Willensfreiheit

Autor: Geert Keil
Verlag: De Gruyter
Herausgeber: Dieter Birnbacher, Pirmin Stekeler-Weithofer, Holm Tetens
Genre: Philosophie
Erscheinungsjahr: 2017
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-11-053345-3
Auflage: 3
Einbandart: Broschur
Seitenzahl: 266
Sprache: Deutsch
Originalsprache: Deutsch
Erscheinungsjahr Originalausgabe: 2012
Stichworte: Philosophie , Willensfreiheit
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Besprechung

Moritz T.

Für die meisten von uns dürfte es im Alltag als selbstverständlich gelten, dass wir über einen freien Willen verfügen, und ihn bei einem Entscheid zwischen...

bheym

Mit „Willensfreiheit“ hat der Philosoph Geert Keil ein Werk vorgelegt, in dem er dieses Dauerthema sehr grundsätzlich aus maßgeblich philosophischer Sicht diskutiert. Zunächst wirft er...
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Einleitung

Anmerkung:
  • GK nimmt einige hilfreiche sprachliche Ausdifferenzierungen vor, z.B. „Freiheit von etwas“ (etwa Zwängen oder Hindernissen) oder „Freiheit zu etwas“ (etwa freier Rede). Er unterscheidet zwischen Willens- und Handlungsfreiheit, sieht den Willen als ein Vermögen/eine Fähigkeit und subsumiert darunter den Willensbildungsprozess, an dessen Ende eine Entscheidung steht. Die Handlung folgt erst auf die Entscheidung. Willens-, Entscheidungs- oder Wahlfreiheit würden in der Philosophie meist synonym verwendet.

 

  • Gemäß GK besteht das traditionelle Problem der Willensfreiheit in der Frage: „Freiheit oder Determinismus“, während heute eher das Vereinbarkeitsproblem dominiert. Dies wird durch die „Vereinbarkeitstabelle“ illustriert, die in den Spalten zwischen „frei“ und „unfrei“ unterscheidet und in den Zeilen zwischen „determiniert“, „nicht determiniert“ oder „unbekannt“ bzw. „irrelevant“ (ob die Welt determiniert ist oder nicht). Je nach Kombination der jeweiligen Ausprägungen der Dimensionen „frei“ und „determiniert“ gelangt man zu Kompatibilisten, Imkompatibilisten, Libertariern und verschiedenen Spielarten (z.B. agnostischer Kompatibilismus). Die  Tabelle ist grundsätzlich sehr hilfreich und schafft eine gewisse Ordnung, ist aber leider etwas kompliziert erklärt; GK hält sich vor allem auch etwas zu sehr damit auf, was die Tabelle nicht leistet (z.B.: verschiedene Verständnisse von Freiheit bei „Libertariern“ – „Freiheit = Anderskönnen“ –  und Kompatibilisten – „Freiheit = kein äußrerer Zwang und Entscheidung in Übereinstimmung mit der betreffenden Person“ ).
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Stelle:

Kapitel 3, „Kompatibilismus“

Anmerkung:

Mit ziemlich grossem Aufwand schreitet hier GK durch die Philosophie-Geschichte und zerzaust kompatibilistische Positionen mit dem Totschlag-Argument des universalen Determinismus (uD): Determinismus und Willensfreiheit können nicht kompatibel sein, denn der komplette Weltenlauf ist im uD vorherbestimmt. Wenn Person A innehält und einen fast gefällten Entscheid X überdenkt und sich dann für Y entscheidet: auch dieser Willensbildungsprozess ist vorherbestimmt, es mag nach Freiheit aussehen, ist es aber nicht. – Erst gegen Schluss des Kapitels diskutiert GK die Position, dass auch im uD eine Person sich frei fühlen kann im Willensbildungsprozess, weil sie beispielsweise nichts vom uD weiss. Aber GK vertieft hier diesen Punkt nicht weiter, obwohl er interessant ist. Selbst wenn die Person weiss, dass ihr nächster Entscheid prä-determiniert ist, entbindet sie dieses Wissen nicht von einer subjektiv empfundenen Freiheit im Willensbildungsprozess. Die Person weiss zwar, dass der Entscheid prä-determiniert ist, aber nicht, ob der Entscheid X oder Y sein wird. GK schliesst diesen Aspekt der Diskussion mit der lapidaren Feststellung: «Demgegenüber halten Libertarier Willensfreiheit für eine robuste Tatsache, die nicht auf einer Perspektivendifferenz beruht.» (p. 92)

Die Figur «Kompatibilismus» wird also in diesem Kapitel ziemlich kompromisslos abgeräumt vom Spielbrett.  Aus GKs Ausführungen wird für mich zu wenig klar, was denn den K. überhaupt so attraktiv macht, dass er zahlreiche und prominente Anhänger für sich reklamieren kann.

