
Willensfreiheit
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Besprechung
Moritz T.
bheym
Einleitung
- GK nimmt einige hilfreiche sprachliche Ausdifferenzierungen vor, z.B. „Freiheit von etwas“ (etwa Zwängen oder Hindernissen) oder „Freiheit zu etwas“ (etwa freier Rede). Er unterscheidet zwischen Willens- und Handlungsfreiheit, sieht den Willen als ein Vermögen/eine Fähigkeit und subsumiert darunter den Willensbildungsprozess, an dessen Ende eine Entscheidung steht. Die Handlung folgt erst auf die Entscheidung. Willens-, Entscheidungs- oder Wahlfreiheit würden in der Philosophie meist synonym verwendet.
- Gemäß GK besteht das traditionelle Problem der Willensfreiheit in der Frage: „Freiheit oder Determinismus“, während heute eher das Vereinbarkeitsproblem dominiert. Dies wird durch die „Vereinbarkeitstabelle“ illustriert, die in den Spalten zwischen „frei“ und „unfrei“ unterscheidet und in den Zeilen zwischen „determiniert“, „nicht determiniert“ oder „unbekannt“ bzw. „irrelevant“ (ob die Welt determiniert ist oder nicht). Je nach Kombination der jeweiligen Ausprägungen der Dimensionen „frei“ und „determiniert“ gelangt man zu Kompatibilisten, Imkompatibilisten, Libertariern und verschiedenen Spielarten (z.B. agnostischer Kompatibilismus). Die Tabelle ist grundsätzlich sehr hilfreich und schafft eine gewisse Ordnung, ist aber leider etwas kompliziert erklärt; GK hält sich vor allem auch etwas zu sehr damit auf, was die Tabelle nicht leistet (z.B.: verschiedene Verständnisse von Freiheit bei „Libertariern“ – „Freiheit = Anderskönnen“ – und Kompatibilisten – „Freiheit = kein äußrerer Zwang und Entscheidung in Übereinstimmung mit der betreffenden Person“ ).
„Bei der Willensfreiheit muss es um die Frage gehen, was mit diesen bestehenden Wünschen und Neigungen weiter geschieht, insbesondere darum, ob und in welcher Weise sie zu handlungswirksamen Entscheidungen werden.“
Das ist, so allgemein und früh gefasst, eine etwas überraschende Einschränkung. Soll denn gar nicht diskutiert werden, ob „bestehende Wünsche und Neigungen“ nicht auch durch Akte der Willensfreiheit verändert werden können?
„Entscheidungen stehen am Ende eines Willensbildungsprozess, nicht am Anfang.“
Was ist ein Entscheid, was ist ein Willensbildungsprozess? Anzunehmen, dass Definitionen und Differenzierungen folgen werden. Wenn ich mich „entscheide“, die Brille zu richten, geht dieser Handlung ein Willensbildungsprozess voraus?
„Die entscheidende Frage scheint zu sein, ob jeweils die Fähigkeit zur Willensbildung eingeschränkt ist oder nicht.“
Interessanter Ansatz, der dann aber zunächst kaum ausgeführt wird. Wieder zitiert GK das Beispiel des Drogensüchtigen, bei dem allenfalls die Rede davon sein kann, dass die Fähigkeit zur Willensbildung eingeschränkt ist. Es wäre spannend, darüber weiter nachzudenken, auch über Handlungen, die scheinbar nur kurz die Schwelle des Bewusstseins erreichen. – In der Folge konzentriert sich GK aber auf (die einleuchtende) Unterscheidung Willensfreiheit / Handlungsfreiheit.
„Die Hindernisse zerfallen in zwei Klassen. Innere Zwänge, schwere psychische Krankheiten, Süchte und verborgene Manipulationen sind geeignet, die freiheitsrelevanten Vermögen einzuschränken oder aufzuheben. Die zweite Gefährdung ist der Determinismus.“
GK thematisiert in der Folge über endlose Seiten hinweg die zweite Gefährdung, aber diese interessiert mich nicht.
„Bei der libertarischen Freiheit … handelt es sich um eine gewöhnliche Auffassung des gesunden Menschenverstandes, die wir alle teilen. … Niemand würde den laplaceschen Determinismus für wahr halten.“
Interessante Einschätzung, die ich so nicht teile. Ich würde denken, intuitiv gehen die meisten Menschen von einem Dualismus aus: Die Welt da draussen ist kausal und deterministisch, ich (und mit mir alle Menschen) bin aber frei.
Laplacescher Dämon: universeller Determinismus: Zukunft liegt nicht nur fest, sondern sogar notwendig fest, sie kann gar nicht anders sein
Für mich ist es etwas befremdlich, wie viele Worte GK darüber verliert, wie praktikabel so ein Laplacescher Dämon sein kann: Er spricht von der Menge an Information, vom Energiebedarf, versucht, physikalisch zu argumentieren, und kommt auch auf das Selbstbezüglichkeitsproblem, d.h. der Dämon müsste sich selbst ebenfalls vollständig erfassen – „eine Kopie von ihm müsste Teil von ihm sein“. Ich habe immer geglaubt, dass dies von Laplace nie so gemeint war. Es geht nicht darum, dass es den Dämon wirklich gibt bzw. dass er praktikabel ist – das ist er selbstverständlich nicht -, sondern er ist nicht viel mehr als eine Illustration: Wenn wir den universellen Determinismus hätten, dann wäre es so, dass alles vorab notwendig festgelegt ist, und wenn es so etwas wie einen Dämon gäbe, dann würde er den gesamten Weltlauf für alle Zukunft kennen. Hier habe ich den Eindruck, dass GK dieses Gedankenexperiment viel zu wörtlich nimmt. Das dies dann in die Irre führt, ist wenig verwunderlich.
„Wie soll Gott die Zukunft kennen können, wenn der Mensch in seinen Entscheidungen frei ist“. … „.. ein Wissen um die Zukunft determiniert diese nicht.“
GK betont, dass Vorauswissen und Determinismus zwei verschiedene Paar Schuhe sind, womit ich grundsätzlich konform gehe. Wenn jemand ein Ereignis richtig vorhersagt, determiniert dies nicht das betreffende Ereignis. In diesem Zusammenhang spricht GK auch davon, dass Vorauswissen nicht „freiheitsgefährdend“ sei. Mir kommt diese Argumentation etwas kurzsichtig vor, weil sie das Entscheidende ausblendet: Wenn Gott sicher weiß, wie sich die Zukunft entwickelt, dann weiß man zwar nicht, was der Grund dafür ist, dass sich die Zukunft so entwickeln wird, und man weiß auch nicht, warum Gott es weiß, aber es ist doch klar, dass es etwas geben muss, was die Zukunft für Gott vorhersagbar macht, und ist es nicht mindestens naheliegend, dass dann hier irgendeine Art von Mechanismus vorliegen muss? Wenn Letzteres der Fall ist, dass ist man praktisch wieder beim Determinismus. Bis zum jetzigen Stand scheint mir, dass GK sich hier ein wenig herauswindet und bewusst einen kategorialen Unterschied zwischen sicherem Vorauswissen und Determinismus herausschält, ohne dass dieser in letzter Konsequenz plausibel wäre. Streng genommen hätten wir es dann hier mit einer Schein-Differenzierung zu tun, die bei näherer Betrachtung keinen Bestand hat.
Recht ausführliche Einlassungen zum Fatalismus der Stoiker.
Ähnlich wie beim laplaceschen Dämon verwundert es mich, warum GK so viele Worte darauf verwendet, die Widersprüche des Fatalismus aufzuzeigen, weil sie mir offensichtlich zu sein scheinen.
«Der laplacschen Determination wären Beklagte wie Strafrichter gleichermassen unterworfen.»
GK zitiert das hübsche Beispiel von Zenon: Ein Dieb behauptet, dass sein Diebstahl determiniert war, und er daher nicht belangt werden sollte. Zenon meint darauf, dass auch die Strafe (Auspeitschen) determiniert ist. GK weiter: Selbst wenn die Strafe ungerecht ist: «Wir wären dann eben zu einer ungerechten Praxis determiniert.» Aber das Argument ist etwas billig, weil es impliziert, dass im Determinismus sich nichts jemals ändern kann. Vielleicht ist es ja vorherbestimmt, dass Zenon jetzt erkennt, dass die Strafe ungerecht ist und sie darum aussetzt?
Unterscheidung von drei Modalitäten, die dem Determinismus seine modale Kraft verleihen: Gott, Schicksal und Naturgesetze. GK konzentriert sich auf Naturgesetze.
