Under the Banner of Heaven
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Besprechung
Moritz T.
„How could an apparently sane, awovedly pious man kill a blameless woman and her baby so viciously, without the barest flicker of emotion? (…) Any attempt to answer such questions must plumb those murky sectors of the heart and head that prompt most of us to believe in God (…)“
Krakauers Ambition ist es, den religiösen Fanatismus zu verstehen; und Religion und Glauben überhaupt, aus dem der Fanatismus erwächst. Seine Ausgangsthese provoziert, da er die Wurzel des tödlichen Wahns in der Religion als solche vermutet; er hätte sich auch vornehmen können zu untersuchen, wo die Sollbruchstelle liegt, die einen religiösen Menschen von einem Fanatiker unterscheidet.
„Nevertheless, Mormons and those who call themselves Mormon Fundamentalists (or FLDS) believe in the same holy texts and the same sacred history.“
Die offizielle Kirche der Mormonen bemüht sich um Distanz zu den Fundamentalisten, auch wenn sich diese auf dieselben heiligen Instanzen berufen, wie Krakauer hier festhält, die Abgrenzung in Frage stellend.
Kapitel „Elizabeth and Ruby“
Beispiele für den Umgang der Fundamentalisten mit Mädchen, die sie in Polygamie zwingen, ohne Rücksicht auf physische und psychische Gesundheit. Krakauer zeichnet den Hintergrund, vor welchem der Mord der Lafferty-Brüder sich ereignet hat.
„(…) eventually sparking a full-blown war that culminated, around 400 A.D., with a brutal campaign in which the reprobate Lamanites slaughtered all 230’000 of the Nephites (which explains why Columbus encountered no Caucasians when he landed in the New World in 1492).“
Krakauers Zusammenfassung der Geschichte der Mormonen wirkt am besten mit solch verhaltenem Sarkasmus. Besser jedenfalls, als wenn er der Kirche unterstellt, sie wäre bereit gewesen, ein (nie erstelltes) gefälschtes Manuskript mit den ersten 116 Seiten, die Kirchengründer Smith diktiert hatte, aufzukaufen, um es vor der Welt zu verstecken (s. Fussnote p. 60). – Warum taucht Krakauer hier so tief in die Geschichte der Mormonen ein? Trägt das etwas bei zur Aufklärung des Mordes, mit dem sich das Buch beschäftigt?
„‚The events of the past year have caused me to do a great deal of research and scripture study and spend a great deal of time in on my knees in prayer. I have been stripped of all my material wealth, my family has divorced me and moved to Florida, I have been unjustly excommunicated from the church that I love so dearly.'“
Zitat aus einem „journal“ von Ron Lafferty, der sich zusammen mit seinen Brüdern einer fundamentalistischen Sekte der Mormonen zuwandte, dabei alles – Familie, Haus, Job – verlor, jetzt aber zu einem Bischof der „School of Prophets“ befördert wird. – Krakauer nimmt Lafferty die Demut nicht ab, und schreibt, dass sich in ihm eine immer grössere Wut geregt habe gegen die Leute, die seine Frau zur Trennung veranlasst hätten. Krakauer unternimmt aber keinen durchgehenden Versuch, die Fanatiker zu verstehen, ihr Innenleben zu analysieren. – Der Anführer der Sekte, Onias, wurde heimgesucht von Erleuchtungen, die den Irrweg der regulären Mormomenkirche entlarvte, Schwarze als Priester zu akzeptieren (seit 1978), und die Polygamie zu untersagen. Er liess ein Pamphlet in 15’000 Exemplaren drucken und verteilen, in dem er die Kirche anklagte und sich als „the one mighty and strong“ bezeichnete, der die Kirche zur Umkehr zwingen würde.
Kapitel 16, „Removal“
Schwer zu ertragen: die Schilderung des Doppelmordes an Brenda und dem Baby. Krakauer folgt hier weitgehend der Perspektive des Täters Dan Lafferty, der zwischendurch immer wieder betet, um zu verstehen, was er als nächstes tun soll (erst das Baby töten, dann die Mutter).
„The cat was out of the bag.“
Nach der Ermordung von Smith behielten die Polygamisten die Oberhand im Nachfolgekampf: Brigham Young wurde zum neuen Anführer gemeldet. Lange zögerte Young, sich offen zur Polygamie zu bekennen. Erst 1852 verkündete er „one of the best doctrine ever proclaimed“ einer Kirchenversammlung. Er hatte mindestens 20 Frauen, und ca 57 Kinder. – Die Witwe Emma Smith schloss sich einer Anti-Polygamie-Gruppe an, die später von Sohn Joseph III angeführt wurde. Diese Sekte ist heute noch aktiv unter dem Namen „Community of Christ“ mit etwa 250’000 Gläubigen (s. Fussnote p. 199) .
