Patriarchen
Fügen Sie Ihre Bewertungen hinzu
Besprechung
Gaby K.
Moritz T.
Ich bin nicht sicher, ob jeder Mensch seine Bestimmung hat, und noch weniger, ob es wirklich wünschenswert ist, dass jedermann – also auch jedes Scheusal – dieser auch folgt.
Übergang von der „Hommage“ an seine Mutter (warum fängt er mit ihr an?) zu den Patriarchen. Und die Aussage stimmt: es sollte wohl nicht wirklich jeder seiner Bestimmung folgen – aber gut, wenn es die richtigen tun!
[…] Ich habe sie ausgewählt nach zahlreichen Kriterien, die alle gänzlich meiner Willkür unterworfen waren. Genauso gut hätte ich mich für zehn andere oder nochmal für zehn andere Namen entscheiden können, habe diese auch ernsthaft erwogen, dann jedoch aus unterschiedlichen Gründen verworfen.
Trotz allem Suchen aber fand sich nie der Name einer Frau.
[…] Die Gründerzeit war eine ausgesprochen patriachalische Epoche…
Die Kriterien, wenn auch noch so willkürlich, würden mich schon interessieren!
Und das mit den Frauen, das ist wohl so. Es gab natürlich in der Zeit auch wichtige Frauen – aber eine Unternehmerin kommt mir auch nicht in den Sinn.
Ob auch heute eine Gründerzeit ist, in der aus kühnen Ideen grosse Taten werden können – ich weiss es nicht. Das zu beurteilen ist wohl nur in der Rückschau möglich, denn gute Geschichten müssen vergangen sein, wie Thomas Mann im Zauberberg schreibt. Je vergangener, desto besser.
Ja, darauf kann man gespannt sein. Ob Corona darauf auch Einfluss hat?
Und mir kommt beim Zitat aus dem Zauberberg auch noch das in den Sinn:
„Vorwärts leben – rückwärts verstehen“ Søren Kierkegaard (dänischer Philosoph, Kopenhagen 1815 – 1855)
[…] François Cailler 1819… 1826 Philipp Suchard… 1830 Kohler in Lausanne… Sprüngli 1845 in Zürich… Klaus 1856 in Le Locle… 1875 Daniel Peter die Milchschokolade…
Iih – Schokolade muss damals gar nichts Feines gewesen sein (nicht so wie die Bourbon Vanille ;-)). Von Cailler, Suchard und Sprüngli habe ich (natürlich) schon gehört, von Kohler, Klaus und Peter hingegen noch nie…
Charles-Amédée Kohler (1790–1874)
J. Klaus – Chocolats Klaus S.A. en liquidation (2010)
Daniel Peter (1836-1919)
„Es war ihm recht, wenn nicht jeder Dahergelaufene eine Lindt-Schokolade kaufen konnte; sein Produkt sollte Seltenheitswert haben und die Kundschaft umso sehnsüchtiger auf die Lieferung warten, je länger sie ausblieb. Seine treuesten Abnehmerinnen fand Lindt – der übrigens zeitlebens ledig blieb – in den vornehmen Berner und Neuenburger Töchterpensionaten (…)“
Capus scheint ohne Quellenbelege auszukommen.
Verfolgte Lindt wirklich bewusst eine Strategie der Exklusivität? Gab es eventuell andere Gründe für die Beschränkung der Produktion? –
Als Motiv für den Versuch mit Schokolade unterstellt Capus, dass Lindt hatte Eindruck schinden wollen bei der Jeunesse dorée. Mindestens in den Mädchenpensionaten scheint das mit dem Produkt geglückt zu sein.
Laut Verwaltungsratsprotokoll vom 14. Februar (1899) teilte der schöne Berner Patrizier dem plebejischen Zürcher mit, dass die Nachfrage nach seiner Schokolade „solche Dimensionen angenommen hat, dass er denselben bei weitem nicht zu entsprechen vermag. Da er aber dazu hinneigt, sich selbst etwas zu entlasten, kann er sich nicht entschliessen, die natürlich bedingte, unumgängliche nothwendige Erweiterung des Geschäfts ausschliesslich sich selbst auf die Schultern zu laden…
Der Zeitpunkt zu einem entscheidenden Schritt ist also gekommen; es würde sich für ihn nur darum handeln, einer der verschiedenen zum Theil ganz glänzenden Kaufsofferten Gehör zu schenken und damit aus dem selbst aufgebauten Geschäft ganz herausgestossen zu werden, oder aber theilweise ein Interesse im Geschäft zu behalten so wie z.B. die proponierte Fusion die Möglichkeit dazu böte.“
Zitat aus dem Verwaltungsratsprotokoll ist erstaunlich – ob das Lindt auch zu sehen bekommen hat?
Und der letzte Teil zeigt, dass Lindt nicht wirklich wusste, was er wollte. Einerseits sich entlasten (eben doch fauler Kerl?), andererseits ‚ganz herausgestossen zu werden‘ oder aber ‚teilweise ein Interesse im Geschäft zu behalten‘.
[…] Rodolphe Lindt scheint sich sehr schwer mit der ungewohnten Tatsache getan zu haben, dass er nicht mehr alleiniger Herr im Hause war.
Er ist einem wirklich sehr unsympathisch, der Herr Rodolphe, oder?
Rodolphe Lindt, der vor Gericht eidesstattlich erklärt hatte, dass er mit „A&W Lindt“ nichts zu tun habe, starb am 20. Februar 1909, wenige Tage nach der Urteilseröffnung im Alter von erst dreiundfünfzig Jahren.
Rudolf Lindt ist mir überhaupt nicht sympathisch – in keiner der beschriebenen Situationen. Arrogant, und auch weltfremd. In der Schweiz hat er es immerhin geschafft, dass die Firma sich heute nur noch „Lindt“ (www.lindt.ch) nennt, international heisst sie weiterhin „Lindt & Sprüngli“ (www.lindt-spruengli.com).
Wahrscheinlich auch, weil es ja auch noch ‚Sprüngli‘ – ohne Lindt – gibt.
Da mich das verwirrt, habe ich das noch auf der Website www.spruengli.ch nachgelesen: 1892: Rudolf Sprüngli teilt sein Unternehmen unter seinen beiden Söhnen auf. Johann Rudolf bekommt die Schokoladenfabrik Rudolf Sprüngli Sohn (jetzige Lindt & Sprüngli) zugeteilt, während David Robert in den Besitz der Konditorei gelangt, welche heute die Confiserie Sprüngli ist. Seither sind es zwei unabhängige Unternehmen. Die Chocoladenfabrik Lindt & Sprüngli wird zu einem industriellen Betrieb, die Confiserie Sprüngli bleibt ein handwerkliches Familienunternehmen.
„Da er aber ihre Schuhgrösse nicht kannte, kaufte er gleich ein Dutzend“.
Der Eindruck, dass man es hier mit einem reichen Geschäftsmann, der nach Paris reist, zu tun hat, widerlegt Capus gleich mit dem nächsten Abschnitt. Der Einstieg gefällt mir aber.
Seidenbandfabrik im Aarau
Die Seidenbandfabriken – und Färbereien – waren die ‚Vorfahren‘ unserer pharmazeutischen Industrien in Basel. Dass es diese auch im Aargau gab, resp. gibt, war mir nicht wirklich bewusst.
„Die Bandweberei war in der Region Nordwestschweiz ein wichtiger Industriezweig. In den Kantonen Aargau und Solothurn gibt es die Bandwerberei noch heute. In den beiden Basler Halbkantonen ist die Seidenbandweberei in den 1920er-Jahren fast komplett ausgestorben„.
Sein Grossvater Franz Ulrich Bally war im Sommer 1778 als wandernder Mauergeselle aus Österreich nach Aarau gekommen. […]
Franz Ulrich Bally kümmerte sich fortan um den Verkauf der Meyerschen Bänder und Mercierwaren, eröffnete bal einen eigenen Laden und baute ein Häuschen im benachbarten Schönenwerd, wo das Bauland billig war.