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Stelle:

„Anderskönnen unter gegebenen Umständen wird von Kompatibilisten als steile These angesehen. … Die Alternative dazu ist die Annahme, dass wir in jedem Augenblick immer nur etwas seit dem Urknall Determiniertes tun können. Das ist in der Tat eine steile These.“

Anmerkung:

Das mutet nach einer bemerkenswert suggestiven Argumentation an, weil die Kritik an der These des Anderskönnen mit der noch ausgeprägteren Steilheit der These des Nichtanderskönnens gekontert wird.

Im Nachgang spekuliert GK darüber, warum so viele Philosophen das Anderskönnen als eine kühne These ansehen und vermutet, dass es damit zusammenhängt, dass man oft die Vergangenheitsform bemüht („hätte er anders können“). Da man die Vergangenheit nie ändern kann, wäre man geneigt zu urteilen, dass er nicht hätte anders können und schließt daraus, dass Anderskönnen generell ausgeschlossen ist. Formuliert man den Satz im Präsens („kann er etwas anderes tun“), dann würde man nicht in diese Falle laufen.

Weiterhin kritisiert GK die Redeweise von „identischen Bedingungen“, unter denen ein Anderskönnen möglich sein solle, weil es identische Bedingungen im Weltlauf nie gibt, es gibt nur gegebene Bedingungen.

Mir kommt diese Argumentation wenig zwingend vor. Es mutet doch wenig wahrscheinlich an, dass sich Philosophen von der Vergangenheitsform auf die falsche Fährte locken lassen. Genauso ist die Rede von „identischen Bedingungen“ doch nur als Gedankenexperiment hinsichtlich einer prinzipiellen Fragestellung zu verstehen und nicht hinsichtlich der praktischen Relevanz. Der Punkt ist nicht, ob es jemals wieder identische Bedingungen gibt, der Punkt ist, ob eine Akteurin unter identischen Bedingungen anders handeln könnte als sie es tut. Diese Frage zu delegitimieren, indem man das Auftauchen von identischen Bedingungen negiert, halte ich ihrerseits für eine nicht legitime Argumentation.

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Stelle:

„Warum sollte der Umstand, dass mentale Prozesse physisch realisiert sind, dass also in meinem Gehirn etwas vorgeht, während ich etwas denke oder will, freiheitsgefährdend sein? … Die Unvereinbarkeit, auf die der Libertarier verpflichtet ist, ist die zwischen Freiheit und Determinismus, keine zwischen Freiheit und Naturzugehörigkeit des Menschen.“

Anmerkung:

GK wehrt sich gegen den Vorwurf, dass Libertarier dem Dualismus zuneigen, wie er z.B. von Neurowissenschaftlern wie Gerhard Roth oder Wolf Singer erhoben wird. GK fragt: „Was ist hier schiefgelaufen?“ und konstatiert, dass die beiden einer begrifflichen Verwechslung anheimgefallen sind. Sie würden nämlich übersehen, dass sie den Begriff „festlegen“ in zwei verschiedenen Bedeutungen gebrauchen: a) mentale Zustände sind durch physikalische Zustände festgelegt, b) ein Folgezustand ist durch einen vorhergehenden Zustand festgelegt. In a) ist festlegen synchron zu verstehen, in b) diachron.

