Buch im Fokus #5 12.01.2024

Kopfkissenbuch

Wir rücken einen sehr alten Text in den Fokus, der einem die einmalige Gelegenheit gibt, sich mit geringem Aufwand einer Gesellschaft in grosser räumlicher und zeitlicher Entfernung anzunähern. Das «Kopfkissenbuch» der Hofdame Sei Shonagon reflektiert das Gebaren am japanischen Kaiserhof um das Jahr 1000, zuweilen kritisch oder spöttisch. Einige Passagen weisen autobiographische Züge auf und geben Einblick in ihre Karriere am Hof. Das Verhalten des Adels unterliegt subtilen Regeln, die teilweise schon sehr exotisch anmuten. Die vielen zumeist kurzen Kapitel zu einer Vielzahl von Themen sind prägnant und unterhaltsam; und die zahlreichen Fussnoten in der schön gestalteten Ausgabe erleichtern den Zugang zur höfischen japanischen Welt der Heian-Periode.

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Zitat & Kommentar #2 widmet sich einer lapidaren Notiz der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson auf einem Briefcouvert. Es geht um Tatsachen und Träume.

Dieses Buch wird besprochen in: Japan BESTELLEN
Partner-Buchhandlung Labyrinth Basel
Autor: Sei Shonagon
Verlag: Manesse
Genre: Belletristik
Erscheinungsjahr: 2015
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-7175-2314-7
Auflage: 1
Einbandart: gebunden
Seitenzahl: 378
Sprache: Deutsch
Originalsprache: Japanisch
Übersetzung: Michael Stein
MT Moritz T.

Bewertungen

Inhalt

Zugänglichkeit

Ausstattung

Besprechung

Es ist eine Auslegeordnung des Lebens, die uns Sei Shonagon präsentiert, und das ist 1000 Jahre später ungemein reizvoll zu lesen, nur gelegentlich etwas langweilig, wenn die Aufzählungslust überhandnimmt und wir Listen von Brücken, Brunnen, Buchten oder von Seen, Stränden, Schluchten zur Kenntnis nehmen. – Das Kopfkissenbuch ist aber auch ein Buch, in dem die Ich-Erzählerin gern von sich erzählt und dezidiert ihre Meinung kundtut. Wir erfahren, wie sie ihre Rolle als Hofdame meistert und zu einer Favoritin der jungen Kaiserin wird. Sie ist eine hervorragende Kennerin der Literatur, und das verschafft ihr rasch Ansehen, denn Gespräche und Korrespondenzen zwischen den Hofleuten sind gespickt mit literarischen Anspielungen. Wer eine passende Gedichtzeile zitiert, siegt im Dialog-Wettkampf, wie eben meist unsere Heldin. Vereinzelt berichtet die Ich-Erzählerin auch von ihren Niederlagen; einmal handelt sie sich wegen einer missglückten Wortwahl, die die anderen Hofdamen in schlechtem Licht erscheinen lässt, einen Tadel der Kaiserin ein.

Das alles wirkt sehr abgehoben vom Alltag der nicht-adligen Japaner, für die die Hofdame wenig übrighat; Erwähnung finden sie, wenn sie den ästhetischen Genuss stören: «Zum schönen Schein des Vollmonds passt es auch nicht, wenn Lastkarren umherfahren.»
Natürlich ist die Autorin damit einfach auch ein Kind ihrer Zeit und ihrer Klasse. Ihre Zeit- und Zunftgenossin Murasaki Shibiku, Autorin des anderen grossen Klassikers aus der Heian-Periode (794-1185), der Geschichte vom Prinzen Genji, zeiht Sei Shonagon allerdings der Oberflächlichkeit und der Einbildung. Shibiku gehörte zu einer anderen Partei als Shonagon am intrigenreichen Kaiserhof; es gibt im Kopfkissenbuch hier und dort (im Anhang entschlüsselte) Hinweise auf die Zeitgeschichte, die für die von Shonagon hochverehrte Kaiserin kein gutes Schicksal bereithielt. Die Autorin musste nach Entmachtung und Tod der Kaiserin den Hof verlassen.

Im Vordergrund steht aber der höfische Alltag, Klatsch, Spiel, Zeitvertreib, Feierlichkeiten, bei denen die Wahl der Kleider (wie viele Lagen? welche Farben? welcher Stoff?) eine grosse Rolle spielt, mit denen erotische Signale ausgesandt werden. Immer wieder ist von nächtlichen Herren-Besuchen die Rede, die vor der Morgendämmerung zu beenden waren. Die Kavaliere waren dann gehalten, sofort einen «Morgenbrief» an die Geliebte zu senden.

Aus der Distanz betrachtet fällt auf, wie die japanische Gesellschaft bei allen Veränderungen über die Jahrhunderte in manchen Bereichen eine bemerkenswerte Kontinuität aufweist. Die Bedeutung des Ästhetischen, das nach wie vor den japanischen Alltag durchdringt, war am Heian-Kaiserhof sehr ausgeprägt. Der Leser registriert die Koexistenz der Religionen, die auch heutige Japan-Besucher aus dem Westen frappiert. Auch eine starke Beachtung von Hierarchien zeigt sich schon im Kopfkissenbuch. Am Hof gibt es insgesamt 32 verschiedene Ränge, angefangen beim Unteren 8. Rang 2. Klasse. –
Darüber und über vieles mehr klären 861 Fussnoten, Nachwort, ein Glossar und ein Personenverzeichnis auf, die die geschmeidige Übersetzung ergänzen – die erste vollständige deutsche. Dank gebührt dem Herausgeber und Übersetzer Michael Stein, der damit dieses in Japan längst kanonische Buch erst so richtig für unseren Sprachraum erschliesst. Mit seiner Mischung aus Essays, Listen und Episoden aus dem Palastleben wirkt das Kopfkissenbuch verblüffend modern, frisch und leicht zugänglich.


(Hier das Buch bestellen: https://shop.buchhandlung-labyrinth.ch/catalogue/kopfkissenbuch_9823116/)
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