
The Old Patagonian Express
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Besprechung
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„(…) I noticed that the sallow-faced girl with green eyes was holding a magazine she had just bought. When I saw it was a comic book most of my ardour died: I find it discouraging to see a pretty woman reading a comic book.“
Und leicht ist der Erzähler nicht zu entmutigen. Schon eine ganze Weile versucht er auf der Zugreise mit der grünäugigen Frau anzubändeln, aber sie ignoriert ihn stoisch, respektive wird jeder Kommunikationsversuch von der älteren Begleiterin der jungen Frau in ihre Richtung kanalisiert.
„The Aztec Eagle climbed through the Cerro Rajon, a region of steep scrub-covered hills. It moved slowly enough on these circular climbs for me to pick wildflowers along the track (…)“
Schöne Szene, gefolgt von der Beschreibung der weiten Umgebung, und der näheren, mit Kleidern, die auf Kakteen zum Trocknen hängen. Hier fliesst für einmal etwas mehr Energie in die (mexikanische) Landschaftsbeschreibung. Er bezeichnet die Eukalyptus-Bäume „as African as the view“, interessanterweise.
„The atmosphere in the train was grim. This was the bottom of the social scale, mainly people going to the next village, a ten-cent ride to sell a dollar’s worth of bananas.“
Desolate Züge in Guatemala. Der Autor war gewarnt worden: die Züge sind alt, sie stinken, und sie brauchen sehr lange. Touristen würden üblicherweise den Bus nehmen. Aber der Autor hat sich Zugreisen in den Kopf gesetzt. Die anderen Reisenden wehren seine Kontaktversuche ab.
„The train was going at ten miles an hour, so it was possible to botanize there on the back pages of my Poe novel (…)“
Trostlose Reise nach Zacapa (das sich dann auch als öde herausstellt), der Autor vertreibt sich die Zeit mit dem Bestimmen von Pflanzen, die entlang der Gleise wachsen.
Kapitel 8, The Railcar to San Salvador
Nach den düsteren Episoden in Guatemala, alte, schmutzige Züge mit Passagieren, die kommunikationsunwillig sind, trostlose Landschaft („the sun revealed the landscape as dead and brown“ p. 39), hellt sich die Stimmung in El Salvador deutlich auf. Lebhafter Austausch mit zwei gekonnt portraitierten sales men, gefolgt von der glanzvollen Reportage des Fussball-Länderspiels El Salvador – Mexiko, das das Publikum auch zu seinem Spiel macht, mit eigenen Regeln, die gerade knapp verhindern, dass das Chaos und die Gewalttätigkeit den Rahmen sprengen – wenigstens so lange, bis das Spiel beendet ist.
Kapitel 11, The Pacific Railway: The 10:00 to Punatarenas
Der Hauptgrund für diese Zug-Reise nach Puntarena: „I wanted to read a book“ (p. 221), und zwar Edgar Allan Poes „Narrative of Arthur Gordon Pym“, aus dem Theroux einige (grauenvolle) Passagen zitiert, zwischen den Beobachtungen des Zuggeschehens. Eine im Zug verteilte Familie mit zwei hübschen Teenagerinnen steht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ein junger Mann setzt sich, nachdem er höflich gefragt hatte, zwischen die beiden Mädchen und versucht ein Gespräch zu beginnen, womit er aber den Zorn der Mama auf der anderen Gang-Seite auf sich zieht. Der junge Mann versucht sich zu verteidigen, wird aber von den immer heftiger werdenden Beschimpfungen und schliesslich auch körperlichen Attacken vertrieben. Der weiter abseits stehende Vater der beiden Mädchen beobachtet die Eskalation, trinkt aber ruhig sein Bier. Der junge Mann verzieht sich in einen anderen Zugwagen, wo ihn der Vater aufsucht und sich für das Verhalten seiner Frau entschuldigt. –
„I saw a young couple picking out a vacuum cleaner, and I felt guilty and homesick.“
Theroux analysiert, warum er die abgelegenen Schauplätze bevorzugt, warum er eher in heruntergekommenen Städten verweilt, in dreckigen Zügen reist und in lausigen Hotels schläft: „Perhaps this explained my need to seek out the inscrutable magnetisms of the exotic: in the wildest place everyone looked so marginal, so temporary, so uncomfortable, so hungry and tired, it was possible as a traveller to be anonymous or even, paradoxically, to fit in.“ (p. 221)
Jetzt ist er im relativ wohlhabenden, stabilen Costa Rica, in der Hauptstadt San José, wo das Alltagsleben gar nicht so verschieden ist von demjenigen in Massachusetts. Es erinnert den Reisenden daran, dass er nicht einfach Abenteuer erlebt an exotischen Schauplätzen und für Momente an der Lebenszeit teilnimmt von in ihrem schwierigen Alltag eingespannten Mittelamerikanern, die keine Zeit und Energie haben, sich um den Gringo zu kümmern. Es ist auch seine Lebenszeit die hier verrinnt, er hat ein Leben zurückgelassen in den USA, das er in der Reisezeit hätte weiter aufbauen können.
Panama Canal Zone
Theroux‘ Reise fand im Jahr 1979 statt. Zwei Jahre zuvor hatte US-Präsident Jimmy Carter mit dem Führer der panamaischen Militärjunta General Torrijos ausgehandelt, dass der Kanal bis ins Jahr 2000 an Panama zurückzugeben ist.