Ich glaube nicht, dass GK hier den entscheidenden Punkt trifft: Aus meiner Sicht wollen GR und WS Folgendes sagen: Wenn mentale Zustände fest an physikalischen Zuständen gebunden sind und wenn wir Freiheit postulieren, dann reicht es nicht aus, die Freiheit auf der mentalen Ebene zu postulieren (und etwa mit Gründen, Fähigkeiten usw. zu argumentieren), sondern man muss zeigen, wie Freiheit in der physikalischen Welt realisiert sein soll. GR und WS verschieben gewissermaßen die Beweislast auf die Libertarier und fragen: Wo ist die Freiheit in der physikalischen Welt? Zeigt sie uns, wir sehen sie nicht und finden auch keine Hinweise auf sie.

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Stelle:

„Die aussichtsreichste nichtdeterministische Theorie der Ereigniskausalität ist … eine singularistische Variante der kontrafaktischen Theorie.“

Anmerkung:

Ein wesentliches Element in GKs Argumentation ist die nichtdeterministische Kausalität, die oben schon mehrfach erwähnt, aber nie ausgeführt wurde. Leider kommt auch hier der Hinweis, dass diese an anderer Stelle ausgearbeitet sei und er es hier bei „argumentfreien Behauptungen“ belasse. Wesentliche Aspekte scheinen zu sein, dass sich diese Art von Kausalität auf Relationen zwischen Einzelereignissen bezieht (und damit nicht generalistisch ist), und dass sie die Relation mithilfe eines kontrafaktischen Konditionals analysiert: „Wenn A nicht eingetreten wäre, dann wäre auch B nicht eingetreten“. Der Vorteil besteht nach GK darin, dass dann ein Urteil „A verursacht B“ wahr sein kann, ohne dass damit eine naturgesetzliche Notwendigkeit einhergeht, mit anderen Worten, es sind auch Verläufe denkbar, in denen es bei Vorliegen von A nicht zu B kommt (Beispiel: Der Rasen ist durch den Regen nass geworden; er hätte aber auch trotz Regen trocken bleiben können, nämlich dann, wenn man ihn abgedeckt hätte).

Es ist naheliegend, wo GK hin will: Er will die Kausalität nicht aufgeben müssen, da er als Libertarier aber den Determinismus ablehnt, braucht er eine nicht-deterministische Kausalität. Mir ist bei seiner Argumentation etwas mulmig zumute, was wohl daran liegt, dass ich mir bis dato immer nur eine strikte Kausalität vorstellen konnte, die also mit einer Notwendigkeit einhergeht. Wenn man voraussetzt, dass eine konkrete physikalische Bewegungsgleichung mit naturgesetzlicher Notwendigkeit gilt, dann ist nicht erkennbar, wie aus einem konkreten Ausgangszustand A nicht mit Notwendigkeit der Folgezustand B hervorgehen soll. GK scheint argumentieren zu wollen, dass ja etwas dazwischenkommen könnte, die Beziehung gelte also nicht generell. Aber dieser Einwand geht fehl, weil die Bewegungsgleichung dies alles schon berücksichtigt, also das, was dazwischenkommt, ist in ihr enthalten, und zwar in Form von Kräften, die auf einen Körper X einwirken. Wenn man das ablehnt, lehnt man aus meiner Sicht ein fundamentales Grundprinzip der Physik ab. Diese Diskussion beginnt schon weiter oben mit dem Überlagerungsproblem, mit dem GK zeigen wollte, dass es so etwas wie eine generelle, allgemeingültige Kausalität nicht gäbe.

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Stelle:

«Das wohlverstandene libertarische Andersdenken ist also ein Weiterüberlegenkönnen.»

Anmerkung:

Es geht im Kontext darum, wie aus libertarischer Position ein anderer Entscheid B hätten getroffen werden können als der tatsächlich getroffene Entscheid A. Willensfreiheit impliziert ja, dass ich die Wahl gehabt habe; ist denn vorstellbar, was mich zu Entscheid B hätte bringen können in genau dieser Situation? Etwas hat ja den Ausschlag gegeben für den Willensentscheid. Das ist heikel, GK vertritt ja keine «akteurskausale» Position, in der eine Person sich einfach (ohne weitere Ursache) entweder für A oder B entscheiden kann. Wie ist eine Wahlfreiheit also in einer solchen Situation möglich? GK überrascht hier mit einem auf den ersten Blick schwachen Argument: ich hätte noch länger überlegen können, und es mir dann eben anders überlegen können. Das verschiebt aber bloss die Problematik:

Person X stellt Überlegungen an, was in einer bestimmten Situation zu tun ist. Nehmen wir mal, X erwägt eine Entscheid-Option A und eine Entscheid-Option B (es wird in der Praxis immer mehr / Subvarianten geben). X neigt zum Zeitpunkt 1 zur Entscheid-Option A, er beschliesst aber nochmals darüber zu schlafen, und entscheidet sich dann im Zeitpunkt 2 für Option B. Wenn wir aber den Zeitpunkt 1 genauer in den Blick nehmen, dann geht es dort genauso um einen Entscheid wie zum Zeitpunkt 2. Person X entscheidet sich zum Zeitpunkt 1 für Variante C, nämlich vorläufig nichts zu tun. Er wird dies nur aus Gründen tun können, und damit sind wir zurück auf Feld 1. GK bahnt sich hier nur den Weg in einen Regress.

Auf den Folgeseiten (p. 151/2) sieht GK zwar diesen Einwand, aber er macht die Sache nur noch schlimmer. Er argumentiert: „Freilich wäre weiterzuüberlegen eine andere Handlung gewesen als F. Ich habe mich oben mit dem Verlegenheitsausdruck einer ‚gegenteiligen‘ Handlung beholfen, um die Unvereinbarkeit von non-F mit dem aktuellen Urteil des Handelnden auszudrücken.“ (p. 151). Die Verlegenheit ist in der Tat sehr gross. Warum soll eine mögliche Alternative zu F nur in einer „gegenteiligen Handlung“ bestehen? – Offen gestanden sehe ich nur einen Grund: Um dieser merkwürdigen, fehlgeleiteten Argumentation einen Hauch von Legitimität zu verleihen.

Dennoch sehr begrüssenswert, dass GK endlich materiell auf Willensbildung / Entscheidungen eingeht.

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Stelle:

«Hätte der Akteur die gegenteilige Handlung begonnen, so hätte er wider bessere Einsicht gehandelt, mithin irrational.»

Anmerkung:

Die postulierte Willensfreiheit erfordert den Nachweis, dass eine Person sich irgendwann auch anders hätte entscheiden können. In einem Prozess der Entscheidungsfindung haben sich zu einem bestimmten Zeitpunkt klare Argumente für eine bestimmte Handlung A herausgeschält. GK geht es jetzt nur darum zu sagen, dass dies nicht der Zeitpunkt ist, an dem sich eine Person für eine andere Handlungsoption B entscheidet – es sei denn, er handle irrational – , er will dann auf dieser Basis weiter argumentieren.

Aber der zitierte Satz irritiert, und lässt für eine materielle Auseinandersetzung mit den Willensbildungs-Prozessen nichts Gutes ahnen. Warum diese Beschränkung auf einen „rationalen Akteur“? Wenn eine Person sich plötzlich gegen eine aufgebaute Argumentationskette für eine andere Option entscheidet, dann muss das doch ein ebenso freier Willensentscheid sein können, wie wenn sich die Person erst die Bausteine für die Gegenargumentation zusammensucht. Oder will GK ernsthaft behaupten, dass sich ein Bauchgefühl-Entscheid, der gegen alle rationalen Argumente (=“bessere Einsicht“) zustande kommt, im Hinblick auf die Willensfreiheit weniger qualifiziert ist als ein Entscheid, den ich mir mit Argumenten zurechtlege (für die im Hintergrund wohlgemerkt genauso irrationale Motive mitspielen können)?

 

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Stelle:

«Offenbar reichen [nichtstrikte, störbare Regularitäten] aus, denn es ist ja weniger eine philosophische These als ein schwer zu leugnender Befund, dass es keine empirisch wahren Sukzessionsgesetze über tatsächliche Ereignisverläufe gibt. So gesehen ist Kants Frage, wie in einer kausalgesetzlich geordneten Welt freie menschliche Handlungen möglich seien, falsch gestellt. Sie muss vom Kopf auf die Füsse gestellt werden und lautet dann: Wie sollte es in einer Welt, deren Verläufe durch Handlungen gestört werden können, strikte Verlaufsgesetze geben können?»