Das ist ja fast eine „Tellerwäscher-Karriere“ – vom Maurergesellen, zum Verkäufer und dann zum Ladenbesitzer.
„Er heiratete ein einheimisches Mädchen, das ihm vier Töchter und zwei Söhne schenkte (…)“
Leicht irritierend, dass Capus hier – ohne das erkennbar zu ironisieren – Ballys Grossmutter in dieser Art einführt, das „einheimische Mädchen“ „schenkt“ dem österreichischen Immigranten Kinder. Vielleicht hat sie entscheidend zur genetischen Disposition des Unternehmer-Enkels beigetragen? Wäre nicht interessant mehr über sie zu erfahren? Nicht in einer patriarchalen Welt…
Natürlich kann man argumentieren, dass Capus sich hier der Patriarchen-Welt bewusst anschmiegt. Problematisch bleibt das allemal.
Damit hatte Carl Franz Bally seine Marktlücke entdeckt. Auf die Idee, dass man – nach Stoffen und Kleidern – auch Schuhe industriell herstellen könnten, war vor ihm niemand gekommen.
Ich habe versucht, zu verifizieren, ob er wirklich der erste war. Ich finde aber nur den Hinweis, dass „in den USA wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund des rasant ansteigenden Bedarfs die ersten Maschinen zur industriellen Schuhproduktion entwickelt“ wurden (Wikipedia). Siehe dazu aber auch den Hinweis auf die Reise des ältesten Sohns im Jahre 1870 in die USA (S. 41).
Bally unterlief Bestimmungen, der Zünfte, die ihm den Markteintritt verwehren sollten.
Die Zünfte (in Aarau und Basel) hatten protektionistische Regeln geschaffen, die ihnen das Geschäft mit den Schuhen sichern sollten. Mit Strohmännern resp. -frauen vermochte Bally proforma geltende Bestimmungen zu genügen, aber gleichwohl in die Märkte einzudringen.
Der Durchbruch kam nach fünf Jahren…
Beeindruckend, dass er fünf Jahre durchgehalten hat – vor allem nach den ersten Niederlagen. Aber, wie Capus auf Seite 36 schreibt: „Und wie viele Patriarchen der Gründerzeit war er entschlossen, rücksichtslos sämtliche Hindernisse beiseite zu räumen.“
Chapeau 🙂
Als die Regierung wegen der Kosten zögerte, liess er sich ins Kantonsparlament wählen…
[…] Von nun an machte sich es die Firma zum Grundsatz, auf allen Ebenen der Politik vertreten zu sein.
Clever, aber auch etwas aufwendig. Ob das so heute noch zu machen wäre? Wobei ‚Blocher‘ oder ‚Trump‘ ev. Beispiele dafür sind?
1876 – Patentgesetzt…
„Ich war früher auch ein Gegner des Patentschutzes“, sagte er am Vorabend der Volksabstimmung, „und erklärte, es sei im Interesse der schweizerischen Industrie, alles nachmachen zu können. Ich bin von dieser Meinung vollständig kuriert, denn von Nachmachen habe ich mehr Nachtheil als Erfolg gehabt. Der Nachahmer kommt immer zu spät und muss stets billiger verkaufen“.
Sehr spannend. Das ist auch eine (frühe) Beschreibung der „Me too“-Strategie.
Ich weiss allerdings, dass die Balser ‚Chemischen‘ Unternehmen vom fehlenden (europäischen) Patentgesetzt profitiert haben. Bin gespannt, ob da bei Hoffmann-La Roche etwas zu lesen sein wird.
[…] baute Bally ab 1867 Wohnhäuser…
Ich bin kürzlich von Aarau nach Schönenwerd spaziert – im Bally Park sind diese Anlagen heute noch zu sehen. Leider unterdessen alles ‚verlassen‘, die Gemeinde baut daraus jetzt Wohnung, Büros und Kultureinrichtungen. Aber ist mal ein Besuch wert – inkl. das Schuhmuseum.
Er baute eine eigene Betriebskrankenkasse auf, sowie eine Altersvorsorge auf und kümmerte sich um die Wasserversorgung und die Kanalisation.
Der soziale „Papa Bally“ – das wird er aus Eigeninteresse, aber er ist damit wohl ein Pionier unseres Vorsorgesystems.
„Jeder als Gewerkschafter enttarnte Bally-Mitarbeiter wurde fristlos entlassen (…)“
Radikaler Klassenkampf von oben. In der Tat patriarchalisch: Es wird für einen gesorgt, aber dafür wird erwartet, dass man sich dem System fügt. Wer sich widersetzt, wird ausgestossen.
Und um seinen in der grossen Mehrheit katholischen Arbeitern eine neue religiöse Heimat zu geben, begründete er zusammen mit anderen Bürgerlichen und Industriellen die christkatholische Kirche – welche natürlich erheblich weniger arbeitsfreie Feiertage kannte als die römisch-katholische.
Er hat wirklich an alles gedacht – und auf alles Einfluss genommen. Das ist nicht nur sympathisch…
Um 1880 beschäftigte Bally 2500 Angestellte, die Jahresproduktion lag bei 2.25 Millionen Paar Schuhen, die in alle Welt exportiert wurden.
Das dünken mich enorme hohe Zahlen – auch wenn ich nicht wirklich einen Vergleich habe.
Mit der Zeit kam ein Nervenleiden dazu, und nachdem er 1892 mit einundsiebzig die Firmenleitung endgültig in die Hände seiner Söhne gelegt hatte, versank er in Schwermut;
[…] Nach dem Tod seiner Frau Cecile 1895 verdunkelten sich seine Tage vollends, und seine Angehörigen wünschten ihm, dass er möglichst bald durch einen sanften Tod aus dem Leben scheiden möge.
Er starb am 5. August 1899 in Basel.
Was für ein trauriges Ende.
(passiver) Widerstand der Arbeiter gegen die neu eingeführten Maschine
das Drama des Fortschritts. Auch hier wäre interessant zu erfahren, wie Ballys damit umgegangen sind.
Carl Franz Bally
Einerseits ist er ein beeindruckender Pionier, der nicht so schnell aufgibt, seine Idee weiterverfolgt trotz einiger Rückschläge. Andererseits ist er ein richtiger Patriarch (Papa Bally). Capus lässt aber klar auch erkennen, dass Ballys soziales – und auch politisches – Engagement vor allem aus Eigeninteresse heraus entstand.
Bally Geschichte
Die Firma wird, vor allem im 20. Jahrhundert – von den Weltkriegen und Weltkrisen – gezeichnet.
Gemäss Capus zieht sich die Familie 1970 langsam aus der Geschäftsleitung zurück. 1977 kauft Werner K. Rey die Mehrheit der Aktien – gemäss Wikipedia zu Bally zieht sich dann die Familie ganz aus dem Unternehmen zurück.
Dann folgt eine wechselhafte Geschichte mit Weiterverkäufen der Anteile an alle möglichen Käufer – über Oerlikon-Bührle, eine amerikanische Beteiligungsgesellschaft, nun bei der JAB Holding, resp. der JAB Luxury Sparte.
Seit 2000 liegt der Hauptsitz des Unternehmens im schweizerischen Caslano, wo dem Unternehmen bereits zuvor eine Produktionsstätte gehörte. Die Verlegung des Firmensitzes von Schönenwerd ins Tessin war mit der Nähe zur Modemetropole Mailand begründet worden. 2007 wurde in Caslano die Fondazione Bally per la Cultura («Bally-Stiftung für die Kultur») zur Förderung von Künstlern aus der Region Ticino gegründet.