„“(…) right to kill a sinner to save him (…)'“
Rechtfertigung von Mord durch Vertreter der Kirche (Zitat Jedidiah Grant, second counselor Brigham Youngs), zurzeit der „Mormon Reformation“.
Kapitel „For Water will not do“
Mountain Meadows massacre: Mormonen töten „Heiden“, die in eine Trek auf dem Weg nach Kalifornien sind, Männer, Frauen, Kinder. Brigham Young und seine Apostel hatten den Hass geschürt gegen die US-Regierung und die „Heiden“.
Das folgende Kapitel „Scapegoats“ diskutiert die Ermordung dreier weitere Amerikaner, möglicherweise wieder durch Mormomen – nicht ganz klar, inwieweit diese Seiten etwas entscheidendes zum Buchthema beitragebn. – Am Ende des Kapitels dann die Hinrichtung von Mormone John D. Lee, einem der Verantwortlichen des Massakers, den Brigham Young als Sündenbock opferte, gemäss Krakauer.
„Ron Lafferty’s theology, Gardner argued, is definitively strange, but it is not an outgrowth of schizophrenia, or some other sickness of the brain.“
Dr. Gardner, Psychiater und Experte, erklärt dem Gericht, warum er Ron Lafferty nicht für psychisch krank hält. Laffertys Glaubenssystem sei kohärent – wie dasjenige von anderen Gläubigen, die irrationale Elemente in ihr Weltbild integrieren.
„Written on it was a revelation Ron said he’d just received, in which God commanded Dan to let Ron kill him.“
Nach dem Mord sitzen die beiden Brüder im Gefängnis. Ron händigt Dan einen Zettel aus mit dieser Notiz. Dan betet (nach eigener Darstellung) und bittet Gott um Rat, und spürt, dass er der Weisung auf dem Zettel folgen soll. – Rons frühere revelation, Brenda und das Baby (und zwei weitere Personen) zu töten, wurde auch diskutiert zwischen den Brüdern, und in einer grösseren Gruppe in der „School of Prophets“. Nicht alle Offenbarungen scheinen genuin zu sein, diese hier aber schon – das findet Dan auch bestätigt, weil er kurz nach seinem Gebet seinen Darm leeren muss, „’so that I wouldn’t make a mess when I died'“. – Ron scheitert bei seinem Versuch, händigt aber seinem Bruder bald eine erneute Offenbarung aus mit der Anweisung sich zu ermorden lassen. Aber: „‚when I prayed about it I didn’t feel like I was supposed to submit myself to let him do it again.'“ (p. 311)
„Dan believes (…) that the most salient fact of existence is the inmutable division of humankind into those who are inherently rightful and those who are inherently evil.“
Dans Glauben unterliegt einigen Änderungen im Gefängnis; er sieht sich nicht mehr als fundamentalistischen Mormonen, er ist jetzt der Prophet Elia, der den Weg für „the Second Coming of Christ“ bereitet. Wie auch immer: die Überzeugung bleibt, dass es Kinder Gottes und Kinder des Teufels gibt. Die scharfe Trennung in Gläubige und Ungläubige dürfte für viele Religionen ein ursprünglicher, identitätsstiftender Gedanke sein.
„The genesis of this book was the desire to grasp the nature of religious belief.“
Aus dem Nachwort des Autors. Die Mormonen schienen dem Autor ein gutes Beispiel, weil diese Religion erst im 19. Jahrhundert gegründet wurde, und es viele Zeugnisse und Spuren aus der Gründerzeit gibt.
„I must confess that the book you are now reading isn’t the book I set out to write. As originally set out, it was going to focus on the uneasy, highly charged relationship between the LDS church and its past. (…) How does a critical mind reconcile scientific and historical truth with religious doctrine?“
Leider führt dann Krakauer nicht aus, was für ein Buch er stattdessen geschrieben hat. Natürlich soll sich der Leser selbst ein Bild machen. Ganz hat Krakauer seinen ursprüngliche Idee nicht aufgegeben; er versucht die Widersprüche der Mormonen durch die Geschichte der die Lafferty-Brüder und ihren Mord an Schwägerin und Nichte aufzufächern. Das ist problematisch: die LSD-Kirche sieht die Laffertys nicht als Mormonen, ganz abgesehen davon, dass man den Laffertys schwerlich einen „critical mind“ attestieren kann. (Interessant die Frage allerdings, ob die beiden Brüder und vor allem Ron nicht einfach verrückt waren; eine Frage, die Krakauer tendenziell verneint, Gerichtspsychiater zitierend.)