Anmerkung:

Hintergrund: Kants Annahme, dass nur mit strikten, ausnahmslosen Regularitäten / Verlaufsgesetzen die «Einheit der Erfahrung» gewährleistet ist. GK widerspricht dem hier.

GK sagt mit einigem Recht, dass es keine empirisch wahren Sukzessionsgesetze über tatsächliche Ereignisverläufe gibt, ausserhalb von Laborbedingungen. Zugespitzt läuft das Argument wieder auf den universalen Determinismus hinaus, der sich nur beweisen liesse, wenn wir die Welt nachbauen und kopieren könnten etc.  Empirisch = uns bekannt, nachweisbar. Wir können nicht einmal retrospektiv lückenlos aufzeigen, warum sich ein Ereignis genauso gestaltet hat, wie es eben abgelaufen ist. Ganz zu schweigen von zukünftigen Ereignissen. – Das heisst natürlich nicht, dass es solche lückenlosen Sukzessionsgesetze nicht gibt, aber GK klammert diesen Aspekt für den Moment aus. So weit, so gut. Es irritiert dann aber, dass GKs Formulierung im Fragesatz durch die Hintertür wieder einen Dualismus einzuführen scheint: so als ob es hier Verläufe und da Handlungen gebe, und letztere erstere stören können. Handlungen müssten doch integraler Bestandteil von Verläufen sein?

 

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Stelle:

„Der Grund dafür, dass der Zusammenhang zwischen freien Handlungen und Naturgesetzen so häufig falsch dargestellt wird, … ist die universalienrealistische Gesetzesauffassung im Verbund mit der Annahme, dass Naturgesetze regieren, vorschreiben und darüber gebieten, was geschieht.“

Anmerkung:

Nach und nach lässt GK die Katze aus dem Sack und tritt mit offenem Visier an.

Mit der universalienrealistischen Gesetzesauffassung ist gemeint, dass die Gesetze als schon immer in der Welt vorhanden angenommen werden, so dass deren Aufdeckung das Weltgeschehen erklären würde. GK stellt dem die nominalistische Gesetzesauffassung gegenüber, nach der die Gesetze in Humescher Manier auf Grundlage empirischer Erkenntnisse aufgestellt und immer wieder angepasst werden. Er schlägt sich klar auf die Seite der „Nominalisten“ und wirft den „Universalienrealisten“, unter anderem Kant, den „Hysteron-Proteron“-Fehler vor.

Es verblüfft, mit welcher Sicherheit GK diese Behauptung aufstellt und sich dabei zu suggestiven Formulierungen hinreißen lässt („Naturgesetze gebieten darüber, was geschieht“), zumal er vermutlich große Teile der Naturwissenschaft nicht auf seiner Seite haben wird. Nach meiner Auffassung arbeitet letztere weitestgehend unter der Annahme, dass Gesetze nach und nach „gefunden“ und nicht in einem kreativen Prozess ersonnen werden. GKs Position scheint starke empiristische Züge aufzuweisen.

Es ist fraglich, wie man dann erklären will, wenn aufgrund von theoretischen Überlegungen postulierte Gesetze zu Vorhersagen führen, die sich im nach hinein bestätigen, wenn also Gesetze empirische Erkenntnisse vorwegnehmen, z.B. das von Paul Dirac postulierte Positron, das später experimentell nachgewiesen wurde, oder die Periheldrehung des Merkur, die als Konsequenz der Relativitätstheorie vorhergesagt wurde und die man später empirisch nachweisen konnte.

Mir scheint, GKs Gesetzesbegriff greift hier zu kurz.

SEITE: 178/179 Moritz T. 2 Kommentare Kommentar hinzufügen
Stelle:

„Was während der Willensbildung im Maschinenraum der Psyche vor sich geht, mag für die Person oft nur begrenzt transparent sein. Rechtfertigungsbedürftig sind am Ende das Überlegungsergebnis, und die handlungswirksame Entscheidung, nicht die psychologischen Details des faktischen Willensbildungsprozesses.“

Anmerkung:

Die Äusserung erstaunt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, vgl auch p. 169: „Willensfreiheit verstehe ich als ein komplexes humanspezifisches Vermögen, nicht als Attribut einzelner Willensbildungsprozesse.“ GK hat ganz offensichtlich kein Interesse, sich materiell mit der Frage auseinanderzusetzen, wie und wann sich der freie Wille, so es ihn denn gibt, im Bewusstseinsprozess manifestiert. Vielleicht wäre es aber, in einem Buch, das den Titel „Willensfreiheit“ trägt, nicht ganz verkehrt, sich auf diese Ebene zu begeben, weil sich auch Prinzipielles über den Prozess der Willensbildung lernen lässt.