Naturgesetze sind nicht präskriptiv, sondern deskriptiv. Zitat des Mill-Ramsey-Lewis-Ansatzes: „Naturgesetze sind die Generalisierungen oder Theoreme der besten deduktiven Systeme, die die Phänomene korrekt beschreiben.“
„Naturgesetze stützen kontrafaktische Konditionale:“
Will sagen: Naturgesetze sind nicht nur „Immer wenn, dann“ Generalisierungen über das faktische Geschehen, sondern sie behaupten etwas über mögliche und kontrafaktische Fälle. Kontrafaktisch bezieht sich wohl auf etwas, was einem bisher noch nicht untergekommen ist, so dass es noch nicht zu den beobachteten Fakten gehört, aber etwas, was sein könnte.
Das Gravitationsgesetz und andere fundamentale physikalischen Gesetze haben gemäß GK nicht die All-Satz-Struktur „Immer wenn etwas der Art A vorliegt, geschieht etwas der Art B“, weil es nichts darüber sage, was geschehe, sondern nur behaupte, welche Kräfte zwischen zwei Körpern herrschen.
Hier greift GK aus meiner Sicht zu kurz, weil er isoliert das Gravitationsgesetz betrachtet, dass sinngemäß sagt „F = gamma * m1*m2/r^2“. Zu den Newtonschen Axiomen gehört aber auch das berühmte „F = m * a“ (2. Axiom), mit anderen Worten, der Körper erhält eine seiner Masse und auf ihn wirkenden Kraft entsprechende Beschleunigung. In Summe wird also sehr wohl gesagt, was geschieht, man muss nur alle dafür erforderlichen Komponenten betrachten und darf nicht einfach eine ausblenden.
Abschnitt 2.4: „Ist der Determinusmus wahr“?
Nach dem GK vorher etwas vage von „Freiheitsgefährdung“ gesprochen hat, macht diese große philosophische Frage stutzig, weil sie ja ein ganz wesentlicher Aspekt des gesamten Buches sein sollte. Fast genauso könnte er fragen: „Gibt es die Willensfreiheit?“. Erwartet GK auf diese Frage ernsthaft eine andere Antwort als die, dass wir das nicht entscheiden können?
Kapitel 2.4. Ist der Determinismus wahr?
GK geht hier eine Kernfrage frontal an. Grob vereinfacht verläuft die Argumentation wie folgt: «Der Laplace-Determinismus kann nur wahr sein, wenn es ausnahmslose Verlaufsgesetze gibt, die den Weltlauf zutreffend beschreiben.» Das liesse sich aber nur zeigen, wenn wir eine exakte Kopie der Welt erstellen könnten, und wenn dann Welt A und Welt B sich identisch weiter entwickeln würden. Das lässt sich aber nicht zeigen / beweisen. «Zwischen dem deterministischen Charakter einzelner physikalischer Gesetze und Theorien und der Behauptung, dass der Weltlauf deterministisch ist, besteht aber eine grosse Lücke.» (p. 39) Diese Lücke lässt sich nach GK nicht schliessen, sie lässt sich quasi nur überspringen. Das aber tun nur Metaphysiker. Folglich sind Deterministen Metaphysiker. Und diese Entlarvung scheint das Ziel der ganzen Übung hier zu sein. Und im auf Seite 44 angedeuteten Umkehrschluss soll dann wohl gelten: Libertarier sind Empiriker, und eben gerade nicht Metaphysiker. – Schon der Kapiteltitel ist wohl polemisch zu verstehen.
„Die fundamentalen Naturgesetze sind keine Sukzessionsgesetze über Ereignisse, sondern Koexistenzsätze über Universalien, Erhaltungssätze, Aussagen über Kräftegleichgewichte und Symmetriegesetze. Solche Gesetze sind nicht kausal interpretierbar. Deshalb fixieren sie auch nicht alternativlos den Weltlauf … und sind nicht freiheitsgefährdend.“ Als Beispiel führt GK das Pendelgesetz an, dass einen Zusammenhang zwischen Pendellänge und Schwingperiode postuliert. Hier werden physikalische Größen ins Verhältnis gesetzt, das Ereignis einer veränderten Pendelschwingung lasse sich aber nicht durch das Ereignis einer veränderten Pendellänge herbeiführen, sondern nur dadurch, dass man das Pendel in Bewegung setze.
Dieser Argumentation kann ich nicht folgen. Mir scheint, GK meint, die Naturgesetze beschreiben nur Beziehungen zwischen Größen, da in ihnen aber keine Bewegung vorkommt, sagen sie nichts über den Weltlauf aus. Aber wo bleibt denn hier das F = m * a? Wird das einfach ausgeblendet? Wenn Naturgesetze z.B. nur etwas über wirkende Kräfte sagen, dann muss doch aber sogleich die Frage folgen, was diese Kräfte machen? Gehört das nicht mehr zu den Naturgesetzen? Hilfreich wäre eine Einordnung, was als Naturgesetz qualifiziert.
Sinngemäß heißt es, Naturgesetze erklären nicht die Notwendigkeit, warum die postulierte Beziehung zwischen zwei Eigenschaften (z.B. Pendellänge und Schwingungsfrequenz) besteht.
Zunächst haben wir hier vermutlich das Problem, dass wir klären müssen, was genau ein Naturgesetz darstellt. Ist das Pendelgesetz ein Naturgesetz? Ich würde sagen nein, da es seinerseits vom Gravitationsgesetz abgeleitet ist, es kann als notwendige Folge des Gravitationsgesetzes und von Bewegungsgesetzen (z.B. der Wirkung der Zentrifugalkraft) abgeleitet werden. GK scheint der Meinung zu sein, dass es Fälle gibt, in denen das Pendelgesetz nicht gilt bzw. nicht dienlich ist, um ein konkretes Ereignis vorherzusagen, z.B. dann, wenn das Pendel in irgendeiner Weise gestört wird. Aber das ist trivial, weil das Pendelgesetz nicht dazu „gemacht“ ist, weitere Einflussbedingungen zu berücksichtigen. Diesen kann man aber natürlich durch andere physikalische Gesetzmäßigkeiten Rechnung tragen, die dann in die Bewegungsgleichung einfließen, so dass dann, wenn die genauen Anfangsbedingungen bekannt, jeder zukünftige Zustand des Pendels festgelegt ist
Es ist schwer vorstellbar, dass GK diesem Missverständnis unterliegt. Vor diesem Hintergrund muss es etwas in seiner Argumentation geben, dass ich grundlegend nicht verstanden habe.
«’Alle Kausalgesetze sind Ausnahmen unterworfen, wenn die Ursache nicht den Zustand des ganzen Weltalls umfasst.’»
GK zitiert hier Russell, Satz scheint einleuchtend, spannende Frage, wie sich einzelne «Verlaufgesetze» in der wirklichen Welt bewähren. Wenn sich Kausalgesetze überlagern, sind Ausnahmen vom erwarteten Ausgang (aus Sicht eines spezifischen Kausalgesetzes) möglich. GK meint, dass wir mit dieser Annahme aber einen sehr hohen Preis bezahlen: «Alle gewöhnlichen Kausalgesetze wären dann falsch: Kein Bruch eines Fensters wurde jemals durch einen Steinwurf verursacht (…)». Ist das nicht etwas holzschnittartig argumentiert? Unter Laborbedingungen trifft ein Kausalgesetz verlässlich zu, aber in der realen Welt nicht immer. Muss darum das Kausalurteil falsch sein?
Sinngemäß: Der Determinismus physikalischer Gesetze kann nichts über den Determinismus des Weltlaufs sagen, weil wir schlicht und einfach nicht die Möglichkeit haben, es zu verifizieren oder falsifizieren (wir haben nur eine Welt und können nicht ein zweites Mal exakt denselben Weltzustand herbeiführen).
Wenn es nur darum geht, dass wir den Determinismus nicht physikalisch beweisen können (was trivial ist), braucht man dann den Umweg über das Pendelgesetz und die Aussage, dass es sich bei diesem nicht um ein Sukzessionsgesetz handeln würde? Mir scheint, GKs Argumentation ist sehr umständlich, in gewisser Weise sogar irreführend. Es bleibt dabei: Etwas Grundlegendes ist mir bis hierher entgangen.
Das Überlagerungsproblem sei für den Determinismus eine unüberwindliche Schwierigkeit, also die Tatsache, dass „Störungen“ und „Anomalien“ wieder mit weiteren Gesetzen erklärt werden müssten, für die man aber genauso den letzten Determinismusbeweis schuldig bleiben müsste.
Mich verblüfft, dass GK sich überhaupt auf so eine Diskussion einlässt. Wer in aller Welt behauptet, man könne den Determinismus empirisch beweisen? Damit muss man sich doch nicht aufhalten, genau so wenig wie damit, dass der Laplacesche Dämon praktisch nicht vorstellbar ist.