In der „Canal Zone“, wo viele Amerikaner leben und arbeiten, stösst das Abkommen auf wenig Begeisterung, es gibt auch die Hoffnung, dass der Vertrag nicht erfüllt wird und die Amerikaner bleiben. Theroux schildert Begegnungen in der „Zone“ und die eigenartige Atmosphäre dort. – Ende 1999 übernahm Panama vertragsgemäss den Kanal. 25 Jahre später allerdings sollte ein (ganz) anderer amerikanischer Präsident das Abkommen von 1977 in Frage und die Rückkehr der US-Amerikaner in Aussicht stellen.
„(…) and I decided that no railway journey on earth can be so aptly described as going on ad nauseam.“
Der Zug von Lima nach Huancayo überwindet viele Höhenmeter, und die meisten Passagiere werden höhenkrank, Kopfweh, Erbrechen. Auch Paul hat kaum mehr einen Blick für die prächtige Landschaft. Sauerstoff aus Ballonen, die man im Zug erhalten kann, verschaffen etwas Erleichterung.
„Few great cities in the world look more plundered and bankrupt than Lima. (…) Lima – epitomizing Peru – was a glum example of obnoxious mismanagement.“
In Peru ist 1979 die Armut und die Hoffnungslosigkeit noch grösser als anderswo in Südamerika.
„We were still at 12,000 feet and travelling across a gaunt moonscape of dry rocks and empty craters. Alcohol worsens the symptoms of altitude sickness; and a hangover at a high altitude makes one feel close to death. The landscape was cheerless and full of hard sharp rocks, a plain of tormented flint.“
Auf dem Weg von La Paz in Bolivien nach Tucuman in Argentinien muss man mit der Höhe klarkommen. Theroux gelingt das nur mässig. Die Reise gleicht hier einer Tor-tour.
(…) but Wolfgang was the embodiment of the maxim I had devised earlier in this trip: it is the raggedest traveller who has the most precise notion of the exchange rate. Wolfgang wasn’t looking for another life. Travel for him, as for many others, was just another way of saving money.“
Paul trifft mal wieder einen Deutschen. Sie tauschen sich über ihre Reiseerlebnisse aus. Wolfgang scheint aber kaum etwas in Erinnerung behalten zu haben, ausser den günstigsten Wechselkursen. Er reist nicht, um etwas zu erleben, oder etwas zu entdecken. Er reist, um zu sparen. Und weil er das für Monate macht, kann man sagen: Er lebt, um zu sparen. Trauriges Bild.
„One of the pleasures of Argentina – it had also been one in Costa Rica – was that one could be wholly anonymous. The faces on the Pan-American at this point were the faces one might see on any train in the United States, or Europe for that matter. It was possible to enter a crowd in Argentina and vanish.“
Das dauernde Exponiertsein, der Fremde zu sein unter lauter Einheimischen, kann auf die Dauer ermüden. Zu verschwinden, anonym zu sein, gleicht einer Erholung. Nun hatte Paul in Guatemala andersrum argumentiert, s. Seite 221: dort hatte ihm der extreme Exotismus als Cover gedient und ihm paradoxerweise eine gewisse Anonymität verschafft, vielleicht wäre dort „Immunität“ das bessere Wort gewesen. Und in Costa Rica hatte ihn eine eher vertraute Umgebung in eine kleine Krise gestürzt, mit Schuldgefühlen und Heimweh.
Widersprüchlich? Ja, so wie eben Gefühle gerade auf Reisen widersprüchlich sein können. Jedenfalls sind solch wechselnde Eindrücke eher ein Stärke als eine Schwäche des Buches.
„With the highest literacy rate in Latin America, and one of the highest in the world (91.4 per cent), there was really no excuse for Argentina to be a tyranny.“
Theroux rätselt, warum ein Land wie Argentinien eine Neigung zur Diktatur hat. Damals war General Videla an der Macht. Er sieht eine „carelessness“ am Werk, die Autokratie zu akzeptieren scheint, und er hält das für „infantile“. Sein Gesprächspartner ist sein argentinischer Verleger, Mr Naveiro. Er sieht den Grund dafür, dass Argentinien sein Potential nicht ausschöpfen kann, in der Unfähigkeit zur Team-Arbeit. – Bald 50 Jahre später gibt Argentinien den Beobachtern noch immer Rätsel auf, das Potential scheint immer noch brach zu liegen.
Kapitel 20 „The Buenos Aires Subterranean“
Auch zum knapp 80-jährigen Jorge Luis Borges führt eine (Untergrund-) Bahn, durch Buenos Aires. Unaufgeregter, angenehm zu lesender Bericht. Theroux nahm für einige Abend am Leben von Borges teil, las ihm aus Büchern vor, die beide schätzten (Kipling etwa, oder Poe), und hörte sich die mild idiosynkratischen Urteile des sehr präsenten blinden alten Mannes über Schriftsteller und die Welt an.
„(…) I had no intention of writing about being in a place (…). I was more interested in the going and the getting there, in the poetry of departures.“
Das erklärt einiges, zum Beispiel den Buch- und die Kapiteltitel, die nach Zügen benannt sind. Theroux hat zuvor von (deutschen) Reisenden berichtet, die reisen, um zu sparen. Andere reisen, um irgendwohin zu kommen. Theroux reist um zu reisen.