Auf Seite 150 des Buches wird dargestellt, wie eine Person sich zwischen zwei Optionen frei entscheidet. Wie tut sie das? Sie erwägt Option A und Option B, neigt zum Zeitpunkt 1 zur Option A, verschiebt aber den Entscheid auf später. Zum Zeitpunkt 2 entscheidet sie sich für Option B. Wenn ich GK richtig interpretiere, würde er jetzt sagen: Die Person hat sich zwischen Option A und B in einem freien Willensentscheid für Option B und gegen Option A entschieden. – Naiv wird hier unterstellt, dass der Zeitraum zwischen 1 und 2 einfach dafür genutzt wird, die Argumente zwischen A und B rational nochmals abzuwägen. Es gibt aber in der Welt der Psyche kein isoliertes Vernunftabwägen. Wie bei Kahnemann oder Sapolsky zu erfahren wäre, gibt es auch ganz andere Gründe, die zu einem Entscheid B führen können: Zum Beispiel kann ein Mittagessen den Ausschlag für B gegeben haben (Richter entscheiden statistisch gesehen vor dem Mittag anders als nach dem Mittag). GK kann immer noch sagen, dass in einem spezifischen Fall ein Argumentabwägen entscheidend zu Option B geführt hat. Nur wird er nicht behaupten können, dass nicht auch noch andere Faktoren, die der Person nicht zu Bewusstsein gekommen sind, eine Rolle gespielt haben. Damit aber sind die Rahmenbedingungen nicht mehr identisch, unter denen zum Zeitpunkt 1 fast der Entscheid A zustande gekommen wäre und unter denen zum Zeitpunkt 2 der Entscheid B zustande gekommen ist. Es bleibt somit zweifelhaft, ob die von GK intendierte Aussage noch stehen bleiben kann, dass es eine freie Willensentscheidung für B und gegen A gegeben hat. –  Sehr häufig erfindet man Begründungen für einen Entscheid nachher.

SEITE: 219 - 231 Moritz T. Keine Kommentare Kommentar hinzufügen
Stelle:

Kapitel 6.3. „Kommt der Wille zu spät?“

Anmerkung:

Eine, wie mir scheint, ausgewogene und detaillierte Abhandlung zu den Libet-Experimenten und ihrer Bedeutung für die Willensfreiheit. GK profitiert hier von der früheren Distanzierung zur Akteurskausalität: nur wer unterstellt, dass Willensfreiheit abhängt von einem initialen, bewussten Entscheid eines Akteurs in einer Ereigniskette, muss überrascht/enttäuscht sein von Libets Befund, dass das Bereitschaftspotential (BP) für eine Aktion im Gehirn nachweisbar ist, bevor die Aktionsoption dem Akteur zu Bewusstsein kommt.

GK verweist auch auf die Rahmenbedingungen der Libet-Experimente, in denen es gerade nicht um einen freien Willensentscheid ging.

Dennoch bleiben auch hier einige Fragen hängen.

Warum soll ein BP nicht bereits vorhanden sein, wenn sich das Bewusstsein mit einer möglichen Entscheidfindung befasst? Entscheidend aus GKs Sicht ist das „Prüf- und Suspensionsvermögen“, mit dem dann eine Handlung zustande kommt. Er schreibt dann aber auch: „Rechtfertigen lassen muss sich dabei nur das Überlegungsergebnis, nicht der zu ihm führende psychische Prozess.“ (p. 230/1). Damit wird wieder einer materiellen Auseinandersetzung ausgewichen: wie und wann manifestiert sich genau die Willensfreiheit?

Nicht diskutiert wird hier auch die Frage, inwieweit die Prüf- und Suspensionsphase nicht auch vorbewusst gesteuert wird, und ob der freie Wille nicht in jeder Phase des Bewusstseinsbildungs- / Entscheidungsprozesses „zu spät kommt“.