„Viele Autoren verwenden „Kausalprinzip“ und „Determinismusprinzip“ gleichbedeutend. … Die Gleichsetzung von Kausalprinzip und Determinismus ergibt sich immer dann, wenn eine nomologische Auffassung der Kausalität vertreten wird, genauer: wenn zusätzlich zum Kausalprinzip die kausalitätstheoretische These vertreten wird, dass eine kausale Beziehung zwischen zwei Ereignissen genau dann besteht, wenn es ein ausnahmsloses Kausalgesetzt gibt, das den fraglichen Fall subsumiert. …. In der neuen Wissenschaftsphilosophie sind indes verschiedene Theorien der Kausalität entwickelt worden, die ohne ausnahmslose Kausalgesetzt auskommen.“
Leider erfährt man nichts weiter dazu. Was ist das Problem, wenn man Determinismus und Kausalität gleichsetzt? Ist es sinnvoll, von einem nicht-kausalen Determinismus zu sprechen? Oder umgekehrt von einer nicht-deterministischen Kausalität? Dies wird mir an dieser Stelle noch nicht klar.
„Leider werden die Spannungen zwischen der Metaphysik der gewöhnlichen Ereigniskausalität und dem laplaceschen Determinismus in der Literatur … ignoriert. Die verbreitete Rede vom kausalen Determinismus ist Indiz dieser mangelnden Problematisierung. … Dieser Umstand könnte anzeigen, dass das natürliche Habitat kausaler Beziehungen ein nichtdeterministisches Universum ist.“
Mir fehlen hier die Begründungen. Insbesondere der letzte Satz ist mir schleierhaft, zumal er als Vermutung formuliert ist, für die ich keine Plausibilität sehe.
Sinngemäß: Eine deterministische Kausalität zu fordern, ist für die wissenschaftliche Forschung nicht nötig. … Es reicht die viel schwächere Annahme, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht.
Was heißt denn, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht? Mein naives Verständnis legt mir nahe, dass es in der Welt kausal zugehen sollte, wenn es mit rechten Dingen zugeht. Vermutlich geht es GK darum, dass es zwar kausal, aber nicht deterministisch kausal zugehen muss, z.B. reicht auch probabilistisch wie beim radioaktiven Zerfall. Halte ich für ein problematisches Argument, weil die Probabilistik in diesem Beispiel nicht notwendig indeterministisch ist.
Kapitel 3, „Kompatibilismus“
Mit ziemlich grossem Aufwand schreitet hier GK durch die Philosophie-Geschichte und zerzaust kompatibilistische Positionen mit dem Totschlag-Argument des universalen Determinismus (uD): Determinismus und Willensfreiheit können nicht kompatibel sein, denn der komplette Weltenlauf ist im uD vorherbestimmt. Wenn Person A innehält und einen fast gefällten Entscheid X überdenkt und sich dann für Y entscheidet: auch dieser Willensbildungsprozess ist vorherbestimmt, es mag nach Freiheit aussehen, ist es aber nicht. – Erst gegen Schluss des Kapitels diskutiert GK die Position, dass auch im uD eine Person sich frei fühlen kann im Willensbildungsprozess, weil sie beispielsweise nichts vom uD weiss. Aber GK vertieft hier diesen Punkt nicht weiter, obwohl er interessant ist. Selbst wenn die Person weiss, dass ihr nächster Entscheid prä-determiniert ist, entbindet sie dieses Wissen nicht von einer subjektiv empfundenen Freiheit im Willensbildungsprozess. Die Person weiss zwar, dass der Entscheid prä-determiniert ist, aber nicht, ob der Entscheid X oder Y sein wird. GK schliesst diesen Aspekt der Diskussion mit der lapidaren Feststellung: «Demgegenüber halten Libertarier Willensfreiheit für eine robuste Tatsache, die nicht auf einer Perspektivendifferenz beruht.» (p. 92)
Die Figur «Kompatibilismus» wird also in diesem Kapitel ziemlich kompromisslos abgeräumt vom Spielbrett. Aus GKs Ausführungen wird für mich zu wenig klar, was denn den K. überhaupt so attraktiv macht, dass er zahlreiche und prominente Anhänger für sich reklamieren kann.
„(…) sondern ob das Überlegen in Wirklichkeit ein naturgesetzlicher Mechanismus mit determiniertem Ausgang ist. Wenn dies der Fall ist, wäre aus inkompatibilistischer Sicht das Vermögen des Innehaltens und Prüfens eine blosse Illusion, denn alternative Überlegungsvorgänge wären tatsächlich durch Naturgesetze und Anfangsbedingungen verschlossen.“
Im Kontext der Diskussion der Lockeschen „Suspension“, des Innehaltens und Prüfens. Libet versucht mit diesem Argument den freien Willen zu retten, erstaunlicherweise ohne den Gedankengang GKs hier zu erwägen: nämlich dass auch das Prüfen und Anders-Entscheiden determiniert sein kann. –
Aber selbst wenn das so wäre, dass auch das Zweifeln und Abwägen prä-determiniert sind: Ist dieses Vermögen des Innehaltens tatsächlich eine „blosse Illusion“?
Von innen betrachtet: ich ringe mit einer Entscheidung, ich entscheide mich nach bestem Wissen und Gewissen (oder auch nicht). Ich kann nicht wissen, was determiniert ist, es kümmert mich auch nicht.
Von aussen betrachtet: Die Person muss quasi herausfinden, was determiniert ist, sie entscheidet sich nach Gesetzmässigkeiten, die sie nicht durchschauen kann.
„Dass jemand keine Gründe sieht, sich unfrei zu fühlen, ist das eine, dass es keine Gründe gibt, ein anderes“. (Im Kontext geht es darum, dass sich manipulierte Menschen, z.B. in Sekten, durchaus frei fühlen können)
Das ist eine spannende Formulierung, weil sie entweder unvollständig ist oder widersprüchlich anmutet: Der zweite Teil müsste vollständig lauten: „…, dass es keine Gründe gibt, sich unfrei zu fühlen“. Wenn es so ausformuliert wird, entsteht eine Spannung zwischen den Beschreibungsebenen: (a) objektiv: es gibt keine Gründe, (b) subjektiv: sich unfrei zu fühlen. Hier wird vorausgesetzt, dass es objektiv etwas geben muss, um sich irgendwie zu fühlen. Interessant ist es vor allem deswegen, weil es sich hier gemäß GK um ein Argument seitens der Libertarier handelt, die ja gerade eine strikte kausale Verknüpfung im Sinne eines Determinismus ablehnen. Hier kommt die für mich zentrale Subjekt-Objekt-Differenz zum Tragen, die mir in der gesamten Diskussion bisher zu kurz kommt.
Max Planck: „Von außen, objektiv betrachtet, ist der Wille kausal determiniert; von innen, subjektiv betrachtet, ist er frei.“
Hier wird die Subjekt-Objekt-Differenz endlich explizit angesprochen. Ob der Wille objektiv betrachtet determiniert ist oder nicht, sei dahingestellt, aber subjektiv betrachtet erfahren sich die meisten von uns jedenfalls als frei. Interessanterweise kann man vom subjektiven Erfahren ja nicht behaupten, es sei falsch. Man kann bestenfalls annehmen, die betreffende Person sagt nicht die Wahrheit oder man kann meinen, diese Erfahrung sei nicht angemessen (und zwar in Bezug auf die hinter der Freiheitserfahrung vermutete Aussage: ich bin frei).
Im Zusammenhang mit dem Konsequenzargument der Inkompatibilisten weist GK wiederholt darauf hin, dass der laplacesche Determinismus zeitsymmetrisch ist, die Kausalität aber nicht: Die Ursache liegt zeitlich vor der Wirkung und aus der Wirkung lässt sich nicht notwendiger Weise auf die Ursache zurückschließen (die Kausalität gilt nicht notwendigerweise rückwärtsgerichtet).
Wie zwingend ist es, eine deterministische Welt als zeitsymmetrisch anzunehmen? Ist es nicht denkbar, dass die Natur so beschaffen ist, dass Ereignisketten aufeinander zulaufen, so dass man sie nicht mehr voneinander unterscheiden kann und daher auch eine Rückverfolgung in die Vergangenheit nicht mehr möglich ist? Ich bin mir selber nicht sicher, ob das sein kann, mir kommt es aber so vor, dass alles andere sehr linear gedacht wäre (dann wäre das „Aufeinanderzulaufen“ in der Tat nicht möglich), aber die Welt muss ja nicht linear sein.
