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Besprechung
Das Feld der Mykologie ist ein weites: Es reicht von Schimmel und Hefe über Flechten, Trüffel und (höchst giftige) Waldpilze bis hin zum Einsatz von Pilzen zum Abbau von Schadstoffen, oder Pilzen als umweltfreundlichen Rohstoff für Verpackungen und Möbel. Etwas ausgeblendet werden in der enthusiastischen Rundschau Sheldrakes Pilze auf Haut oder im Darm des Menschen, und die vielfältigen Formen von Pilzinfektionen.
Pilze sind Pioniere bei der Besiedlung von Lebensräumen, sie breiteten sich vor Pflanzen und Tieren auf der Landmasse der Erde aus, Pilze zählen aber auch zu den ersten Lebewesen, die eine neu entstandene Vulkaninsel besiedeln. Bestimmt sind schon Vorfahren des Homo sapiens auf die eine oder andere Weise jenseits der Ernährung mit Pilzen in Berührung gekommen; ein archäologischer Fund deutet darauf hin, dass Neandertaler bereits vor 50’000 Jahren um die antibiotische Wirkung von bestimmten Pilzen gewusst haben. In vielen menschlichen Kulturen haben Pilze – auch als Rauschmittel – schon früh eine Rolle gespielt; umso erstaunlicher, wie wenig wir bis heute über Pilze wissen. Zitat aus Pilze sind älter als gedacht - wissenschaft.de: «Schätzungen zufolge kennen wir erst zwischen zwei und acht Prozent aller Pilzarten.»
Pilze sind Meister der Kooperation, sei das in der Flechte, von der man lange nicht verstanden hat, dass sie aus Pilzen und Algen besteht, oder – anderes Beispiel – im Waldboden: 90 Prozent aller Pflanzen koexistieren mit Pilzen, die beispielsweise Bäume untergründig miteinander verbinden und Stoffe hin- und hertransportieren. Dieses Wood Wide Web ist noch weitgehend unerforscht, und im Übrigen wissenschaftlich auch nicht unumstritten, aber der Leser wird nach der Lektüre einen Wald anders betreten, auch wenn er intuitiv schon immer gewusst hat, dass er sich nicht in einer blossen Ansammlung von Baumindividuen befindet. Bei Schädlingsbefall, so geht eine These, senden Pflanzen sogenannte Infochemicals aus, die via Pilznetzwerk andere Pflanzen erreichen, die sich dann für einen Befall wappnen können. Und Pilze haben bei der Nährstoffversorgung von Bäumen eine entscheidende Funktion. Das Zusammenleben von Pflanzen und Pilzen ist aber nicht immer nur gedeihlich. Es ist eine eindrückliche Lektion von Sheldrakes Buch, dass sich eine Koexistenz über die Zeit in einem Spektrum von (scheinbar) altruistisch (ein Partner lässt den anderen profitieren, ohne offensichtliche Gegenleistung) über mutualistisch (für beide Seiten von Vorteil) zu parasitär (mit möglicherweise tödlichen Folgen für einen Partner) bewegen kann. Pilze sind nicht primär Diener oder Schmarotzer. Der Pilz verfolgt seine eigene Strategie.
Mykologie hat lange ein Schattendasein geführt, viele Forschungsfragen bleiben unbeantwortet. Das Nischenfach zieht spezielle Typen an; Sheldrakes Buch ist auch eine Serie von Portraits von Wissenschaftlern, die sich mit Leib und Seele den Pilzen widmen, aber auch von Amateuren, die dem Ideal des citizen scientists, des Bürger-Wissenschaftlers, nahekommen. Die Pilzfreaks bilden – Sheldrake kann der Metapher nicht widerstehen – ein sich ausbreitendes Netzwerk, durch das Informationen fliessen, ganz dem Vorbild des Untersuchungsgegenstands entsprechend.
Deutsche Ausgabe: https://shop.buchhandlung-labyrinth.ch/catalogue/verwobenes-leben_27639636/