„Da die Kleine gesund und kräftig war, darf man annehmen, dass die Schwangerschaft nicht vier, sondern neun Monate dauerte.“
Hübsch, mit der Differenz Hochzeits- und Geburtstermin spielend.
[…] was Sophie vorsichtig mit dem Hinweis beantwortete, dass Michele leider erstens mittellos und zweitens kein Schweizer, sondern Träger eines mächtigen Schnurrbarts und ausserdem Italiener sei;
Was der Schnurrbart hier verloren hat? Aber witzig. Und das Foto von Julius auf Seite 50 zeigt ebenfalls einen Mann mit einem mächtigen Schnurrbart…
Jedenfalls scheint die Ehe glücklich gewesen zu sein. […] überliess er diese seiner protestantisch-geschäftstüchtigen Ehefrau…
Zum Glück scheint die Ehe glücklich zu sein, denn die Charakterisierung der Eltern – siehe auch weiter unten – zeigt doch sehr gegensätzliche Personen.
[…] parlierte mit ihr Französisch…
Habe mich weiter unten gefragt, warum Julius nach Yverdon ins Internat geschickt wird – aber Französisch scheint die Sprache im Elternhaus gewesen zu sein.
Es scheint, dass Julius fleissig und tüchtig war wie seine alemannische Mutter, aber auch hübsch und lebensfroh wie sein lombardischer Vater. Die Lehrer am Gymnasium in Frauenfeld wurden nicht mit ihm fertig, ein privater Erzieher in Winterthur ebenso wenig;
Was für eine Beschreibung seines Charakters – und auch gleich ein Seitenhieb an die Mutter, dass sie nicht hübsch war?
Zudem – hatte Julius vielleicht ADHS, dass die Deutschschweizer nicht mit ihm fertig werden?
[…] dann für weitere drei zur Lehre ins altehrwürdige Handelshaus Stehelin nach Basel und schliesslich für ein zweijähriges Praktikum in eine hochmoderne Dampfmühle nach Budapest.
Da mir kein Handelshaus Stehelin bekannt war, habe ich etwas danach gesucht. Ich finde einzig einen Hinweis im ‚Historischen Lexikon der Schweiz‚ folgenden Eintrag:
Verkürzte kaufmänn. Lehre im Handelshaus Gerôme Stehelin in Basel, 1867-69 Aufstieg zum stellvertretenden Direktor in einem Schweizer Mühlenbetrieb in Budapest
Da hat Capus m.E. zwei wichtige Aspekte ausgelassen: erstens, dass Julius kaufmännisch geschult wurde und zweitens, dass er es in Budapest mit 23 sehr weit gebracht hat – bis zum stellvertretenden Direktor. Zudem war die Mühle in Ungarn anscheinen eine Schweizer Firma, denn auch da fragt man sich, wieso er nach Budapest geht.
Um 1880 aber stürzte die Industrialisierung auf dieses Gewerbe in eine schwere Krise. Die neuen Walzenmühlen waren um ein Vielfaches effizienter…
Solche Informationen finde ich spannend: hatte mir vorher nie überlegt, dass die Müller auch von der Industrialisierung betroffen waren. Aber ich frage mich auch, warum Maggi nicht auch auf Walzen – oder wie er in Budapest anscheinend gesehen hat – auf Dampf umgestiegen ist.
[…] Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft
Mir ist diese Gesellschaft kein Begriff (…), die anscheinend als Vorbild die GGG Basel hatte (die mir allerdings ein Begriff ist…)
Julius Maggi wusste, dass gute Qualität allein trotz philanthropischer Hilfestellung nicht ausreichen würde, seine Suppen auf dem Markt durchzusetzen. Von Anfang an schlug er hohe Margen auf seine Preise um ausreichend Geld für Reklame und Werbung zu haben.
Maggi scheint von Anfang klar gewesen zu sein, wie wichtig ‚Marketing‘ ist, und dass es etwas kostet…
„Also suchte er nach chemischen Umwandlungen des Gemüsemehls und sandte zahllose Kostproben an Fridolin Schuler (…). Und weil es sich um ein gutes Werk handelte, standen ihm zwei Chemieprofessoren aus Zürich sowie ein Physiologe aus Basel zur Seite.“
R&D als interdisziplinäre Chefsache, früher Schulterschluss von Wirtschaft und Universität zudem. Schuler war Arzt und Fabrikinspektor, und mit der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft in Kontakt, der die gesunde Ernährung der Fabrikarbeiter ein Anliegen war.
„chemische Umwandlungen des Gemüsemehls“ : vielleicht eine etwas unbeholfene Ausdrucksweise?
Weil ihm Reklame so wichtig war… stellte er als Werbetexter den jungen Franz Wedekind ein.
Nochmals Marketing, aber auch interessant, dass Franz Wedekind als Werbetexter gearbeitet hat. Hat mich zum Wikipedia-Eintrag des Dichters geführt (und habe dabei herausgefunden, dass die Wedekinds das Schloss Lenzburg gekauft hatten. (Meine Schulfreunde, die Hünerwadels, kommen auch von dort, was mich zu einem weiteren interessanten Artikel geführt hat).
„(…) und bezahlte gelegentlich auch Geld, damit Maggi-Produkte in Kochbüchern Erwähnung fanden.“
Product-Placement avant la lettre. Wäre interessant zu erfahren, wie verbreitet diese Praxis damals schon war.
1886 aber gelang ihm die Erfindung der Bouillon-Extrakte, die als Maggi-Würze weltberühmt werden sollte.
Wow, mir war nicht bewusst, dass das schon so alt ist!
Nach kurzer Zeit erkannte ihr Inhaber Carl Schleich, dass sein kleines Unternehmen gegen Maggis übermächtige Reklame nicht würde bestehen können. Also besuchte der promovierte Chemiker Julius Maggi 1902 in Kempttal, verkaufte ihm die Fabrik und liess sich als technischer Direktor der Maggi-Fabriken einstellen. Bald sollte sich herausstellen, dass der besiegte Konkurrent zu Maggis treuerstem Verbündeten wurde.
Capus schreibt der Erfolg von Maggi eigentlich fast mehr dessen Marketing, als dessen Produkt zu!
Guter Move von Carl Schleicht, das sollte sich das eine oder andere Startup heute wohl auch überlegen, das scheint für ihn ja eine Win-Win-Situation gewesen zu sein!
„1893 kaufte Maggi in der Nähe einen kleinen Bauernhof von fünf Hektar, um das Gemüse seiner Suppe selbst anzubauen.“
An unternehmerischer Phantasie mangelte es Maggi nicht; frühe vertikale Diversifikation.
Bis über den fünfzigsten Geburtstag hinaus blieb Julius Maggi jugendlich schlank und von unerhörtem Tatendrang…
Er schlief nur drei oder vier Stunden täglich und vertrat die originelle Ansicht, dass man Schlafmangel durch zusätzliche Nahrungsaufnahme kompensieren könne.
Das ist wirklich eine originelle Ansicht 🙂 Aber geht anscheinen nach 50 nicht mehr 🙁
Wahr ist aber ebenso, dass er sich fortan Jules nannte und eine langjährige Liaison mit einer ehemaligen Schauspielerin am Théâtre Français einging, die sich Madame Rouyer nannte und ihn viel Geld kostete.
Maggi war damals 54. Das klingt sehr stark nach Midlife-Crisis – und scheint für ihn der Anfang vom Ende gewesen zu sein, für ihn als Person, gesundheitlich vor allem.
Ob Ehefrau Louise tatsächlich ahnungslos war oder ob sie sich lebensklug ins Unabänderliche schickte, ist nicht bekannt.
Ich vermute eher das zweite, wie wohl Capus auch. Und es war sicher klug, sich so zu verhalten. Besonders, wie wir es an anderer Stelle hier auch schon festgestellt haben, in diesen ‚patriarchalen‘ Zeiten. Als geschiedene Frau – und Mutter – hätte sie einen sehr schweren Stand gehabt.
