Autor:
Han Kang
Verlag: Aufbau
Genre: Belletristik
Erscheinungsjahr: 2024
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 9783351037925
Einbandart: gebunden
Seitenzahl: 204
Sprache: Deutsch
Originalsprache: koreanisch
Übersetzung: Ky-Hiang Lee
MT
Moritz T.
Bewertungen
Besprechung
Eine Frau, die vollkommen verstummt ist, und ein Mann, der langsam erblindet, sind jeweils in tiefer Einsamkeit gefangen. Er ist Altgriechisch-Lehrer, sie ist eine seiner Schülerinnen, die via die tote Sprache hofft, das Sprechvermögen zurückzugewinnen. In abrupt wechselnden Kapiteln kommen die Hauptfiguren zur Sprache. Als Leser braucht man eine Weile, bis man sich zurechtfindet.
Wir erfahren von den Kindheitstraumata der Frau, die ihr eine Selbstverständlichkeit der Existenz verunmöglichen. Sprechen heisst, einen Raum einnehmen. Sie kann das nicht mehr. Es scheint, als ob sie all ihre Kräfte aufwenden muss, um nicht zu verschwinden. Der Tod ihrer Mutter und der Entzug des Sorgerechts für ihren Sohn haben das labile psychische Gleichgewicht der Frau erschüttert.
Der Lehrer seinerseits hat in Korea kaum Freunde. Seine Familie war nach Deutschland ausgewandert, und er sehnt sich dorthin zurück, erinnert sich an Liebesbande, an Freundschaften. In der koreanischen Gegenwart entzieht er sich der Welt zunehmend, oder die Welt entzieht sich ihm, weil er kaum mehr sehen kann. Der Buddhismus, Jorge Luis Borges, oder die alten Griechen sind für ihn wichtige Referenzpunkte.
Bruchstückweise erfährt man so von der Vergangenheit der Hauptfiguren. Aber der Kern der Erzählung berührt auch ohne diese psychologisierenden Hintergründe. Zwischen den beiden Versehrten bahnt sich unmerklich eine Beziehung an. Fast scheint es, als schlügen sich die Beeinträchtigungen der Figuren, die mangelnde Verfügbarkeit von Sehsinn und Sprachvermögen, auch im zögerlichen, tastenden Fortgang der Geschichte nieder. Sie kulminiert in einer symbolisch aufgeladenen Szene, in der sich die beiden einander zuwenden. Ergreifend der Moment, als sie ihm das Wort «wir» auf die Hand schreibt. Meisterhaft, wie sich bei ihm Traum und Wachsein verweben.
Die eigenständigen, subtilen Sprachbilder, mit denen die Autorin das Innenleben ihrer beiden Hauptfiguren in den Fokus nimmt, machen «Griechischstunden» zu einem Leseerlebnis.
Mehr zeigen...
Wir erfahren von den Kindheitstraumata der Frau, die ihr eine Selbstverständlichkeit der Existenz verunmöglichen. Sprechen heisst, einen Raum einnehmen. Sie kann das nicht mehr. Es scheint, als ob sie all ihre Kräfte aufwenden muss, um nicht zu verschwinden. Der Tod ihrer Mutter und der Entzug des Sorgerechts für ihren Sohn haben das labile psychische Gleichgewicht der Frau erschüttert.
Der Lehrer seinerseits hat in Korea kaum Freunde. Seine Familie war nach Deutschland ausgewandert, und er sehnt sich dorthin zurück, erinnert sich an Liebesbande, an Freundschaften. In der koreanischen Gegenwart entzieht er sich der Welt zunehmend, oder die Welt entzieht sich ihm, weil er kaum mehr sehen kann. Der Buddhismus, Jorge Luis Borges, oder die alten Griechen sind für ihn wichtige Referenzpunkte.
Bruchstückweise erfährt man so von der Vergangenheit der Hauptfiguren. Aber der Kern der Erzählung berührt auch ohne diese psychologisierenden Hintergründe. Zwischen den beiden Versehrten bahnt sich unmerklich eine Beziehung an. Fast scheint es, als schlügen sich die Beeinträchtigungen der Figuren, die mangelnde Verfügbarkeit von Sehsinn und Sprachvermögen, auch im zögerlichen, tastenden Fortgang der Geschichte nieder. Sie kulminiert in einer symbolisch aufgeladenen Szene, in der sich die beiden einander zuwenden. Ergreifend der Moment, als sie ihm das Wort «wir» auf die Hand schreibt. Meisterhaft, wie sich bei ihm Traum und Wachsein verweben.
Die eigenständigen, subtilen Sprachbilder, mit denen die Autorin das Innenleben ihrer beiden Hauptfiguren in den Fokus nimmt, machen «Griechischstunden» zu einem Leseerlebnis.
Subscribe
Login
Please login to comment
0 Kommentare
Oldest