)“
Nach dem Höllensturz ins namenlose und unsägliche Elend bricht Satan das grauenvolle Schweigen. Das ist ein grosser Moment, das Unsägliche wird Sagbar, und das Elend erhält einen Namen. Erster Schritt, um sich herauszuarbeiten. Satan bietet damit sich und seinen teuflischen Kumpanen, hier Beelzebub, Orientierung.
“To do aught good never will be our task,
But ever to do ill our sole delight,
As being the contrary to his high will
Whom we resist.”
Satan erklärt die Marschrichtung: to do ill. Aber nicht, weil Satan & Co Bösewichte sind. Es scheint einzig darum zu gehen, Gott, der Gutes tun will, entgegenzuwirken.
„Better to reign in Hell, than serve in Heaven.“
Satan, der Fürst der Hölle, mit klarer Devise.
Awake, arise, or be for ever fall’n!
Weckruf Satans für die Höllen-Gesellschaft.
Die Versammlung der Teufel
Man debattiert im teuflischen Parlament, welche Massnahmen nun angezeigt sind nach dem Sturz aus dem Himmel. In Wut und Stolz mischt sich die Erkenntnis, dem «Allmächtigen» unterlegen zu sein, so dass ein offener Krieg gegen die Himmelsbewohner kein ratsames Unterfangen scheint. Sich einrichten also in der Hölle, diesem unwirtlichen Ort, der zunächst Satan, Beelzebub & Co so gar nicht wie eine Heimat erscheint? Brillante, offen ausgetauschte Argumente – man fühlt mit den armen Teufeln, denen Gott als unbarmherziger Tyrann erscheint.
Der Erzähler lässt durchblicken, dass im Hintergrund der Debatte Satan die Fäden zieht und seinen Plan verfolgt.
„(…) but rather seek
Our own good from ourselves, and from our own
Live to ourselves, though in this vast recess,
Free, and to none accountable, preferring
Hard liberty before the easy yoke
Of servile pomp.“
Mammon, im grossen Teufelsrat, spricht sich gegen Krieg aus, aber auch gegen die Option, in den Himmel zurückzukehren, um dem verhassten Herrscher zu dienen. Lieber soll man sich in diesem unwirtlichen Ort einrichten, und das harte Brot der Freiheit essen. Überzeugende Ansprache, er erhält viel Applaus.
„(…) this place may lie exposed“
Beelzebub mit dem brillanten (offenbar von Satan selbst inspirierten) Plan, «his devilish counsel», den Allmächtigen nicht direkt im Himmel anzugreifen, er rät also ab von einem «ambush from the deep» (herrliche Formulierung) und zu einem «easier enterprise»: die neugeschaffene Erde mit den Menschen könnte der ideale Schauplatz sein für einen Angriff.
„(…) but all sat mute (…)“
Wie in der Schule, wenn der Lehrer fragt, wer denn nun die Aufgabe an der Tafel lösen will. Wer will es wagen, der Hölle zu entfliehen und die neu geschaffene Erde zu suchen, um sich via Mensch an Gott zu rächen?
Das Argument des freien Willens
Gott hat den Menschen mit freiem Willen ausgestattet, so dass er sich an bewusst gewähltem Gehorsam seiner Geschöpfe erfreuen kann. Denn was würde es schon bedeuten, wenn die Kreaturen wie Maschinen Gotts Gesetze erfüllen? Solche «obedience paid» wäre langweilig, kein Vergnügen.