„Die Bedingung des Bestehens alternativer Möglichkeiten bildet das tertium comparationis zwischen subjektiver und objektiver Betrachtung. Wenn es wahr sein soll, dass wir so oder anders wollen, entscheiden oder handeln können, dann muss etwas so oder anders geschehen können, da hilft keine Perspektivenunterscheidung.“
Das gilt aber nur, wenn man einfordert, dass objektiv etwas so oder anders geschehen können muss. Subjektiv kommt es mir ja gerade so vor, dass ich so oder anders entscheiden kann, und es kommt mir darüber hinaus so vor, dass daraufhin auch etwas so oder anders geschieht. Ich erfahre also subjektiv Entscheidungsfreiheit und erfahre subjektiv, dass sich diese auch manifestiert. Es kann sein, dass es objektiv nicht so ist, aber das erfahre ich in meiner Ersten-Person-Perspektive nicht. Es mag also sein, dass meine subjektive Sicht aus einer objektiven Perspektive unangemessen ist, weil sie einer Illusion unterliegt, aber das Subjekt ist sich dieser Illusion nicht bewusst. Vor diesem Hintergrund greift mir GKs Argument hier zu kurz, jedenfalls denkt er an dieser Stelle die Subjekt-Objekt-Differenz noch nicht konsequent durch. Das kommt aber vielleicht später noch, wenn es um den Illusions-Aspekt gehen soll, der ja vor allem von neurowissenschaftlicher Seite kommt.
„Anderskönnen unter gegebenen Umständen wird von Kompatibilisten als steile These angesehen. … Die Alternative dazu ist die Annahme, dass wir in jedem Augenblick immer nur etwas seit dem Urknall Determiniertes tun können. Das ist in der Tat eine steile These.“
Das mutet nach einer bemerkenswert suggestiven Argumentation an, weil die Kritik an der These des Anderskönnen mit der noch ausgeprägteren Steilheit der These des Nichtanderskönnens gekontert wird.
Im Nachgang spekuliert GK darüber, warum so viele Philosophen das Anderskönnen als eine kühne These ansehen und vermutet, dass es damit zusammenhängt, dass man oft die Vergangenheitsform bemüht („hätte er anders können“). Da man die Vergangenheit nie ändern kann, wäre man geneigt zu urteilen, dass er nicht hätte anders können und schließt daraus, dass Anderskönnen generell ausgeschlossen ist. Formuliert man den Satz im Präsens („kann er etwas anderes tun“), dann würde man nicht in diese Falle laufen.
Weiterhin kritisiert GK die Redeweise von „identischen Bedingungen“, unter denen ein Anderskönnen möglich sein solle, weil es identische Bedingungen im Weltlauf nie gibt, es gibt nur gegebene Bedingungen.
Mir kommt diese Argumentation wenig zwingend vor. Es mutet doch wenig wahrscheinlich an, dass sich Philosophen von der Vergangenheitsform auf die falsche Fährte locken lassen. Genauso ist die Rede von „identischen Bedingungen“ doch nur als Gedankenexperiment hinsichtlich einer prinzipiellen Fragestellung zu verstehen und nicht hinsichtlich der praktischen Relevanz. Der Punkt ist nicht, ob es jemals wieder identische Bedingungen gibt, der Punkt ist, ob eine Akteurin unter identischen Bedingungen anders handeln könnte als sie es tut. Diese Frage zu delegitimieren, indem man das Auftauchen von identischen Bedingungen negiert, halte ich ihrerseits für eine nicht legitime Argumentation.
„Warum sollte der Umstand, dass mentale Prozesse physisch realisiert sind, dass also in meinem Gehirn etwas vorgeht, während ich etwas denke oder will, freiheitsgefährdend sein? … Die Unvereinbarkeit, auf die der Libertarier verpflichtet ist, ist die zwischen Freiheit und Determinismus, keine zwischen Freiheit und Naturzugehörigkeit des Menschen.“
GK wehrt sich gegen den Vorwurf, dass Libertarier dem Dualismus zuneigen, wie er z.B. von Neurowissenschaftlern wie Gerhard Roth oder Wolf Singer erhoben wird. GK fragt: „Was ist hier schiefgelaufen?“ und konstatiert, dass die beiden einer begrifflichen Verwechslung anheimgefallen sind. Sie würden nämlich übersehen, dass sie den Begriff „festlegen“ in zwei verschiedenen Bedeutungen gebrauchen: a) mentale Zustände sind durch physikalische Zustände festgelegt, b) ein Folgezustand ist durch einen vorhergehenden Zustand festgelegt. In a) ist festlegen synchron zu verstehen, in b) diachron.
Ich glaube nicht, dass GK hier den entscheidenden Punkt trifft: Aus meiner Sicht wollen GR und WS Folgendes sagen: Wenn mentale Zustände fest an physikalischen Zuständen gebunden sind und wenn wir Freiheit postulieren, dann reicht es nicht aus, die Freiheit auf der mentalen Ebene zu postulieren (und etwa mit Gründen, Fähigkeiten usw. zu argumentieren), sondern man muss zeigen, wie Freiheit in der physikalischen Welt realisiert sein soll. GR und WS verschieben gewissermaßen die Beweislast auf die Libertarier und fragen: Wo ist die Freiheit in der physikalischen Welt? Zeigt sie uns, wir sehen sie nicht und finden auch keine Hinweise auf sie.
„(…) weil einzelne Ereignispaare gar keine Kandidaten sind, in der Beziehung zueinander zu stehen, die allein die theoriegeladene Bezeichnung ‚deterministisch‘ verdient. (…) Wenn der Weltenlauf nicht deterministisch ist, ist in gewissem Sinne auch kein einzelnes Ereignis determiniert, nur dass die letztere Formulierung missverständlich ist.“
Entweder alles ist determiniert, strikt vorherbestimmt, oder nichts. Wenn nicht alles determiniert ist, kann es keine Determinierung in Teil-Bereichen geben, weil Teil-Bereiche sich nie vollständig vom Weltganzen isolieren lassen. Verlaufsgesetze wirken stets gleich, aber nur solange, bis es zu einer Ausnahme kommt.
Es sei denn, es gibt die universale Determiniertheit uD (wobei es eine andere Frage ist, ob nicht auch unter uD Verlaufsgesetze sich ändern können, einfach auf vorherbestimmte Weise…).
Das schon länger vertraute Argument, das dann so weiter geht: eine uD können wir nur nachweisen, wenn wir das Weltganze replizieren könnten. – Also bleiben wir bei Behauptungen stehen, respektive GK kann den Determinismus in die Schranken weisen. Ich bin jetzt aber eher mal neugierig auf positive Argumente für die Libertarier-Position.
„Die aussichtsreichste nichtdeterministische Theorie der Ereigniskausalität ist … eine singularistische Variante der kontrafaktischen Theorie.“
Ein wesentliches Element in GKs Argumentation ist die nichtdeterministische Kausalität, die oben schon mehrfach erwähnt, aber nie ausgeführt wurde. Leider kommt auch hier der Hinweis, dass diese an anderer Stelle ausgearbeitet sei und er es hier bei „argumentfreien Behauptungen“ belasse. Wesentliche Aspekte scheinen zu sein, dass sich diese Art von Kausalität auf Relationen zwischen Einzelereignissen bezieht (und damit nicht generalistisch ist), und dass sie die Relation mithilfe eines kontrafaktischen Konditionals analysiert: „Wenn A nicht eingetreten wäre, dann wäre auch B nicht eingetreten“. Der Vorteil besteht nach GK darin, dass dann ein Urteil „A verursacht B“ wahr sein kann, ohne dass damit eine naturgesetzliche Notwendigkeit einhergeht, mit anderen Worten, es sind auch Verläufe denkbar, in denen es bei Vorliegen von A nicht zu B kommt (Beispiel: Der Rasen ist durch den Regen nass geworden; er hätte aber auch trotz Regen trocken bleiben können, nämlich dann, wenn man ihn abgedeckt hätte).
Es ist naheliegend, wo GK hin will: Er will die Kausalität nicht aufgeben müssen, da er als Libertarier aber den Determinismus ablehnt, braucht er eine nicht-deterministische Kausalität. Mir ist bei seiner Argumentation etwas mulmig zumute, was wohl daran liegt, dass ich mir bis dato immer nur eine strikte Kausalität vorstellen konnte, die also mit einer Notwendigkeit einhergeht. Wenn man voraussetzt, dass eine konkrete physikalische Bewegungsgleichung mit naturgesetzlicher Notwendigkeit gilt, dann ist nicht erkennbar, wie aus einem konkreten Ausgangszustand A nicht mit Notwendigkeit der Folgezustand B hervorgehen soll. GK scheint argumentieren zu wollen, dass ja etwas dazwischenkommen könnte, die Beziehung gelte also nicht generell. Aber dieser Einwand geht fehl, weil die Bewegungsgleichung dies alles schon berücksichtigt, also das, was dazwischenkommt, ist in ihr enthalten, und zwar in Form von Kräften, die auf einen Körper X einwirken. Wenn man das ablehnt, lehnt man aus meiner Sicht ein fundamentales Grundprinzip der Physik ab. Diese Diskussion beginnt schon weiter oben mit dem Überlagerungsproblem, mit dem GK zeigen wollte, dass es so etwas wie eine generelle, allgemeingültige Kausalität nicht gäbe.