Nur einmal, wohl um das Jahr 1907, findet sich ein Eintrag in ihrem Poesiealbum, der tief blicken lässt. „Lequel des deux est le plus triste: perdre un être aimé pour la mort ou pour – la vie.“
Interessant, dass sie ein Poesiealbum führte (also ein Büchlein, das sie mit einem Schlüssel abschliessen konnte).
Und der Eintrag selbst – das wäre interessant zu diskutieren. Allerdings finde ich es schwierig zu beantworten. Einen geliebten Menschen an den Tod zu verlieren, ist etwas Definitives, mit dem man Abschliessen muss, was nicht der Fall ist, wie wenn man jemanden ans Leben verliert.
1893 […] wäshst es zum grössten privaten Gutsbetrieb der Schweiz
Was davon heute wohl noch zu sehen ist? Scheint sich für einen Ausflug im Frühling anzubieten – trotz der Autobahn (siehe Seite 66, 1971). The Valley
1917
Im Kempttal wird der Neunstundentag eingeführt.
Aber wenn ich es richtig verstehe, 9 Stunden an 6 Tagen?
1939 […]
Fünfzig Jahre nach Kriegsende werden Historiker Maggi vorwerfen, die Firma in Singen Zwangsarbeiter ausgebeutet, Nazis in leitende Stellungen berufen und kriegswichtige Güter hergestellt.
Ob da was dran ist, schreibt Capus allerdings nicht. Dazu finde ich auch nicht wirklich etwas im Internet!
1980 […] Quick Lunch
Ab und zu gibt es einen davon für mich – und viele sind echt lecker 🙂
1987
Seit hundert Jahren riecht das Kempttal ganzjährig rund um die Uhr nach Maggi-Würze.
Iiihh!
[…] da der deutsche Markt für Maggi der wichtigste ist.
Dann sollte man den Deutschen mal sagen, wie man den Namen ausspricht 😉
Julius Maggi
Ich werde nicht richtig warm mit Julius Maggi. Allerdings geht Capus hier dem Patriarchen auch nicht richtig nach. Was geschah nach seinem Tod, inwieweit war die Familie noch involviert, hält diese heute noch Aktien (von Nestlé)?
[…] Napoleon den Handel mit England verbot […]
Le Coultre’s Kapitel ist für mich eine Geschichtsstunde. Das mit dem Handelsverbot wusste ich nicht mehr aktiv, die Industrialisierung begann für mich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Und die Hugenotten kamen später in die Schweiz…
Am südwestlichen Ende des Lac de Joux hatten sie in grosses Stück Urwald in Besitz genommen…
Wo wohl der Urwald war?
[…] als der Genfer Uhrmacher Antoine Favre die Musikdose erfand.
Über Antoine Favre weiss Wikipedia, resp. das Internet nicht wirklich etwas. Ausser seiner Erfindung und seiner Lebensdaten finde ich nichts.
„Die Le Coultres waren Hugenotten. Sie gehörten zu den tausenden protestantischen Glaubensflüchtlingen, die (…) das Uhrmacherhandwerk mitgebracht hatten.“
Eine Tradition die auf Hugenotten zurückgeht? Hatte ich nicht gewusst… Mütterlicherseits gibt es bei uns auch eine Linie zurück zu den Hugenotten (Rippas).
Er entwickelte eine eigene Methode zum Härten des Stahls und erfand Fräsen und Borer, die feiner arbeiteten als alle bisher bekannten Werkzeuge
Mich fasziniert der Erfinder und Entwickler Le Coultre immer wieder in dieser Biografie.
[…] 1828 … besuchte an der Uhrmacherschule…
Gemäss dieser Website des EDAs wurde die Schule erst 1824 gründet. Le Coultre war also einer der ersten Schüler dort.
[…] Ein weiteres Jahr später hatte er es geschafft: In der Schmiede stand eine Fräse, die in einem einzigen Arbeitsdurchgang aus dem vollen Stahl perfekt geformte Räder schnitt. […] Die Fachwelt war begeistert. Antoines Vater aber gab dem Sohn zu verstehen, dass er die Erfinderei jetzt mal bleiben lassen und sich ums Geldverdienen kümmern solle. Er unterstellte dem Junior Grossmannssucht und rechnete ihm vor, dass er mit seiner kostspieligen Tüftelei die ganze Familie in den Ruin trieb.
Die Fachwelt war begeistert und die Le Coultres schafften es nicht, sich daraus auch einen finanziellen Vorteil zu erzielen.
Grossmannssucht (gutes Wort), wie er das wohl gelebt hat, dass ihm sein Vater das vorwerfen konnte?
Er wollte auch die Unruh, die Hemmung und das Gehäuse anfertigen, und natürlich würde er zu guter Letzt das alles selbst zusammenbauen, und auf dem Zifferblatt würde sein Namenszug stehen.
Capus suggeriert hier, dass Antoine LC ehrgeizig war. Das kommt aber irgendwie nicht so richtig rüber, finde ich. Er ist der Tüftler, der Erfinder, zwar mit klarem Ziel, aber die oben erwähnte Grossmannssucht die kommt in diesen Zeilen nicht so richtig zum Vorschein.
„Der Junge verliess den Alten im Streit, schlug die Tür zur Schmiede zu – und richtete im Obergeschoss des väterlichen Hauses eine eigene Werkstatt mit sechs Arbeitern ein.“
Krach, um dann doch unter dem selben Dach zu bleiben? Und dann dem Vater den jüngeren Bruder aus der Werkstatt abzuwerben? So ganz kann (aus ökonomischen Gründen?) oder will sich Antoine nicht von der Familie lösen.
Also entwickelte er den „Millionometer“ […] und führte damit einen neuen Präzisionsstandard in der Uhrmacherei ein. […] Zwei Jahre später erfand er den Kronenaufzug mit Wippe […] Nebenbei konstruierte Antoine eine Maschine für die Herstellung der Hemmung, eine für die Unruh und eine fürs Gehäuse
Ich verstehe wirklich nicht, warum all diese Erfindungen ihm nicht den Wohlstand brachte, den er verdient hätte. Auch die Goldmedaille in London an der ersten Weltausstellung (wusste auch nicht, dass es bereits 1851 die erste gab), nicht. Er muss wirklich einen blinden Fleck gehabt haben. Und seine früher beschriebene tüchtige Frau Zélie scheint doch auch nicht so tüchtig gewesen zu sein…
Millionometer – schönes Werkzeug!
„Alles, was dem Siebenundfünfzigjährigen blieb, waren seine geliebten Maschinen und die hundert Arbeiter, denen er den Lohn nicht mehr bezahlen konnte.“
Sehr bitter, nach den all den Jahren der Arbeit und tollen Erfindungen. Sein Leben gebe den Stoff für ein Drama, mit dem Schwiegersohn, der den Ruin befördert, und dem jüngeren Bruder, mit dem er sich verstritten hat, der ihm aber das Land abkauft. Was hat ihn motiviert, in diesem hohen Alter 😉 nochmals neu zu starten? Woher hat er die Energie genommen? Die Erfolge als Erfinder waren natürlich grossartig, und die konnte ihm auch niemand nehmen. Und die Geschichte mit der Familie nahm ja dann doch noch eine glückliche Wendung.
Am 20. Oktober 1860 wurde die Firma Le Coultre im Hôtel de Londres in Yverdon ein viertes Mal gegründet…
Zum Glück hatte er fähige Söhne, die ihn von da an unterstützten und ihm auch zu seinem Lebensabend den finanziellen Erfolg brachten. Und gut, zog er sich 1877 aus der Firmenleitung zurück.
[NB – eigentlich wurde – gemäss Capus – die UhrenFabrik bereits 1730 gegründet…]
1883: Lange vor der Elektrifizierung der Städte installierte die Manufaktur in ihren Werkstätten elektrisches Licht!