Allerdings sieht Gott voraus, dass sich der Mensch von Satan verführen lassen wird. Hmm, der Mensch verfügt also über freien Willen, aber Gott weiss schon, wie sich der Mensch entscheiden wird? Kann man da ernsthaft von freiem Willen sprechen? Gott ahnt diesen Einwand, aber er wischt ihn beiseite: «Foreknowledge had no influence on their fault». Aber vielleicht bedeutet «freier Wille» auch nur, dass der Mensch meint, er könne sich auch anders entscheiden. Er kann abwägen, überlegen, eine Entscheidung treffen. Er selbst sieht keine Zwangsläufigkeit, der freie Wille regiert in seinem Orbit. Von ausserhalb sieht es anders aus, aber entscheidend ist die Innensicht des neu geschaffenen Geschöpfes. Der Mensch übernimmt die Verantwortung für sein Tun. Er hätte auch anders agieren können, glaubt er selbst, auch wenn das aus göttlicher Perspektive eher zweifelhaft erscheint.
Gott hat diese Sollbruchstelle seiner Geschöpfe zu seinem Vergnügen geschaffen. Der Mensch hat den freien Willen nicht wählen können, er wurde ihm aufgebrummt. Und jetzt muss er dafür büssen, dass er diesen freien Willen hat, weil Gott sich mit Satan verkracht hat und Satan sich an Gott rächen will, und der Mensch – wie Gott weiss – Satan nicht widerstehen wird. – Armer Mensch; kein Wunder besinnt sich Gott am Ende der Argumentationskette bzw nach dem Einwand seines Sohns auf Gnade.
„He ask’d, but all the heavenly quire stood mute
And silence was in Heaven (…)“
Wie zuvor in der höllischen gibt es jetzt auch in der himmlischen Versammlung diesen Moment des verlegenen Schweigens. Wer eilt zu den Menschen: in der Hölle – sie zu verführen; im Himmel – sie zu retten?
„Which way I fly is hell; myself am Hell (…)“
Satan im Selbstgespräch, mit Selbstmitleid. Nur Unterwerfung würde ihn erlösen, und das kommt nicht in Frage
Illustration
Blake zeigt Satan als Kröte nahe am Ohr der schlafenden Eva. Er wird aber von den Guardian Angels erkannt. Adam und Eva schlafen noch den Schlaf der Unschuld. Herrliche Darstellung. – Verbales Scharmützel zwischen den Engeln und Satan, der sich schliesslich aus dem Staub macht, „but fled murmuring, and with him fled the shades of the night“. Das Unheil aber ist angerichtet, Eva hatte einen „troublesome dream“.
„‚Tell him withal
His danger, and from whom; what enemy,
Late fall’n from Heaven, is plotting now
The fall of others from like state of bliss
By violence? no, for that shall be withstood;
But by deceit and lies. This let him know,
Lest wilfully transgressing he pretend
Surprisal, unadmonish’d, unforewarn’d.'“
Gott instruiert seinen Botschafter Raphael. Wie ein Winkel-Advokat sorgt er dafür, dass die Schuld der Menschen unzweifelhaft sein wird. Er weiss ja, dass sich Eva und Adam verführen lassen. Sie sollen nicht später sagen können, sie hätten nicht gewusst, was Satan im Schilde führt. – Eine göttliche Farce!
„Nor knew I not
To be, both will and deed, created free.“
Nach längerem himmlisch-irdischem Small talk kommt Raphael allmählich zur Sache.
Der Mensch wusste bis anhin nichts vom freien Willen! Raphaels Mission ist es also nicht nur, die Menschen vor Satan zu warnen, sondern ihnen auch ihre Schuldfähigkeit erst bewusst zu machen.
„Drew after him the third part of Heaven’s host“
Wir erfahren Hintergründe zu Satans Revolte. Er war offenbar eifersüchtig auf Gottes Sohn. Und er zog einen Drittel der himmlischen Belegschaft mit sich!
„Who can in reason, then, or right, assume
Monarchy over such as live by right
His equals, if in power and splendour less,
In freedom equal?“
Satan zweifelt die Legitimität der göttlichen Monarchie an; sie basiert auf Macht und Herrlichkeit, aber ist quasi ohne Rechtsgrundlage. Erstaunlich, dass Raphael die Argumente des Satans dem Menschenpaar in solcher Detailliertheit preisgibt.