„Die Alternative ‚determiniert‘ und ‚zufällig‘ zeichnet ein grundfalsches Bild des Handelns.“
Das ist soweit verständlich, weil Handeln in aller Regel ein Handeln aus Gründen meint, und Gründe ergeben weder in einer deterministischen noch in einer zufälligen Welt Sinn. Man muss also etwas Drittes fordern, das in gewisser Weise zwischen Determinismus und Zufall einzuordnen ist und das zwar mehrere mögliche Verläufe zulässt, diese aber nicht als völlig unbestimmt und grundlos nebeneinander stellt. Dies ist in der Terminologie der mentalen Welt einleuchtend, allerdings bleibt unklar, wie eine Entsprechung in der physikalischen Welt aussehen soll. Hier scheint sich nichts anzubieten, die Welt ist entweder deterministisch oder indeterministisch, und das heißt in der physikalischen Welt zufällig – oder was sonst?
Bisher geht GK leider nicht darauf ein, er beschränkt sich in seiner Argumentation auf die mentale Welt, außer dass er von dem „neuronalen Substrat“ mentaler Ereginisse spricht.
„Die kausalen und rationalen Verbindungen zwischen uns und unseren Handlungen sind so locker oder fest, wie sie nun einmal sind, philosophische Doktrinen können daran nichts ändern.“
Dies ist die Entgegnung von GK auf Kompatibilisten, die behaupten, der Indeterminismus lockere die Verbinddung zwischen der Person, ihren Überlegungen und der Handlung.
Für mich hat diese Bemerkung etwas Entlarvendes: Es geht doch gerade darum, eine angemessene Theorie für die Dinge zu finden, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Wie können wir dann davon sprechen, wie die Dinge wirklich sind? Dazu haben wir doch gerade keinen Zugang.
„… die Welt darf nicht so chaotisch sein, dass sie vernünftige Handlungsplanung ausschließt. Dafür muss es hinreichend regelmäßige Verbindungen zwischen Überlegungen, Entscheidungen, Körperbewegungen und Handlungserfolgen geben.“
GK räumt der Zufallsdiskussion recht großen Raum ein und verteidigt den Libertarismus recht kleinteilig gegen Einwände der Art, der Indeterminismus gefährde Zurechenbarkeit und Rationalität der Willensentscheidungen. Die verteidigte Position kann man kompakt auf folgenden Nenner bringen: Anstelle von deterministischer Vorbestimmung und Zufall treten Gründe, die einer nichtdeterministischen Kausalität folgen und die Zurechenbarkeit gewährleisten.
Es hängt also viel an der von GK postulierten nichtdeterministischen Kausalität, auf die in diesem Buch praktisch leider nur immer wieder verwiesen wird, ohne sie genauer zu fundieren.
Es bleibt die Frage, wie die nichtdeterministische Kausalität mit einem physikalischen Weltbild zusammenpassen soll.
«Das wohlverstandene libertarische Andersdenken ist also ein Weiterüberlegenkönnen.»
Es geht im Kontext darum, wie aus libertarischer Position ein anderer Entscheid B hätten getroffen werden können als der tatsächlich getroffene Entscheid A. Willensfreiheit impliziert ja, dass ich die Wahl gehabt habe; ist denn vorstellbar, was mich zu Entscheid B hätte bringen können in genau dieser Situation? Etwas hat ja den Ausschlag gegeben für den Willensentscheid. Das ist heikel, GK vertritt ja keine «akteurskausale» Position, in der eine Person sich einfach (ohne weitere Ursache) entweder für A oder B entscheiden kann. Wie ist eine Wahlfreiheit also in einer solchen Situation möglich? GK überrascht hier mit einem auf den ersten Blick schwachen Argument: ich hätte noch länger überlegen können, und es mir dann eben anders überlegen können. Das verschiebt aber bloss die Problematik:
Person X stellt Überlegungen an, was in einer bestimmten Situation zu tun ist. Nehmen wir mal, X erwägt eine Entscheid-Option A und eine Entscheid-Option B (es wird in der Praxis immer mehr / Subvarianten geben). X neigt zum Zeitpunkt 1 zur Entscheid-Option A, er beschliesst aber nochmals darüber zu schlafen, und entscheidet sich dann im Zeitpunkt 2 für Option B. Wenn wir aber den Zeitpunkt 1 genauer in den Blick nehmen, dann geht es dort genauso um einen Entscheid wie zum Zeitpunkt 2. Person X entscheidet sich zum Zeitpunkt 1 für Variante C, nämlich vorläufig nichts zu tun. Er wird dies nur aus Gründen tun können, und damit sind wir zurück auf Feld 1. GK bahnt sich hier nur den Weg in einen Regress.
Auf den Folgeseiten (p. 151/2) sieht GK zwar diesen Einwand, aber er macht die Sache nur noch schlimmer. Er argumentiert: „Freilich wäre weiterzuüberlegen eine andere Handlung gewesen als F. Ich habe mich oben mit dem Verlegenheitsausdruck einer ‚gegenteiligen‘ Handlung beholfen, um die Unvereinbarkeit von non-F mit dem aktuellen Urteil des Handelnden auszudrücken.“ (p. 151). Die Verlegenheit ist in der Tat sehr gross. Warum soll eine mögliche Alternative zu F nur in einer „gegenteiligen Handlung“ bestehen? – Offen gestanden sehe ich nur einen Grund: Um dieser merkwürdigen, fehlgeleiteten Argumentation einen Hauch von Legitimität zu verleihen.
Dennoch sehr begrüssenswert, dass GK endlich materiell auf Willensbildung / Entscheidungen eingeht.
«Hätte der Akteur die gegenteilige Handlung begonnen, so hätte er wider bessere Einsicht gehandelt, mithin irrational.»
Die postulierte Willensfreiheit erfordert den Nachweis, dass eine Person sich irgendwann auch anders hätte entscheiden können. In einem Prozess der Entscheidungsfindung haben sich zu einem bestimmten Zeitpunkt klare Argumente für eine bestimmte Handlung A herausgeschält. GK geht es jetzt nur darum zu sagen, dass dies nicht der Zeitpunkt ist, an dem sich eine Person für eine andere Handlungsoption B entscheidet – es sei denn, er handle irrational – , er will dann auf dieser Basis weiter argumentieren.
Aber der zitierte Satz irritiert, und lässt für eine materielle Auseinandersetzung mit den Willensbildungs-Prozessen nichts Gutes ahnen. Warum diese Beschränkung auf einen „rationalen Akteur“? Wenn eine Person sich plötzlich gegen eine aufgebaute Argumentationskette für eine andere Option entscheidet, dann muss das doch ein ebenso freier Willensentscheid sein können, wie wenn sich die Person erst die Bausteine für die Gegenargumentation zusammensucht. Oder will GK ernsthaft behaupten, dass sich ein Bauchgefühl-Entscheid, der gegen alle rationalen Argumente (=“bessere Einsicht“) zustande kommt, im Hinblick auf die Willensfreiheit weniger qualifiziert ist als ein Entscheid, den ich mir mit Argumenten zurechtlege (für die im Hintergrund wohlgemerkt genauso irrationale Motive mitspielen können)?
Kapitel 5.2. „Anderskönnen, Naturgesetze und humesche Supervenienz“
„Aussagen über die Natur der Dinge lassen sich nicht in wahre Allsätze über empirische Regularitäten überführen, weil die Manifestationen einer Dispositionseigenschaft durch äussere Umstände verhindert werden kann.“ p. 164
GK geht nochmals das Thema Naturgesetze und Determinismus an. Er braucht jetzt keine komplexe, undurchsichtige „Überlagerung“ mehr für seine Argumentation. Er erklärt schlicht: es kann nur von konditionaler Notwendigkeit die Rede sein, wenn man beschreibt, wie Naturgesetze wirken. Es liegt eine Disposition vor; es kann etwas dazwischen kommen, das verhindert, dass sich die Disposition entfaltet.
Oder auch: Naturgesetze sollen defensiv interpretiert werden: sie besagen, was nicht möglich ist. Mit ihnen ist noch nicht determiniert, was tatsächlich passiert. Die Naturgesetze subsumieren die Rahmenbedingungen, in denen wir uns bewegen.