Erstaunlich!
1907 […] die flachste Uhr der Welt – 1.38 Millimeter Hoch
1,38 Millimeter – das kann ich mich gar nicht vorstellen (und finde auch kein Bild dazu…)
1928: Die Atmos-Pendule… Sie bezieht ihre Antriebsenergie aus den Temperaturschwankungen der Luft…
Bei tk stand lange eine (die jetzt bei Philip ist). War diese Erfindung der Ursprung der Wärmepumpe?
1985. Vor allem dank der Neulancierung der Reverso
die mir nie wirklich gefallen hat 😉
Fazit zu Anotine Le Coultre
Ich kann Le Coultre nicht richtig fassen. Er ist faszinierend, ein Tüftler aber anscheinend ein sehr schlechter Geschäftsmann. Die Grossmannssucht kann man aus dem Text nicht wirklich erspüren. Ob er ein guter Vater war, immerhin hatte er 8 Kinder, kommt aus dem Text nicht raus. Ob seine Ehe gut gewesen war, weiss man auch nicht, Zélies schreibt immerhin in ihren Memoiren von ihrem geliebten Gatten.
[…] seine Lehr- Und Wanderjahre antrat und ihn sein Weg bald in die republikanische, antiroyalistische Schweiz führte,
Von der republikanischen Schweiz zu lesen ist in den Tagen nach Trump und dem Capital-Sturm etwas komisch.
Er lernte perfekt Französisch…
Darum beneide ich ihn. Wobei war Französisch damals nicht in den Adelshäusern mehr oder weniger Amtssprache?
„Immerhin gelang es ihm über die Jahre, seine finanzielle Lage soweit zu festigen, dass er ans Heiraten denken konnte.“
Beispiel für eine wenig elegante, oder schlicht misslungene Überleitung. Zuvor stellt Capus fest, dass Nestlé mehr als ein Lehrer, und weniger als ein Apotheker verdiente. Würde ja dann bedeuten, dass Lehrer gar nie ans Heiraten hatten denken können. Wenn jemand erst mit 46 Jahren heiratet, dann wird es dafür auch noch andere Gründe geben als finanzielle; Capus hätte das hier thematisieren sollen.
[…] Liefervertrag für das Gas, das er aus Öl und Knochen gewinnen wollte, und erhielt den Zuschlag.
Wusste gar nicht, dass man so Gas machen kann. Ob das heute auch noch irgendwo angewendet wird?
„Bei aller grossbürgerlichen Schwärmerei aber besass Clementine einen scharfen Blick für das Elend, in dem ein Grossteil der Kinder heranwuchs (…)“
Capus gewinnt Clementine doch noch eine positive Seite ab, ausser dem guten Klavierspiel – was hat wohl Henri Nestlé zu Clementine hingezogen? Ob zu Beginn ihrer Ehe allerdings die Charakteristik „grossbürgerlich“ adäquat war?
[…] erstklassige Kuhmilch, Getreidemehl sowie Malz oder Kaliumbikarbonat zur besseren Verdaulichkeit. Diese Erkenntnis, die im Wesentlichen heute noch gilt, war Mitte des 19. Jahrhunderts einem breiten Kreis von Ärzten und Heimleitern bekannt.
Schrecklich, diese Zustände im 19. Jahrhundert und das Leid, das die Industrialisierung ‚angestellt‘ hat. Und erstaunlich, dass diese Erkenntnis für die Grundernährung von Kleinkindern damals schon so klar bekannt war und nicht geholfen, resp. genutzt werden konnte.
„Nestlé liess umgehend alle anderen Geschäftszweige fallen und setzte voll auf das Kindermehl. In den ersten zehn Monaten besorgten Henri und Clementine ganz allein die Produktion (…)“
Das hätte man, nach der Beschreibung zuvor, Clementine gar nicht zugetraut. Auch etwas irritierend, dass Nestlé eine „Fabrik“ gebaut hatte, aber offenbar keine Arbeiter beschäftigte.
„Nestlé liess umgehend alle anderen Geschäftszweige fallen und setzte voll auf das Kindermehl. In den ersten zehn Monaten besorgten Henri und Clementine ganz allein die Produktion (…)“
Das hätte man, nach der Beschreibung zuvor, Clementine gar nicht zugetraut. Auch etwas irritierend, dass Nestlé eine „Fabrik“ gebaut hatte, aber offenbar keine Arbeiter beschäftigte.
[…] als mir mein Freund, Professor Schnetzler…
Jean Balthasar Schnetzler hat selbst eine sehr spannende Biografie. Siehe Wikipedia – ein sehr vielfältig tätiger Mann, ein Tausendsasa.
Aus dem Familienwappen seiner schwäbischen Vorfahren [Näschtle: kleines Nest] kreierte er das Nestlé-Logo, das heute noch jede Kondensmilchtube ziert: ein Vogelnest mit einem Muttertier, das seine Jungen füttert.
Und es ist wirklich erstaunlich, dass am Nestchen selbst wirklich nicht viel verändert hat – einzig der Schriftzug wurde immer wieder angepasst. Allerdings – was das Nestchen mit dem Familienwappen zu tun hat, kann ich nicht wirklich erkennen, siehe hier.
Im Jahr 1868 stellte er 8600 Büchsen her, 1874 schon 670000 und ein Jahr später über eine Million.
Erstaunlich, wie diese Produktionssteigerung möglich war. Da lässt einem Capus ja sehr allein, schade.
Wahr ist aber auch, dass er in Zeitungsinseraten zuweilen durchaus darauf anspielte, dass sein Kindermehl die Muttermilch ersetzen könnte.
Die kritischen Stimmen – allerdings führt das Capus hier nicht gut aus, denn Nestlé sagte ja auch immer, dass Stillen das beste sei – und wenn das Mehl die Muttermilch ersetzt kann, könnte man es ja auch so deuten, dass es das tut, wenn die Muttermilch nicht gegeben werden kann.
Seinen Lebensabend verbrachte der ehemalige Apothekerlehrling im Stil eines reichen Landadligen.
Nestlé ist bisher der einzige Patriarch, der wirklich loslassen konnte – das finde ich schon beeindruckend.
1938: Nescafé
Genau rechtzeitig vor WWII – wobei ich nicht ganz versehe, was die Produktion mit der Kaffeeschwemme zu tun hat…
1947 Fusion mit Maggi
Und dann folgen viele viele weitere Übernahmen. Mir war schon klar, dass Nestlé soviel ‚eingekauft‘ hat und mit L’Oreal z.B. geht die Firma ja fast zurück zum Anfang von Nestlé, der mehr oder weniger alles machte, womit er etwas Geld verdienen konnte, sogar Gas…
Nestlé-Kapitel
Schwächeres Kapitel; es gelingt Capus hier nicht, Nestlés Leben zu einem stimmigen oder gar packenden Portrait zu verdichten, dazu bleibt er allzu sehr an der Oberfläche; fast gewinnt man den Eindruck, Capus habe sich nicht so richtig für Nestlé interessiert.
2006 Nestlé ist der grösste Nahrungsmittelkonzern der Welt
Das ist Nestlé heute noch, siehe „Grösste Nahrungsmittelkonzerne“ (wobei ich von Archer Daniels Midland – ADM nicht wirklich was wusste…)
„Um 1750 war Zürich noch nicht ‚die kleinste Weltstadt der Welt‘, wie sie sich heute gern nennt, sondern ein grimmiger protestantischer Gottesstaat, der von einer Hand voll religiöser Eiferer mit eiserner Faust regiert wurde.“
Also Eröffnungssätze kann Capus, mindestens der hier ist stark.