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Stelle:

„Beim Libet-Experiment liegt nicht die übliche Verwechslung von synchroner und diachroner Determination vor, die zur Identifikation des physiologischen Korrelats eines mentalen Ereignisses mit dessen Ursache führt.“

Anmerkung:

Dieser Punkt ist nun schon mehrfach angesprochen worden.

Aus meiner Sicht macht es sich GK einfach und bricht die Diskussion an einem Punkt ab, wo sie erst interessant wird. Auf der einen Seite bestreitet er nicht, dass jeder mentaler Vorgang sein physiologisches/neuronales Korrelat habe. Er fragt aber nicht, wie es zu dieser Korrelationsbeziehung kommt und er fragt auch nicht, wie die zeitliche Entwicklung sowohl der physiologischen als auch der mentalen Seite zu sehen ist. Wenn man annimmt, dass die Korrelation nicht bloß zufällig ist, muss ein Zusammenhang zwischen der physiologischen und der mentalen Seite bestehen. Wenn man weiter nach der zeitlichen Entwicklung fragt, dann wird auch GK einräumen, dass diese einer Kausalität (wenn auch einer nicht-deterministischen) folgt. Hier stellt sich nun die Frage: Was ist es, dass die zeitliche Entwicklung zwischen den Korrelaten synchron verlaufen lässt? Haben wir es mit zwei Kausalketten, einer physiologischen und einer mentalen, zu tun, die zufällig synchron verlaufen? Wann das nicht der Fall ist – sie laufen nicht zufällig synchron -, wie hängen die beiden zusammen? Gibt es eine führende, die die andere nach sich zieht? Oder handelt es sich um eine ominöse wechselseitige Beziehung, wo die eine Seite die andere bedingt, ohne dass man sagen könnte, welche Seite die führende ist?

Dieser Diskussion ist GK bisher ausgewichen. Dies ermöglicht ihm, sein Verwechslungs-Argument durchzuziehen.

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Stelle:

„Kausalketten beginnen so wenig kurz vor einer Handlung wie sie kurz danach enden, denn Kausalketten haben generell kein Anfang und kein Ende. Sie laufen durch uns und durch unsere Handlungen hindurch.“

Anmerkung:

Auch hier zeigt sich noch einmal deutlich die klare Abgrenzung vom Konzept des unbewegten Bewegers, der Kausalketten initiiert. Die metaphorische Formulierung („sie laufen durch uns hindurch“) zeigt eine gewisse Unschärfe an, die das Konzept der endlosen nicht-deterministischen Kausalketten mit sich bringt.

Auf der einen Seiten wollen wir Handlungen insoweit klar abgrenzen, dass sie eindeutig dem betreffenden Akteur zurechenbar sind, und zwar in einer Art und Weise, dass dieser die Handlung auf Grundlage von Gründen gewollt hat, auf der anderen Seite muss aber unter allen Umständen vermieden werden, dass der Akteur als der alleinige Anfangspunkt für die später erfolgende Handlung fungiert. Die Handlung ist Ergebnis einer Kausalkette, aber einer, die nicht erst beim Akteur beginnt. Die Rolle des Akteurs ist hier nicht einfach zu verstehen, es ist in der Tat ein Balanceakt: die Rolle des Akteurs darf nicht zu hervorgehoben sein (er initiiert nichts), sie darf aber auch nicht in der bloßen Ausführung von etwas bestehen, was ein (Zwischen-)Ergebnis einer endlos langen Kausalkette ist.

Das lässt das libertarische Konzept der fähigkeitsbasierten Willensbildung unter Verwendung ausschließlich ereigniskausaler Ketten wie eine komplexe, etwas wacklige Konstruktion erscheinen.

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Stelle:

Abschnitt über den Homunkulismus, in dem Wolf Singer zitiert wird mit seinem Satz, die Intuition lege uns nahe, dass es im Gehirn irgendwo eine Kommandozentrale geben müsse, die es aus neurowissenschaftlicher Sicht aber nicht gibt.

