Wellness

Autor: Nathan Hill
Verlag: Picador
Genre: Belletristik
Erscheinungsjahr: 2023
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 9781035008360
Einbandart: Taschenbuch
Seitenzahl: 624
Sprache: Deutsch
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Besprechung

Moritz T.

«Wellness» ist ein überaus ambitionierter Roman: Er lotet die Abgründe einer Ehe aus, und blickt weit zurück in die Familiengeschichte seiner Figuren. Über viele Seiten...
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SEITE: 67 Moritz T. Keine Kommentare
Stelle:

„(…)  — when Toby declared that this was all hopelessly difficult and well beyond his capacities and he henceforth sat far away from the group, playing Minecraft, not even attempting to socially engage, which was a pretty big backfire, Elizabeth had to admit.“

Anmerkung:

Toby, Elizabeths und Jacks achtjähriger Sohn, tut sich schwer im sozialen Umgang mit anderen Kindern. Am liebsten verbarrikadiert er sich hinter dem Computer und spielt Minecraft. Elizabeth realisiert, dass er Hilfe benötigt, und, Wissenschaftlerin, die sie ist, entwickelt sie einen sieben-Punkte-Plan, wie man sich einer Gruppe nähert und erfolgreich an der Konversation teilnimmt. Ihr Sohn ist schon mit jedem einzelnen dieser Schritte überfordert, und erst recht damit, sie sinnvoll aneinanderzureihen. – Gekonnt inszeniert (bis zum Punkt, wo der Satz selbst, aus dem das Zitat stammt, als einziger in der Umgebung aus dem Ruder läuft, zu kompliziert wird): man realisiert als Leser wieder einmal, wie komplex die Herausforderung tatsächlich ist, sich in eine schon bestehende Gruppe einzugliedern, Elizabeths Programm leuchtet in der Theorie durchaus ein. Aber für ein Kind, das nicht nur socially awkward ist, sondern eher schon autistische Züge ausweist, ist es ein absurder Vorschlag; daraus resultiert eine traurige Komik.

Der Autor bewältigt mühelos den Sprung aus  der ersten Verliebtheit (Kapitel 1) in die midlife crisis, mit einem Jack, der Elizabeth nicht genügend Raum lässt, einem anstrengenden kid, und knappen Budgets.  Alles zielführend, sorgfältig, mit der nötigen Tiefenschärfe und mit gutem Timing vorgeführt.

SEITE: 111 Moritz T. Keine Kommentare
Stelle:

„He opened the app and listened once more, and it did not take long for him to figure it out: that wasn’t the sound of snoring. That was the sound of a vibrator.“

Anmerkung:

Das ist einfach brillant gemacht: Jack wollte Elizabeth wieder einmal verführen, und bot an, sie mit dem Vibrator zu befriedigen. Wahrscheinlich um seine Selbstlosigkeit zu unterstreichen, hatte er sich sogar von seinem wearable getrennt, das Daten aufzeichnende Armband, das er sonst durchaus auch gern beim Sex anbehält, um danach die Datenanalyse anzuschauen.

Elizabeth ist nicht in der richtigen mood, nicht im headspace. Jack lässt sie allein und kehrt nicht ins Schlafzimmer zurück, es kommt ab und zu vor, dass er anderswo in der Wohnung schläft. Die von Einschlafschwierigkeit geplagte Elizabeth greift schliesslich zum Vibrator, kommt zum Orgasmus und schläft ein. Die Episode bleibt im Hinterkopf des Lesers noch etwas hängen, aber die Geschichte setzt sich in einem weiteren Mini-Kapitel fort mit einer Demütigung Jacks im beruflichen Umfeld, die sich auch körperlich niederschlägt. Jack erwartet einen mahnenden Hinweis des wearables, und erst als der ausbleibt, realisiert er, dass er das Armband seit gestern Abend gar nicht getragen hat, und dass das früher abgehorchte Schnarchen keines oder nicht seines gewesen sein kann.  Jetzt kommt zur beruflichen Demütigung die private hinzu — Elizabeth hatte auf sein Angebot verzichtet, war offenbar sehr wohl in der mood.

SEITE: 148 - 180 Moritz T. Keine Kommentare
Stelle:

Kapitel „The Unraveling“

Anmerkung:

Elizabeth wird uns wieder vorgeführt als systematische, wissenschaftlich-rationale Mutter, die bei jedem Konflikt mit Toby oder auch nur bei jeder Erziehungsfrage mental immer sofort den psychologischen Forschungsstand abruft und darauf basierend ihre Entscheidungen trifft.

Das hat stark parodistischen Charakter, und man mag bedauern, dass der Autor um dieses Effektes willen die Figur etwas eindimensional zeichnet, auch wenn die Eskalation zwischen Elizabeth und Toby stringent und überzeugend geschildert wird.

Hill verhandelt hier im Hintergrund interessante Fragen: Wie können wir wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis nutzen? Die Ironie der Geschichte: Die wissenschaftsgläubige Elizabeth arbeitet im „Wellness“-Institut, das sich auf das Arbeiten mit Placebo-Effekten spezialisiert hat. Sie lernt dort immer wieder von neuem: Kontext, Präsentation, Stimmung ist essentiell für die Wirkung eines Medikaments. Dasselbe gilt natürlich auch für auf Studien basierende psychologische Rezepte, die Elizabeth aber einfach übernimmt, nur um time after time frustriert zu werden, weil sie nicht wirken. Dass sie und Toby eine spezifische Vorgeschichte mitbringen, dass sie beide unter enormen Druck setzt, dass sie Tobys Verhalten falsch liest – kurz, dass der Kontext ein ganz eigener, anderer ist als in den zitierten Studien, die scheinbar das identische Problem thematisieren, kommt ihr nicht in den Sinn.

 

 

 

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