Aber natürlich bleibt dennoch die Frage: wenn verschiedene Kräfte ein Ereignis bewirken, ist es am Ende nicht eine Kombination von (entdeckten und unentdeckten) Naturgesetzen, die einen Verlauf determinieren? Das lässt sich nicht nachweisen, und darum kann GK auch bei seinem Argument bleiben.
«Offenbar reichen [nichtstrikte, störbare Regularitäten] aus, denn es ist ja weniger eine philosophische These als ein schwer zu leugnender Befund, dass es keine empirisch wahren Sukzessionsgesetze über tatsächliche Ereignisverläufe gibt. So gesehen ist Kants Frage, wie in einer kausalgesetzlich geordneten Welt freie menschliche Handlungen möglich seien, falsch gestellt. Sie muss vom Kopf auf die Füsse gestellt werden und lautet dann: Wie sollte es in einer Welt, deren Verläufe durch Handlungen gestört werden können, strikte Verlaufsgesetze geben können?»
Hintergrund: Kants Annahme, dass nur mit strikten, ausnahmslosen Regularitäten / Verlaufsgesetzen die «Einheit der Erfahrung» gewährleistet ist. GK widerspricht dem hier.
GK sagt mit einigem Recht, dass es keine empirisch wahren Sukzessionsgesetze über tatsächliche Ereignisverläufe gibt, ausserhalb von Laborbedingungen. Zugespitzt läuft das Argument wieder auf den universalen Determinismus hinaus, der sich nur beweisen liesse, wenn wir die Welt nachbauen und kopieren könnten etc. Empirisch = uns bekannt, nachweisbar. Wir können nicht einmal retrospektiv lückenlos aufzeigen, warum sich ein Ereignis genauso gestaltet hat, wie es eben abgelaufen ist. Ganz zu schweigen von zukünftigen Ereignissen. – Das heisst natürlich nicht, dass es solche lückenlosen Sukzessionsgesetze nicht gibt, aber GK klammert diesen Aspekt für den Moment aus. So weit, so gut. Es irritiert dann aber, dass GKs Formulierung im Fragesatz durch die Hintertür wieder einen Dualismus einzuführen scheint: so als ob es hier Verläufe und da Handlungen gebe, und letztere erstere stören können. Handlungen müssten doch integraler Bestandteil von Verläufen sein?
„Der Grund dafür, dass der Zusammenhang zwischen freien Handlungen und Naturgesetzen so häufig falsch dargestellt wird, … ist die universalienrealistische Gesetzesauffassung im Verbund mit der Annahme, dass Naturgesetze regieren, vorschreiben und darüber gebieten, was geschieht.“
Nach und nach lässt GK die Katze aus dem Sack und tritt mit offenem Visier an.
Mit der universalienrealistischen Gesetzesauffassung ist gemeint, dass die Gesetze als schon immer in der Welt vorhanden angenommen werden, so dass deren Aufdeckung das Weltgeschehen erklären würde. GK stellt dem die nominalistische Gesetzesauffassung gegenüber, nach der die Gesetze in Humescher Manier auf Grundlage empirischer Erkenntnisse aufgestellt und immer wieder angepasst werden. Er schlägt sich klar auf die Seite der „Nominalisten“ und wirft den „Universalienrealisten“, unter anderem Kant, den „Hysteron-Proteron“-Fehler vor.
Es verblüfft, mit welcher Sicherheit GK diese Behauptung aufstellt und sich dabei zu suggestiven Formulierungen hinreißen lässt („Naturgesetze gebieten darüber, was geschieht“), zumal er vermutlich große Teile der Naturwissenschaft nicht auf seiner Seite haben wird. Nach meiner Auffassung arbeitet letztere weitestgehend unter der Annahme, dass Gesetze nach und nach „gefunden“ und nicht in einem kreativen Prozess ersonnen werden. GKs Position scheint starke empiristische Züge aufzuweisen.
Es ist fraglich, wie man dann erklären will, wenn aufgrund von theoretischen Überlegungen postulierte Gesetze zu Vorhersagen führen, die sich im nach hinein bestätigen, wenn also Gesetze empirische Erkenntnisse vorwegnehmen, z.B. das von Paul Dirac postulierte Positron, das später experimentell nachgewiesen wurde, oder die Periheldrehung des Merkur, die als Konsequenz der Relativitätstheorie vorhergesagt wurde und die man später empirisch nachweisen konnte.
Mir scheint, GKs Gesetzesbegriff greift hier zu kurz.
„Willensfreiheit wäre dann die Fähigkeit zur überlegten hindernisüberwindenden Willensbildung und -umsetzung.“
nach 175 Seiten jetzt eine Definition, was unter Willensfreiheit zu verstehen ist.
„Was während der Willensbildung im Maschinenraum der Psyche vor sich geht, mag für die Person oft nur begrenzt transparent sein. Rechtfertigungsbedürftig sind am Ende das Überlegungsergebnis, und die handlungswirksame Entscheidung, nicht die psychologischen Details des faktischen Willensbildungsprozesses.“
Die Äusserung erstaunt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, vgl auch p. 169: „Willensfreiheit verstehe ich als ein komplexes humanspezifisches Vermögen, nicht als Attribut einzelner Willensbildungsprozesse.“ GK hat ganz offensichtlich kein Interesse, sich materiell mit der Frage auseinanderzusetzen, wie und wann sich der freie Wille, so es ihn denn gibt, im Bewusstseinsprozess manifestiert. Vielleicht wäre es aber, in einem Buch, das den Titel „Willensfreiheit“ trägt, nicht ganz verkehrt, sich auf diese Ebene zu begeben, weil sich auch Prinzipielles über den Prozess der Willensbildung lernen lässt.
Auf Seite 150 des Buches wird dargestellt, wie eine Person sich zwischen zwei Optionen frei entscheidet. Wie tut sie das? Sie erwägt Option A und Option B, neigt zum Zeitpunkt 1 zur Option A, verschiebt aber den Entscheid auf später. Zum Zeitpunkt 2 entscheidet sie sich für Option B. Wenn ich GK richtig interpretiere, würde er jetzt sagen: Die Person hat sich zwischen Option A und B in einem freien Willensentscheid für Option B und gegen Option A entschieden. – Naiv wird hier unterstellt, dass der Zeitraum zwischen 1 und 2 einfach dafür genutzt wird, die Argumente zwischen A und B rational nochmals abzuwägen. Es gibt aber in der Welt der Psyche kein isoliertes Vernunftabwägen. Wie bei Kahnemann oder Sapolsky zu erfahren wäre, gibt es auch ganz andere Gründe, die zu einem Entscheid B führen können: Zum Beispiel kann ein Mittagessen den Ausschlag für B gegeben haben (Richter entscheiden statistisch gesehen vor dem Mittag anders als nach dem Mittag). GK kann immer noch sagen, dass in einem spezifischen Fall ein Argumentabwägen entscheidend zu Option B geführt hat. Nur wird er nicht behaupten können, dass nicht auch noch andere Faktoren, die der Person nicht zu Bewusstsein gekommen sind, eine Rolle gespielt haben. Damit aber sind die Rahmenbedingungen nicht mehr identisch, unter denen zum Zeitpunkt 1 fast der Entscheid A zustande gekommen wäre und unter denen zum Zeitpunkt 2 der Entscheid B zustande gekommen ist. Es bleibt somit zweifelhaft, ob die von GK intendierte Aussage noch stehen bleiben kann, dass es eine freie Willensentscheidung für B und gegen A gegeben hat. – Sehr häufig erfindet man Begründungen für einen Entscheid nachher.
Abschnitt 5.5: rafrechtliche Zurechnung und Schuldfähigkeit, u.a. S. 187: Die Nichtanwendung des Kantschen Galgentests „verschenkt freiheitstheoretisch eine wichtige Differenz.“
GK zitiert Kant mit seinem Galgentest, der besagt, dass Süchtige, Triebtäter usw. sehr wohl von ihren Taten abzubringen wären, wenn man sie mit dem Galgen konfrontieren würde. GK beruft sich darauf, um dafür zu argumentieren, dass die Schuldfähigkeit faktisch sehr oft auch dann gegeben ist, auch wenn in der Gerichtspraxis oftmals von verminderter oder nicht vorhandener Schuldfähigkeit ausgegangen wird, weil die Personen sehr wohl anders hätten handeln können, sofern man ihnen nur andere (drastische) Konsequenzen in Aussicht gestellt hätte.
Ich frage mich, wie stichhaltig diese Argumentation ist: Wenn ich jemandem Folter androhe, ist er sicher zu Dingen bereit, die er sonst nicht tun würde, aber das hat ja nichts mit der Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der begangenen Tat zu tun, sondern schlicht mit der Angst um Leib und Leben.