„(…) in Frieden, Fleiss und Freudlosigkeit gearbeitet (…)“
hübsch, wie Capus mit Stabreim arbeitet, aber die Harmonie semantisch durchbricht
Sobald vierprozentige Anleihen zu haben waren, nahmen die Bauern solche auf, um ihre fünfprozentigen Schulden zu bezahlen, worauf der Zinssatz auf drei Prozent fiel.
Kleine Volkswirtschaftskunde 😉 Aber interessant!
In Basel erklärte der Mathematiker Jakob Bernoulli den „alten Mütterchen, Gerngläubigen und Laien“, dass ein Komet keine Warnung Gottes, sondern ein glühender Klumpen Geröll sei. Und weil die Aufklärer hofften, den Menschen mittels Vernunft zum Licht und zur Freiheit zu führen, trugen sie ihr Wissen in umfangreiche Enzyklopädien zusammen.
Capus schlägt hier einen abschätzigen Ton an, resp. er sollte erklären, woher er die Aussage in den Anführungszeichen hat.
Und der Übergang zu den Nachschlagewerken, die das Leben von Leu mit bestimmten ist auch etwas hilflos.
[…] Universalgelehrten und Enzyklopädisten Johann Jakob Scheuchzer…
Universalgelehrte – da frage ich mich immer: wie wird man das, wie kann man sich so viel unterschiedliches, universelles Wissen, anhäufen?
Scheuchzer war mir bisher kein Begriff – anscheinend wurde er vor allem durch seine Deutung von Fossilien als Überbleibsel der Sintflut (Sintfluttheorie) bekannt wurde.
In den anderthalb Jahren, die er dafür aufwandte, um „Staats-Klugheit“ und „wohl eingerichtete Conduite“ zu erlernen, eignet er sich nebenher auch das Tanzen, Flötenblasen, Fechte sowie Spanisch und Holländisch an
In nur 18 Monaten kann man das alles erlernen? Ich stelle mir das am Anfang des 18 Jh. Sowieso nicht gerade einfach vor. Aber er ist definitiv viel rumgekommen – er hat es sogar ins Schlafgemach des Sonnenkönigs geschafft.
[…] 1749 – nach vierzig Jahren treuer Pflichterfüllung – Seckelmeister, das heisst Finanzminister des Standes Zürich.
Oh – er war schon 60?
Des Standes Zürich – warum verwendet Capus hier wohl diesen Begriff? ‚Kanton‘ wird ab 1475 benutzt (gemäss Wiki)
Wie wäre es, das überflüssige Geld nicht in der Heimat anzulegen, sondern – im Ausland?
Ein revolutionärer Gedanke? Und der weiteren Beschreibung – wie genau die Bank entstand, warum es da die Investition im Ausland – und Staatsgelder – brauchte, kann ich nicht wirklich folgen.
Wie wäre es, das überflüssige Geld nicht in der Heimat anzulegen, sondern – im Ausland?
Ein revolutionärer Gedanke? Und der weiteren Beschreibung – wie genau die Bank entstand, warum es da die Investition im Ausland – und Staatsgelder – brauchte, kann ich nicht wirklich folgen.
Über seine privaten Belange verliert Leu in seinem gesamten Nachlass kaum ein Wort.
Schade, darüber hätte ich gerne noch etwas mehr gewusst. Man kann den Menschen J.J. Leu nicht wirklich fassen.
Fazit zu Leu
Im Inhaltsverzeichnis steht als ‚Untertitel‘ bei diesem Kapitel: „Wie das zwinglianisch-strenggläubige Zürich im Geldreichtum zu ersticken drohte und wie Säckelmeister Johann Jacob Leu das Problem löste, in dem er die erste moderne Bank der der Schweiz begründete.“
Mich lässt dieses Kapitel unbefriedigt zurück. Ich kann den Menschen Leu nicht wirklich fassen.
[…] denn Fritz verfügte über keine besonderen Talente oder Vorlieben, auch war er weder sonderlich klug noch überdurchschnittlich charmant oder auffällig schön. Einige Tugenden aber besass er im Übermass: Fleiss, Mut, Beharrlichkeit, Durchsetzungsvermögen.
Eine nicht gerade schmeichelhafte Charakterisierung von Capus.
Da die Holländer eifersüchtig über ihre Erfindung wachten, schmuggelte Emanuel Hoffmann eine solche „Webmühle“ in Einzelteilen nach Basel, worauf die Bandweberei am Rheinknie einen raschen Aufschwung nahm.
Und wieder eine ‚Spionage‘, wie in anderen Biografien, die der Schweiz/Basel einen Vorteil verschaffte. Denn das war der Start der Seidenband-Industrie in Basel – und daher also das Geld, das die Familie von Fritz zum Basler ‚Geldadel‘ (Seite 115) machte.
„Schwer zu sagen, wann der junge Fritz Hofmann beschloss, eine Heilmittelfabrik mit Weltgeltung zu gründen (…)“
eher eine Floskel, die den Absatz elegant einleiten soll, lässliche Unsauberkeit, aber dennoch… Es liegt auf der Hand, dass die Stationen Drogerie Bohner und die Chemikalienhandelsfirma in London Hofmanns Interesse in diese Richtung gelenkt haben.
Die Stadt wurde für vier Monate, bis zum Jahresende 1892, unter Quarantäne gestellt.
Choleraepidemie in Hamburg. Das ist in der aktuellen Situation der Corona-Epidemie unheimlich zu lesen. Das war damals wohl noch unangenehmer wie heute, auch wenn Capus nicht ausführt, wie Fritz diese 4 Monate überstand.
Um dem Sohn einen guten Start in der Heilmittelbranche zu ermöglichen, erwarb der Vater bei dessen ehemaligen Lehrbetrieb, der Drogerie Bohner, Hollinger & Cie., eine Beteiligung von 200’000 Franken.
[…]
Ärgerlich war nur, dass ihm für eine bahnbrechende Erfindung der zündende Gedanke fehlte.
Fritz muss seinen Vater überzeugend von der Idee gewonnen haben, dass die Zeit der mittelalterlichen Apotheken vorbei war, auch wenn er keine Idee hatte, wie er das ändern wollte.
Die medizinischen Tests verliefen zufriedenstellend, die Ärzte reagierten begeistert. Fritz Hoffmann erkannte sofort, dass dies seine grosse Chance war.
[… Seite 120]
Der Verkauf von Airol brach nach einigen Anfangserfolgen ein; das graugrüne Pulver hatte die unangenehme Eigenschaft, dass es sich rot verfärbte, sobald man es auf eine Wunde streute…
Warum diese unangenehme Eigenschaft – die Verfärbung von Airol – nicht bei den medizinischen Tests bemerkt, respektive angemerkt hat? Oder ob Fritz dies einfach missachtet hat?
[…] 1895, heiratete er die achtzehnjährige Adèle La Roche, auch sie Spross einer alten, schwer reichen Basler Kaufmannsfamilie;
Adèle stammt wirklich aus einer interessanten Familie:
Das vornehme Basler Geschlecht geht zurück auf den 1591 in Basel eingebürgerten Hafner Michael Hebdenstreit (1564-1604) aus Württemberg. Der Name La Roche ging auf die Familie über durch Johann Jakob Hebdenstreit (1654-1717). Wie viele seiner Verwandten trat er als Soldat in fremde Dienste. Er begann seine Laufbahn im Jahr 1672 mit dem Eintritt ins französische Regiment Stuppa, mit dem er in den Holländischen Krieg (1672-1678) zog. Hebdenstreit steig auf zum Hauptmann und diente dem Lilienbanner lange, treu und standhaft. Dafür erhielt er von König Louis XIV. (1638-1715), dem „Sonnenkönig“, das Privileg den Titel „La Roche“ (der Fels) zu führen. Als Johann Jakob La Roche kehrte Hebdenstreit im Jahr 1690 nach Basel zurück. Sein Sohn Johann Friedrich David La Roche (1692-1783) gilt als Stammvater des fortan blühenden Geschlechts mit dem Namen La Roche.