Anmerkung:

Hier ein weiteres Beispiel dafür, wie GK gewisse Aussagen von Neurowissenschaftlern notorisch missversteht und nicht einmal eine Idee davon bekommt, was gemeint sein könnte. In der Folge wirft GK diesen dann nicht ohne Sarkasmus vor, sie würden sich manchmal mit ihrem Gehirn verwechseln.

Was könnte Singer gemeint haben? Ich denke, es liegt nahe, dass er meint, dass der Mensch sich jeweils als eigene Person versteht, von der jegliche Handlungen ausgehen. Ich als Person bin es, der einen Willen bildet, Entscheidungen trefft und Handlungen vollzieht, und ich fühle mich dabei als homogene Einheit und nicht aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt. Wenn wir sagen, ich will dies und das, dann meinen wir mit ich nicht unseren kleinen Finger oder unseren Frontallappen, sondern ein homogenes Ganzes, das als solches etwas will, entscheidet und handelt und als solches dann als so etwas wie eine Kommandozentrale verstanden werden kann. Für dieses homogene Ganze scheint es aber kein physiologisches Gegenstück zu geben. Natürlich kann man sich fragen, wofür das nun ein Argument sein soll. Jedenfalls zeigt sich, dass sich die Eigenerfahrung des „Ich“ in der physiologischen Welt nicht eins zu eins widerspiegelt, hier laufen also die mentale Beschreibungsebene und die physiologische Beschreibungsebene auseinander. Für GK mag das völlig uninteressant sein, weil er sich mit der Aussage begnügt, dass jeder mentale Vorgang ein neuronales Substrat habe und an dieser Stelle nicht mehr weiterdenkt. Singer und andere mögen dahingegen sagen wollen, es gibt Abläufe in unserem Gehirn, die dazu führen, dass wir denken, es gebe so etwas wie eine zentrale Einheit, ein Ich, bei dem alles zusammenläuft, und da wäre man dann schon nicht mehr so weit weg von einer Illusion, die in uns durch neuronale Mechanismen vorgegaukelt wird.

Diese Sicht mag vielleicht auch nicht stimmig sein, aber es ist bedauerlich, wenn man sich auf diese so gar nicht einlässt. Im Übrigen ist es nicht ganz geschickt, wenn man im Verlaufe des Buches drei Mal vom Homunkulus spricht und dann beim vierten Mal erklärt, was man damit eigentlich meint.

SEITE: 256 - 260 bheym 2 Kommentare Kommentar hinzufügen
Stelle:

Abschnitt 7.5 „Wer muss die Erklärungslücke schließen?“

Anmerkung:

GK setzt sich noch einmal mit Einwänden gegen das libertarische Weiterüberlegen-Argument auseinander. Der Einwand geht in die Richtung, dass am Ende keine Kriterien benannt werden können, die das Weiterüberlegen in einer gegebenen Situation erklären.

Auffällig ist, dass GK sich hier ausschließlich mit Positionen aus der Vereinbarkeitsmatrix (siehe Einführungskapitel) auseinandersetzt, vor allem mit deterministischen Kompatibilisten und agnostischen oder Zweifach-Kompatibilisten, aber auch mit Inkompatibilisten. Tenor ist: Wenn man dem Libertarier eine Erklärungslücke vorwirft, dann haben die anderen sie auch. Dies zeigt das Dilemma, dass alle der aufgezeigten Positionen mit gewissen Schwächen zu kämpfen haben, so dass es am Ende nur darum geht, was plausibel erscheint, und nicht darum, was wahr ist.

Grundsätzlich gäbe es noch eine andere mögliche Sicht, die in der Vereinbarkeitsmatrix gar nicht vorkommt: Man kann konzedieren, dass Menschen sich als frei erfahren und sich selbst eine Willensfreiheit zuschreiben, aber gleichzeitig der Meinung sein, dass wir keine Aussage darüber machen können, ob wir wirklich frei sind oder nicht. Alle Positionen in GKs Vereinbarkeitsmatrix erheben dagegen den – für mich metaphysisch anmutenden – Anspruch, etwas darüber zu sagen, ob wir frei sind oder nicht. Dass wir uns lediglich als frei erfahren und wir darüber hinaus keine Aussage machen können, ist als mögliche Positionierung nicht vorgesehen.

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