Der Galgentest mag grundsätzlich als ein Argument für das Anderskönnen herangezogen werden, er ist aber untauglich, jemandem eine intakte Willensbildungsfähigkeit zu attestieren, weil es nicht nur ums grundsätzliche Anderskönnen, sondern ums Anderskönnen aus den richtigen Gründen – die Einsicht in das Unrecht – geht.
„Irgendeiner der erwogenen Gründe muss handlungswirksam gemacht werden, und da Gründe es nicht selbst tun, muss es der Akteur tun.“
Diese Formulierung mutet stark akteurskausalistisch an. Interessanterweise merkt GK in einer zugehörigen Fußnote an, dass es nicht akteurskausalistisch zu verstehen sei, korrekt müsse es ereigniskausalistisch heißen: „Der Akteur tut etwas, was damit einher geht, dass mentale Ereignisse seine Handlung verursachen.“
GK hat sich ja schon im Abschnitt 4.5 „Akteurskausalität und Ereigniskausalität“ dagegen verwahrt, den Libertarismus mit Akteurskausalität in Zusammenhang zu bringen. Mir ist das nach wie vor nicht eingängig: Ich hege den Verdacht, dass der Libertarismus ohne Akteurskausalität nicht auskommt. Stark verkürzt liegt die Begründung darin, dass man bei Ereigniskausalität in einen infiniten Regress gerät, weil jedes mentale Ereignis seinerseits durch ein anderes, weiter zurückreichendes mentales Ereignis verursacht sein sollte – dieser Regress wird bei der Akteurskausalität dadurch durchbrochen, dass ein erstes mentales Ereignis direkt auf den Akteur zurückgeht.
„Falls eine Handlung aus meinem Charakter oder meinen Gewohnheiten resultiert, bin ich insofern ihr erster Urheber, als mein Charakter und meine Gewohnheiten auf frühere Entscheidungen zurückgehen.“
Wichtiger aristotelischer Gedanke, dass eine Entscheidung in einer bestimmten Sache durch frühere Entscheidungen mitgeprägt wird, im Gegensatz zum kantischen Gedanken, dass ich „im Augenblick des Geschehens“ entscheide.
Läuft das auf die Frage zu, ob sich die Willensfreiheit (im libertarischen Sinn) wenigstens als dialektische retten lässt? Aber GK sieht keine Notwendigkeit, den aristotelischen Aspekt allzu sehr zu forcieren, in seiner Synthese p. 202/203 stehen eher kantische Aspekte im Vordergrund.
„Was könnte abwegiger sein, als die Ergebnisse der Experimente [zur Kontrollillusion] zu weitreichenden skeptischen Annahmen über den epiphänomenalen Charakter des Willens zu verallgemeinern?“
Hier macht sich es GK einfach: Der Befund, dass der Mensch in einigen Situation einer Illusion aufsitzt und glaubt, ein Ergebnis wäre allein auf Grund seiner eigenen Entscheidung zustande gekommen, bleibt für ihn einzig und allein auf die betreffenden Situationen beschränkt. Dass die Illusion weiterreichen könnte, zieht er nicht einmal in Betracht.
Überhaupt verwahrt er sich dagegen, die Annahme der Willensfreiheit beruhe auf einem Gefühl, das Menschen haben, das ja vielleicht sogar unhintergehbar sein könnte (das Wort Gefühl setzt er einmal kursiv und einmal in Anführungsstriche). Die von ihm skizzierte Willensfreiheit beruhe nicht auf einem Gefühl. Es ist überraschend, mit welcher Vehemenz er die Illusionsthese oder die These, dass Menschen sich lediglich frei fühlen, abkanzelt. Gleichzeitig scheint GK aber zu meinen, seine These zum Willen als fähigkeitsbasiertem Vermögen zum Anderskönnen komme gänzlich ohne metaphysische Annahmen aus.
Kapitel 6.3. „Kommt der Wille zu spät?“
Eine, wie mir scheint, ausgewogene und detaillierte Abhandlung zu den Libet-Experimenten und ihrer Bedeutung für die Willensfreiheit. GK profitiert hier von der früheren Distanzierung zur Akteurskausalität: nur wer unterstellt, dass Willensfreiheit abhängt von einem initialen, bewussten Entscheid eines Akteurs in einer Ereigniskette, muss überrascht/enttäuscht sein von Libets Befund, dass das Bereitschaftspotential (BP) für eine Aktion im Gehirn nachweisbar ist, bevor die Aktionsoption dem Akteur zu Bewusstsein kommt.
GK verweist auch auf die Rahmenbedingungen der Libet-Experimente, in denen es gerade nicht um einen freien Willensentscheid ging.
Dennoch bleiben auch hier einige Fragen hängen.
Warum soll ein BP nicht bereits vorhanden sein, wenn sich das Bewusstsein mit einer möglichen Entscheidfindung befasst? Entscheidend aus GKs Sicht ist das „Prüf- und Suspensionsvermögen“, mit dem dann eine Handlung zustande kommt. Er schreibt dann aber auch: „Rechtfertigen lassen muss sich dabei nur das Überlegungsergebnis, nicht der zu ihm führende psychische Prozess.“ (p. 230/1). Damit wird wieder einer materiellen Auseinandersetzung ausgewichen: wie und wann manifestiert sich genau die Willensfreiheit?
Nicht diskutiert wird hier auch die Frage, inwieweit die Prüf- und Suspensionsphase nicht auch vorbewusst gesteuert wird, und ob der freie Wille nicht in jeder Phase des Bewusstseinsbildungs- / Entscheidungsprozesses „zu spät kommt“.
„Beim Libet-Experiment liegt nicht die übliche Verwechslung von synchroner und diachroner Determination vor, die zur Identifikation des physiologischen Korrelats eines mentalen Ereignisses mit dessen Ursache führt.“
Dieser Punkt ist nun schon mehrfach angesprochen worden.
Aus meiner Sicht macht es sich GK einfach und bricht die Diskussion an einem Punkt ab, wo sie erst interessant wird. Auf der einen Seite bestreitet er nicht, dass jeder mentaler Vorgang sein physiologisches/neuronales Korrelat habe. Er fragt aber nicht, wie es zu dieser Korrelationsbeziehung kommt und er fragt auch nicht, wie die zeitliche Entwicklung sowohl der physiologischen als auch der mentalen Seite zu sehen ist. Wenn man annimmt, dass die Korrelation nicht bloß zufällig ist, muss ein Zusammenhang zwischen der physiologischen und der mentalen Seite bestehen. Wenn man weiter nach der zeitlichen Entwicklung fragt, dann wird auch GK einräumen, dass diese einer Kausalität (wenn auch einer nicht-deterministischen) folgt. Hier stellt sich nun die Frage: Was ist es, dass die zeitliche Entwicklung zwischen den Korrelaten synchron verlaufen lässt? Haben wir es mit zwei Kausalketten, einer physiologischen und einer mentalen, zu tun, die zufällig synchron verlaufen? Wann das nicht der Fall ist – sie laufen nicht zufällig synchron -, wie hängen die beiden zusammen? Gibt es eine führende, die die andere nach sich zieht? Oder handelt es sich um eine ominöse wechselseitige Beziehung, wo die eine Seite die andere bedingt, ohne dass man sagen könnte, welche Seite die führende ist?
Dieser Diskussion ist GK bisher ausgewichen. Dies ermöglicht ihm, sein Verwechslungs-Argument durchzuziehen.
„Kausalketten beginnen so wenig kurz vor einer Handlung wie sie kurz danach enden, denn Kausalketten haben generell kein Anfang und kein Ende. Sie laufen durch uns und durch unsere Handlungen hindurch.“
Auch hier zeigt sich noch einmal deutlich die klare Abgrenzung vom Konzept des unbewegten Bewegers, der Kausalketten initiiert. Die metaphorische Formulierung („sie laufen durch uns hindurch“) zeigt eine gewisse Unschärfe an, die das Konzept der endlosen nicht-deterministischen Kausalketten mit sich bringt.
Auf der einen Seiten wollen wir Handlungen insoweit klar abgrenzen, dass sie eindeutig dem betreffenden Akteur zurechenbar sind, und zwar in einer Art und Weise, dass dieser die Handlung auf Grundlage von Gründen gewollt hat, auf der anderen Seite muss aber unter allen Umständen vermieden werden, dass der Akteur als der alleinige Anfangspunkt für die später erfolgende Handlung fungiert. Die Handlung ist Ergebnis einer Kausalkette, aber einer, die nicht erst beim Akteur beginnt. Die Rolle des Akteurs ist hier nicht einfach zu verstehen, es ist in der Tat ein Balanceakt: die Rolle des Akteurs darf nicht zu hervorgehoben sein (er initiiert nichts), sie darf aber auch nicht in der bloßen Ausführung von etwas bestehen, was ein (Zwischen-)Ergebnis einer endlos langen Kausalkette ist.