Die meisten Mitglieder der Fam. widmeten sich jedoch dem Handel und Bankwesen. Hier gelangten die La Roche mit Emanuel (1737-1807), dessen Tuchwarenunternehmen später in ein Bankhaus umgewandelt wurde, mit Benedikt (1762-1807), Begründer der Bank- und Speditionsfirma Benedikt La Roche (bis 2015 Privatbank La Roche & Co., dann Privatbank Notenstein La Roche, seit 2018 Teil der Vontobel Holding AG), mit Hermann (1842-1921), Mitbegründer und Verwaltungsratspräsidenten des Schweizerischen Bankvereins, und Robert (1877-1946), der 1927-46 die Schweiz. Bankier Vereinigung präsidierte, in die eidgenössische Führungsschicht.
Raoul La Roche-Burckhardt vermachte dem Kunstmuseum Basel eine der bedeutendsten Kubismus Sammlungen.
Der Name Roche fand über die Gattin von Fritz Hoffmann (Adèle) vom Beginn des 20. Jh. an zunächst als Produktname, später als Firmenname des Pharmakonzerns Verwendung.
Darauf verlor auf Fritz Hoffmanns Vater die Zuversicht. Er empfahl dem Sohn, das pharmazeutische Abenteuer abzubrechen und eine Anstellung in einem Zementwerk in Hauenstein anzunehmen.
Zum Glück hat er das nicht gemacht – und etwas krass, vom Unternehmer zum Angestellten abgemindert zu werden.
Er wollt das experimentelle Labor auflösen, das nur Geld kostete und kaum etwas einbrachte.
[…] junge Chemiker Emil Barell
Und nochmal zum Glück hat er das nicht gemacht… Und Barell war über 56 Jahre bei der Firma tätig – zum Schluss als Verwaltungsratspräsident. Und wenn ich es richtig erinnere, war er es auch, der Heinz Karger während des Krieges – mit Sandoz und Ciba zusammen – finanzielle Unterstützung bot.
„Mehr als sechzig Jahre lang produzierte Roche den Sirup – ungewöhnlich lange für ein Medikament.“
… vor allem wenn man in Betracht zieht, dass es „praktisch wirkungslos“ (S. 122) war. Oder wurde die Rezeptur später angepasst?
„Denn jetzt wurden die Universitäten auf Roche aufmerksam (…)“
Nicht der industrielle Betrieb scheint nach dieser Darstellung die Hand ausgestreckt zu haben für eine Partnerschaft (wie man es wohl heute erwarten würde), sondern Professoren. Ich hoffe mal, dass auch die Basler Uni unter den frühen Partnern von Roche war….? Erwähnt werden Zürich und Bern.
Erster Weltkrieg
massiver Impact des Krieges. Roche wird die Internationalität beinahe zum Verhängnis; schwere Verluste in Russland, zuvor wichtiger Markt und Lieblingsdestination Hofmanns.
Die beteiligten Familien behandelten die Affäre mit grösstmöglicher Diskretion, wie in den besseren Kreisen Basels üblich.
Auf seinem Grabstein steht denn auch Fritz Hoffmann-Von der Mühll – wer also diesen Teil seiner Biographie nicht kennt, weiss nicht, dass hier der Gründer der Firma liegt.
1919
Unter ihm [Barell] gelingt dank extremer Sparsamkeit und Arbeitsdisziplin der Wiederaufbau. Singen und Lachen am Arbeitsplatz sind verboten.
Barell scheint der Patron der Firma gewesen zu sein. Wenn man im Geschichtsteil weiterliest und sieht, was er alles bis zu seinem Tod geschafft hat – im Gegensatz zu Fritz – dann kann die Familie nur von Glück reden, dass er die Firma so gross gemacht hat.
1933
Roche stellt als erstes Unternehmen synthetisches Vitamin C her.
Die Geschichte des Vitamin C habe ich jetzt nicht nachgelesen. Ich weiss, dass Roche das Synthese-Verfahren von Tadeusz Reichstein gekauft hatte. Und dass dieser 1950 der Nobelpreis für Medizin erhalten hat (allerdings nicht für dieses Verfahren). Allerdings war und ist die Wirkung von synthetischem Vitamin C ja nach wie vor umstritten. Eigentlich sind zwei der wichtigsten Produkte der Firma sehr von deren Wirkung her sehr fraglich (einem Hustensaft und Vitamin C).
Seveso
Hat mir als Heranwachsendem damals Eindruck gemacht, unheimlich. Interessant, dass ich die Verbindung zu Roche so gar nicht mehr machte…
Kapitel Fritz Hofmann
Kapitel mit viel wissenswerten Details, vielleicht ist man als Quasibasler dafür auch besonders empfänglich. Der gesundheitliche Niedergang Hofmanns kommt etwas unvermittelt, und man realisiert, dass man über Hofmann als Person wenig erfahren hat – er scheint den Luxus und die Russlandreisen geliebt zu haben, und sich eine Geliebte zugelegt zu haben. Aber hatte er Kinder? Eine gute Beziehung zu den Kindern seiner zweiten Frau? War er politisch engagiert, in der Basler Gesellschaft aktiv? Natürlich setzt Capus bewusst auf Knappheit, aber nach den Jugendjahren stehen dann allzu sehr nur noch die geschäftlichen Entwicklungen im Vordergrund. Hübsch gesetzte Pointe, dass ein wirkungsloser, aber süsser Sirup den finanziellen Durchbruch brachte.
2000
Die Basler Konkurrentin bemüht sich verschiedentlich um eine Fusion, was die Roche-Familie aber einmütig ablehnt.
Zum Glück für Basel…!
„Nach hundert Jahren Industrialisierung war es auf der Welt noch immer dunkel.“
Capus‘ Gespür für erste Sätze…
Nachdem Brown alles gerechnet und gezeichnet hatte, überliess er die Ausführung seinem Assistenten, dem zwei Jahre jüngeren Walter Boveri; eine Arbeitsteilung, welche die beiden ein Leben lang beibehalten sollten.
[…] Die wirtschaftlichen Aussichten aber kümmerten Charles Brown nicht. Ihn interessierte die Schönheit der Technik, die Eleganz der Aparatur, die Logik ihrer Mechanik. Sein Assistenz Walter Boveri hingegen war in vielem ein gegensätzlicher Charakter; vor allem verfügte er über die kaufmännische Intuition, die dem Chef fehlte.
Und damit scheinen sie ja auch wirklich richtig gelegen zu haben. Boveri war nicht kreativ, Brown anscheinend ein getriebener. (Erinnert mich etwas an Le Coultre, der immer neues erfand.) Ein ideales Gespann.
„Walter Boveri war der Spross einer fränkischen Ärztefamilie. Seinen Ahnen, die ‚Poveri‘ (italienisch: die Armen) waren im 16. Jahrhundert aus Oberitalien über Savoyen und Genf nach Deutschland gelangt.“
Auch hier also: Migranten bringen die Innovation, zieht sich als roter Faden durch die Patriarchen-Geschichten, gilt ja halbwegs auch für Brown. Transformation von „Poveri“ zu Boveri…
Kurz nach der ersten Begegnung verlobte Boveri sich mit Victoire, worauf der künftige Schwiegervater die 500’000 Franken Startkapital bereitstellte.
Conrad Baumann – der Schwiegervater. Habe versucht herauszufinden, ob er etwas mit der „Création Baumann“ zu tun hat (Stoffe), finde aber nichts.
Wie auch immer – nette Mitgift 😉
Und erstaunlich, wie schnell dann alles ging, wie erfolgreich sie wurden.
Brown und Boveri führten ein feudales Leben.
Karl Moser war ihr Hausarchitekt. Er hat die beiden Villen gebaut (die Römerburg wurde allerdings 1957 abgerissen) und dann auch diejenige für den Sohn von Charles – für Sydney in der Langmatt, in dem sich heute ein Museum befindet (ein Besuch lohnt sich, wenn man sowieso mal in der Gegend ist).