„We know no time when we were not as now;
Know none before us, self-begot, self-rais’d
By our own quickening power, when fatal course
Had circled his full orb, the birth mature
Of this our native Heaven, Ethereal Sons.“
Satan zieht den Herrschaftsanspruch Gottes in Zweifel – Teufel (wie Engel) sind Geschöpfe des Himmels.
Book VI
Rapahels Erzählung von der grossen Schlacht der himmlischen Heere gegen die teuflischen Rebellen. Erinnert ein wenig an eine Paintball-Veranstaltung, denn sterben tut hier niemand, und wenn einer angeschlagen ist, wird er wieder instandgestellt. Zuletzt macht aber der Messiah dem Geplänkel ein Ende und stürzt die Teufelsschar in die Hölle.
Satan & Co werden also besiegt, mit Gewalt, nicht mit Argumenten: Sein Anspruch, als himmlisches Geschöpf frei zu sein und keinem Gott gehorsam zu schulden, wird nicht mit Worten bestritten. Gott und sein Sohn schaffen einfach Fakten.
„things to their thought
so unimaginable as hate in Heaven“
Adam und Eva hatten sich die himmlische Ordnung etwas anders vorgestellt.
„Heaven is for thee to high
to know what passes there; be lowly wise;
Think only what concerns thee and thy being;
Dream not of other worlds, what creatures there
Live, in what state, condition, or degree“
Raphal setzt Adams Wissensdurst Grenzen – nachdem er ihm in vielen Details von den himmlischen Kämpfen und den Hintergründen der Schaffung der Erde erzählt hatte.
Book IX
Die Schlange verführt Eva, dichte Erzählung. Adam, obwohl er des Unheils gewahr ist, isst auch von der Frucht. Nach dem Sündenfall packt sie die Begierde. Und sie streiten sich, erheben Vorwürfe gegeneinander.
„Carnal desire inflaming: he on Eve
Began to cast lascivious eyes; she him
As wantonly repaid; in lust they burn,
Till Adam thus ‚gan Eve to dalliance move (…)“
Die Schlange verführt Eva, und Eva verführt Adam, oder Adam ist solidarisch mit Eva. Jedenfalls essen sie beide von der verbotenen Frucht. Viel passiert zunächst nicht (Natur und Himmel stöhnen auf, aber das scheint die Menschen nicht sonderlich zu kümmern), aber dann erwacht in beiden die sexuelle Begierde, und sie geben sich ihr hin.
„Beast now with beast ‚gan war, and fowl with fowl,
and fish with fish (…)“
Die ganze Erden-Schöpfung wird in Sippenhaft genommen. Auch die Tiere müssen sich jetzt bekämpfen und sind todes-geweiht.
Klage Adams
Grossartige, verzweifelte Klagerede Adams, der realisiert, dass die ganze Schöpfung seiner Schuld wegen todgeweiht ist.
„‚This yet I apprehend not, why to those
Among whom God will deign to dwell on Earth
So many and so various laws are given:
So many laws argue so many sins
Among them; how can God with such reside?'“
Michael gewährt Adam einen Blick in die Zukunft des Menschengeschlechts, er erzählt von Kain und Abel, Abraham, Joseph, Moses. Von Zwist und Krieg und Exil. Von Riten und Gesetzen, die den sündigen Menschen in Zaum halten. Adam ist schwer von Begriff: wie kann sich Gott aufhalten unter den Menschen, die mit so vielen Gesetzen vor Sünden bewahrt werden müssen? – Vielleicht meint Adam auch: warum macht es der Allmächtige so kompliziert?
„‚(…) then wilt thouh not be loth
To leave this Paradise, but shalt possess
A Paradise within thee, happier far.'“
Michael stellt Adam ein noch glücklicheres Paradies in Aussicht. Hmm, kann man Paradies steigern? Paradiesischer? – Adam wird aber auch deutlich gemacht, dass er für dieses neue „Paradise within thee“ die Verantwortung trägt