Von Berlin nach Jerusalem und zurück
Fügen Sie Ihre Bewertungen hinzu
Besprechung
Moritz T.
Anfänge in Palästina
Mehr als Scholems Anfänge in Palästina beschreibt das Kapitel die Konstellation in Deutschland, die Scholem dann nach Palästina geführt hat. Der aus einer bürgerlichen, assimilierten Berliner Familie stammende Scholem war fasziniert vom Judentum der „Ostjuden“ (der Begriff wird hier nicht weiter differenziert) und ihren Exponenten Agnon und Bialik, Schriftsteller hebräischer Sprache, die für Scholem ein ursprüngliches Judentum verkörperten. Die beiden Dichter und Scholem kamen 1923 in Bad Homburg zusammen, eines der jüdischen Zentren in Deutschland. Die zionistische Dynamik führte dann alle drei nach Palästina, die „Ostjuden“ und den Berliner Intellektuellen, der nach seiner Ankunft in Jerusalem die Dürftigkeit der lokalen Intelligenz vermerkte. Berlin war wohl zu jenem Zeitpunkt eine Hauptstadt des jüdischen intellektuellen Lebens, das Scholem gleich wohl gegen ein Pionier-Leben in Palästina eintauschte.
„In mancher Hinsicht kann Scholems Bibliothek als ideale Verwirklichung der Idee der Sammlung im Bereich der Kabbala gelten.“
Scholems Bibliothek umfasste zuletzt 25’000 Bände. Er vermachte sie der Nationalbibliothek in Jerusalem. – Etwas schwerfällige Formulierung.
„‚Metaphysisch haben wir die Schlacht, die der Zionismus in der Welt gewonnen hat, im Lande verloren.'“
Scholem, 1924, enttäuscht, wie sich der Zionismus in Palästina entwickelt. Mit seinem Engagement bei „Brit Schalom“ Brit Schalom – Wikipedia setzte er sich für den Dialog mit den Arabern ein.
Pilgesch
Fünf Intellektuelle deutscher oder schweizerischer Herkunft treffen sich jeden Sabbat im Jerusalemer Viertel Rechavia. Man unterhält sich auf deutsch, schafft eine gewisse Kontinuität in der neuen Heimat Palästina. Zadoff unterstellt eine homoerotische Komponente, und eine gewisse Parallele zum Stefan-George-Kreis, der offenbar auch Scholem schon früh beschäftigte (wie so viele andere junge deutsche Intellektuelle). Die Mitglieder nahmen sich gegenseitig aufs Korn, Satire als wichtiges Kommunikationsmittel. Prominentes Mitglied neben Scholem: Hans Jonas, dem wir einige witzige Porträtskizzen Scholems verdanken. – Mit Ironie hält Scholem Distanz, er bleibt schwer fassbar, lässt die Dinge in der Schwebe – bei aller Entschiedenheit, mit der er sich dem Zionismus und der Kabbala zuwandte.
Zentrum-Peripherie-Zentrum
Von Berlin nach Palästina, das erst zum neuen Zentrum der jüdischen Kultur werden soll. – Wichtige Rolle der Kabbala, aber Scholem grenzt sich ab von Mystikern ohne historisches Verständnis.
„Scholems anarchische Religiösität“
Scholems Versuch einer Rekonstruktion der Geschichte der Kabbala ist kein rein akademisches Unterfangen, gemäss Zadoff. Aber Scholems Religiösität ist nicht leicht einzuordnen. Inwieweit unterscheidet er sich dann von den ahistorischen Mystikern?
„Den Kern dieses Anarchismus bildet die Leugnung der bestehenden religiösen Autoritäten bei gleichzeitigem Glauben an die Existenz Gottes.“
Merkwürdige Berufung auf die Tradition, bei gleichzeitiger Freiheit im Glauben. Scholem würde vielleicht argumentieren, dass nur die Kenntnis der Schriften und Auslegungen die Freiheit ermöglicht. – Nähe des jungen Scholems zu politisch anarchistischem Gedankengut (p.125).
Reise nach Deutschland
Etwas langfädige Nacherzählung von Scholems Reise ins Nachkriegseuropa mit dem Ziel, der jüdischen Nationalbibliothek wertvolle Bücherbestände aus ehemaligen jüdischen, von den Nazis geraubten Bibliotheken zu sichern.
„Scholems Beziehung zu Eliade und Jung illustriert, wie sehr er zwischen zwei Positionen stand: dem Wunsch, dem Eranos-Kreis anzugehören, und der Notwendigkeit, seine Teilnahme an ihm vor der israelischen Öffentlichkeit und gegen die kritischen Stimmen zu verteidigen.“
Man kann ja beide Positionen einnehmen, ohne „dazwischen zu stehen“. – Scholem nahm über viele Jahre an den jährlichen Eranos-Treffen in Ascona teil, er war dort ein angesehener Redner. Jung und Eliade, ihrerseits prominente Mitglieder des Kreises, hatten sich in der Vergangenheit antisemitisch geäussert, oder waren den Faschisten nahegestanden. Es beeindruckt, wie Scholem sich um eine differenzierte Haltung bemüht, bei allem Druck, unter dem er von jüdischer Seite stand.
„Symbolisch betrachtet projizierte Scholem in der nostalgischen Atmosphäre von Eranos seine eigene Utopie aus der kollektiven Zukunft in seine private Vergangenheit.“
Was genau will Zadoff hier mitteilen? – Etwas viel Raum für die Spekulationen über die Beweggründe für Scholems Teilnahme an den Eranos-Tagungen; vielleicht hätte eine Analyse einiger der 21 Vorträge Scholems mehr Ertrag gebracht.
Arendt und Scholem, „Eichmann in Jerusalem“
Detaillierte Darstellung der Beziehung Arendt – Scholem, und des Zerwürfnisses nach der Publikation von Arendts „Eichmann in Jerusalem“. Zadoff arbeitet die verschiedenen Positionen der Kontrahenten heraus, registriert aber auch die (politisch-philosophische) Nähe der beiden jüdischen Intellektuellen, die dem Konflikt eine zusätzliche Schärfe gab.