Karl Moser hat in Basel die Pauluskirche, den badischen Bahnhof und die St. Antonius-Kirche, die erste Beton-Kirche der Schweiz gebaut.
Am 2. Februar 1899 kam es bei BBC erstmals zum Streik.
Und ab hier werden mir die beiden unsympathisch…!
Gegensätze können sich zwar ergänzen, aber es scheint doch auch schwierig zu sein, Spannungen auszugleichen.
Browns schwer zu zügelnde Vorliebe für Auftritte in Frauenkleidern…
vielleicht ist auch ein Schuss Exzentrik aus England mitmigriert…?
[…] nach einer Erdumrundung in nur 118 Tagen
Brown muss wirklich ein getriebener gewesen sein. Obwohl er ja sich ja dann doch zur Ruhe gesetzt und sich um seine Kinder gekümmert hat.
„Musiker, Bildhauer, Maler – ich wäre immer ein grosser Mann geworden“
Was für eine Selbsteinschätzung…!
Charles Brown und Walter Boveri
Der geniale, exzentrische Erfinder und der clevere, ehrgeizige Geschäftsmann: das ideale Tandem für die frühen Jahre der Erfolgsgeschichte von BBC. Als sich die beiden zerstritten, haben sie bereits die Basis für den Welterfolg der Firma gelegt, in deren Namen (und später in ABB) sie aneinander gekoppelt bleiben. Ich hatte bis anhin hinter BB zwei nüchterne Techniker vermutet, dieses Kapitel bereichert mein Bild der Firma. – Auch hier wieder das Muster: das Leben der Protagonisten wird in groben Zügen (und manchmal auch in erhellenden Details) geschildert bis zur Gründung respektive dem Erfolg der Firma, dann steht diese im Vordergrund, bis auf einen kurzen Abgesang auf die Helden. Das Leben der Patriarchen bleibt so sehr skizzenhaft, es klafft manche Lücke.
Die Reise eines Emmentaler Laib um die halbe Welt.
Auch hier wieder ein Beispiel für einen geglückten Anfang einer Geschichte. Capus versteht sein Handwerk.
In den Labors der Universitäten und der Industrie wurden G“tt und die Welt mit Chemikalien behandelt…
G“tt und die Welt chemisch behandeln – hihi
Als landauf, landab Eisenbahnen gebaut wurden – und keine ins abgeschiedene Emmental führte…
Noch eine Auswirkung der Industrialisierung, die ich eigentlich noch nie so bedacht hatte. So mussten sich also ganze Firmen verschieben, um den Vorteil der neuen Transportmöglichkeiten zu nutzen.
„Gleichzeitig verkaufte Gerber das herkömmliche Käsegeschäft (…), um sich ganz der Forschung widmen zu können.“
Für einen Kaufmann eine etwas überraschende, vielleicht auch mutige Entscheidung.
Die Erfindung gelingt, aber andere kopieren sie und sahnen ab…
Diese Naivität und Hilflosigkeit hätte man eher genialen Tüftlern als Geschäftsleuten zugetraut. Nun ja, wer sich für ein Jahr im Labor an Rezepten versucht, hat wohl auch eine Forscherseite in sich. Und der Schutz der Erfindung war ja dann auch keine Bedingung für den mittelfristigen wirtschaftlichen Erfolg, vielleicht haben Gerber und Stettler einfach auf Qualität und Kompetenz gesetzt.
An der Schweizerischen Landesausstellung 1914 war der Gerberkäse ein grosser Erfolg und wurde in der Sparte Milchwirtschaft mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.
Die Landesausstellung von 1914 in Bern spielt in vielen der Biographien unserer 10 Patriarchen eine wichtige Rolle. Schade, dass neue Projekte für eine nächste bisher alle nicht zustande gekommen sind. Ich fand die Expo 02 toll! (Siehe Schweizerische Landesausstellung – Wikipedia)
In der Schweiz aber war 1914 die Patentierung von Lebensmitteln nicht möglich…
Hätten Walter Gerber und Fritz Stettler gewusst, dass sie ihre Erfindung zwar nicht in der Schweiz, aber sehr wohl in den USA hätten patentieren lassen können, so hätten sie es gewiss getan – und während vieler Jahre den Weltmarkt für Schmelzkäse dominiert
Ja, die Patente. Wir haben in der Schweiz einerseits davon profitiert, dass die Gesetze hier hinterherhinkten (z.B. für die Pharma), andererseits wundert es einem ja, dass die beiden das nicht wussten. Allerdings hätten sie mit einem US-Patent wohl auch nur die US-Konkurrenz ausschalten können.
„Er wandelte das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um und verkaufte fünfundzwanzig Prozent der Aktien an den Verband Schweizerischer Milchproduzenten.“
Dass solch ein Manöver überhaupt möglich war? Ich hätte vermutet, der Verband sei zu Neutralität verpflichtet. Aber es war vermutlich 1918 eine unwiderstehliche win-win-Gelegenheit… Und dann der zweite Streich, Beteiligung von Nestlé 1927 und Erschliessung eines internationalen Vertriebsnetzes.
[…] manche operierten mit doppelten Schachtelböden
Das verstehe ich nicht, was für ein Vorteil waren doppelte Böden? (Kommt mehrmals vor)
Zeitlebens kinderlos geblieben, leistete er sich mit Ehefrau Leonore in den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens den grossbürgerlichen Traum jener Zeit – er verbrachte die Sommermonate jeweils im mondänen Luzern und den Winter an der Côte d’Azur, wo er in Cannes eine schöne Villa besass
Good for him. Einer der wenigen Patriarchen, der den Ausstieg rechtzeitig geschafft und sich was gegönnt hat.
(Mondänes Luzern 1927. Das kann man ich fast nicht vorstellen…)
1960
Gerber lancierte als Weltneuheit das Fertigfondue in der Schachtel.
Wow – schon 1960? Das hätte ich jetzt mindestens 20 Jahre später angesiedelt. Allerdings habe ich gerade gelesen, dass „Figugegel“ in den 1950er Jahren entstanden ist.
Walter Gerber
Seit ich den Kinderschuhen entwachsen bin, mache ich einen Bogen um Gala- und Schmelzkäse… Aber Hut ab vor der Leistung von Walter Gerber und Fritz Stettler, den Capus gegen Schluss leider aus den Augen verliert. Erfindergeist, Hartnäckigkeit und unternehmerische Weitsicht führten zum Erfolg. Walter Gerber will nicht so recht ins Schema des Patriarchen passen, er scheint ein eher zurückhaltender Emmentaler gewesen zu sein, auch wenn er sich in den letzten Lebensjahren dann standesgemässe Villen gegönnt hat.
Emil Bührle
Ein spannungsreiches Leben, mit einem markanten Bruch durch den ersten Weltkrieg. Vom Jean Paul-Leser und Cézanne-Enthusiasten zum Waffenlieferant jedweder Kriegspartei dieser Welt. Bührle hat die kalte Logik des kapitalistischen Wirtschaftens ohne Wimpernzuckern auf seine Branche übertragen, und sein Sohn Dieter, 1978 ausgezeichnet durch den Apartheidstaat, hat das nahtlos fortgesetzt. Diese Konsequenz hat die Firma erfolgreich gemacht (und die Jahre nach dem Ausscheiden Dieter Bührles lesen sich wie ein Trauerspiel), aber die Bührles haben einen hohen Preis bezahlt; offenbar hat auch das Schweizer und Zürcher Establishment (das sich in weniger sensiblen Branchen durchaus ähnlich opportunistisch verhalten hat) lieber Distanz gehalten… Die Sammelwut Bührles erscheint wie eine Kompensationshandlung für ein entgangenes, anderes mögliches Leben.