Das lässt das libertarische Konzept der fähigkeitsbasierten Willensbildung unter Verwendung ausschließlich ereigniskausaler Ketten wie eine komplexe, etwas wacklige Konstruktion erscheinen.
Abschnitt 6.4. „Fehlschlüsse, Missverständnisse, Begriffsverwirrungen“
Wenig verwunderlich, räumt GK mit einer Reihe von neurowissenschaftlichen Einwänden, insbesondere von Gerhard Roth und Wolf Singer, denen er bemerkenswert viel Raum gibt, gehörig auf.
Es entbehrt nicht jeder Ironie, wenn GK die Verwendung von „weichen Kausalverben“ wie „beeinflussen, kontrollieren, induzieren, bestimmen, auslösen, führen zu“ usw. moniert und dieses „Kausalidiom“ als in den Humanwissenschaften weit verbreitet ansieht, zumal er sich gerne selber gelegentlich einer Suggestivrhetorik bedient, etwa: gewisse Vertreter würden behaupten, „Naturgesetze gebieten darüber, was geschieht“, „es geht in der Welt mit rechten Dingen zu“ und andere mehr.
Es scheint, als würde GK sich gelegentlich selber eine metaphorische und unscharfe Sprechweise zugestehen, während er anderen Akteuren Verdunklungsabsichten, Verwechslung oder Fehlschlüssen vorwirft.
Auffällig ist, dass GK hin und wieder gewisse Formulierungen von anderen sehr wörtlich nimmt und diese wörtliche Auslegung dann zerpflückt. Dabei zieht er nicht in Betracht, dass die Bemerkung anders gemeint gewesen sein könnte, und läuft daher Gefahr, gegen Pappkameraden zu schießen (siehe dazu auch den Kommentar zu S. 235).
„Im Übrigen kann es strenggenommen kein ‚Gefühl‘ des Nichtdeterminiertseins geben, weil der Inhalt der indeterministischen These gar kein möglicher Gehalt eines perzeptiven oder affektiven Eindrucks ist.“
Dies ist ein recht symptomatisches Beispiel dafür, wie sehr sich GK manchmal an einzelnen Formulierungen aufhängt. Es sollte klar sein, was gemeint ist, wenn wir sagen, wir fühlen uns frei, auch wenn damit strenggenommen schon eine Schlussfolgerung („Ich bin frei“) verbunden sein mag, die über ein bloßes Gefühl hinausgeht. Ähnlich eng und wörtlich hat er etwa die Aussage Luthers „Hier stehe ich und kann nicht anders“ ausgelegt, indem er unterstellt, Luther habe sagen wollen, ihm sein ein Anderskönnen zwingend unmöglich. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass Luther das so gerade nicht gemeint hat.
Abschnitt über den Homunkulismus, in dem Wolf Singer zitiert wird mit seinem Satz, die Intuition lege uns nahe, dass es im Gehirn irgendwo eine Kommandozentrale geben müsse, die es aus neurowissenschaftlicher Sicht aber nicht gibt.
Hier ein weiteres Beispiel dafür, wie GK gewisse Aussagen von Neurowissenschaftlern notorisch missversteht und nicht einmal eine Idee davon bekommt, was gemeint sein könnte. In der Folge wirft GK diesen dann nicht ohne Sarkasmus vor, sie würden sich manchmal mit ihrem Gehirn verwechseln.
Was könnte Singer gemeint haben? Ich denke, es liegt nahe, dass er meint, dass der Mensch sich jeweils als eigene Person versteht, von der jegliche Handlungen ausgehen. Ich als Person bin es, der einen Willen bildet, Entscheidungen trefft und Handlungen vollzieht, und ich fühle mich dabei als homogene Einheit und nicht aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt. Wenn wir sagen, ich will dies und das, dann meinen wir mit ich nicht unseren kleinen Finger oder unseren Frontallappen, sondern ein homogenes Ganzes, das als solches etwas will, entscheidet und handelt und als solches dann als so etwas wie eine Kommandozentrale verstanden werden kann. Für dieses homogene Ganze scheint es aber kein physiologisches Gegenstück zu geben. Natürlich kann man sich fragen, wofür das nun ein Argument sein soll. Jedenfalls zeigt sich, dass sich die Eigenerfahrung des „Ich“ in der physiologischen Welt nicht eins zu eins widerspiegelt, hier laufen also die mentale Beschreibungsebene und die physiologische Beschreibungsebene auseinander. Für GK mag das völlig uninteressant sein, weil er sich mit der Aussage begnügt, dass jeder mentale Vorgang ein neuronales Substrat habe und an dieser Stelle nicht mehr weiterdenkt. Singer und andere mögen dahingegen sagen wollen, es gibt Abläufe in unserem Gehirn, die dazu führen, dass wir denken, es gebe so etwas wie eine zentrale Einheit, ein Ich, bei dem alles zusammenläuft, und da wäre man dann schon nicht mehr so weit weg von einer Illusion, die in uns durch neuronale Mechanismen vorgegaukelt wird.
Diese Sicht mag vielleicht auch nicht stimmig sein, aber es ist bedauerlich, wenn man sich auf diese so gar nicht einlässt. Im Übrigen ist es nicht ganz geschickt, wenn man im Verlaufe des Buches drei Mal vom Homunkulus spricht und dann beim vierten Mal erklärt, was man damit eigentlich meint.
„So hatte schon Spinoza argumentiert: dass ‚die Menschen nur aus dem Grunde glauben, sie wären frei, weil sie ihrer Handlungen bewusst, der Ursachen aber, von welchen sie bestimmt werden, unkundig sind.'“
Wie weist GK dieses Argument zurück? „Es komme auf die tatsächliche Fähigkeit des Überlegens und ergebnisoffenen Abwägens an. Zu zeigen wäre, dass das Stattfinden bestimmter neuronaler Prozesse diese Fähigkeit ausschliesst.“ Versuch, die Beweislast umzukehren. – Zuvor hatte GK behauptet, dass «die Erforschung neuronaler Korrelate des Mentalen für das Freiheitsproblem irrelevant sind» (p. 119, s. auch die Diskussion dort). Jetzt aber greift er in der Not dennoch auf diese Argumentationsebene zurück.
„(…) dass Naturwissenschaftler dazu neigen, im Revier der Philosophie zu wildern, ohne sich auszukennen.“
Durch das ganze Buch ist ein gewisser polemischer Grundton nicht zu verkennen. Offenbar sieht sich GK in der Defensive und er will sich gegen anmassende Naturwissenschaftler wehren. Und er hat vermutlich mit dem einen oder anderen Hinweis nicht unrecht. Aber das Argument fällt auf ihn selbst zurück: ich empfinde die zu knappe Auseinandersetzung mit den psychologischen und neurologischen Aspekten des Bewusstseins- oder Willensbildungsprozess als gewichtiges Defizit dieses Buches.
Abschnitt 7.5 „Wer muss die Erklärungslücke schließen?“
GK setzt sich noch einmal mit Einwänden gegen das libertarische Weiterüberlegen-Argument auseinander. Der Einwand geht in die Richtung, dass am Ende keine Kriterien benannt werden können, die das Weiterüberlegen in einer gegebenen Situation erklären.
Auffällig ist, dass GK sich hier ausschließlich mit Positionen aus der Vereinbarkeitsmatrix (siehe Einführungskapitel) auseinandersetzt, vor allem mit deterministischen Kompatibilisten und agnostischen oder Zweifach-Kompatibilisten, aber auch mit Inkompatibilisten. Tenor ist: Wenn man dem Libertarier eine Erklärungslücke vorwirft, dann haben die anderen sie auch. Dies zeigt das Dilemma, dass alle der aufgezeigten Positionen mit gewissen Schwächen zu kämpfen haben, so dass es am Ende nur darum geht, was plausibel erscheint, und nicht darum, was wahr ist.
Grundsätzlich gäbe es noch eine andere mögliche Sicht, die in der Vereinbarkeitsmatrix gar nicht vorkommt: Man kann konzedieren, dass Menschen sich als frei erfahren und sich selbst eine Willensfreiheit zuschreiben, aber gleichzeitig der Meinung sein, dass wir keine Aussage darüber machen können, ob wir wirklich frei sind oder nicht. Alle Positionen in GKs Vereinbarkeitsmatrix erheben dagegen den – für mich metaphysisch anmutenden – Anspruch, etwas darüber zu sagen, ob wir frei sind oder nicht. Dass wir uns lediglich als frei erfahren und wir darüber hinaus keine Aussage machen können, ist als mögliche Positionierung nicht vorgesehen.