Autor:
Heinrich Meier
Untertitel: Zur Sache der Politischen Philosophie
Verlag: C.H. Beck
Genre: Sachbuch
Erscheinungsjahr: 2025
Weitere bibliographische Angaben
ISBN: 978-3-406-83604-6
Einbandart: Hardcover
Seitenzahl: 607
Sprache: Deutsch
MT
Moritz Th.
Bewertungen
Besprechung
Leo Strauss war ein deutscher Philosoph, der unter anderem bei Cassirer, Heidegger und Husserl studiert hatte. 1937 emigrierte er in die USA und war dann von 1949 bis 1969 Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Chicago. Strauss geniesst in den USA bei konservativ-libertären Vordenkern des Silicon Valleys und Anhängern von Donald Trump hohes Ansehen.
Heinrich Meier widmet der Arbeit von Leo Strauss eine ausführliche Studie. Dessen Denken entfaltet sich in close readings von Texten vornehmlich aus der Antike. Meier unterzieht seinerseits die Publikationen von Strauss einer intensiven, textnahen Lektüre. Wir lesen also, wie Heinrich Meier die Ausführungen von Leo Strauss referiert, der Texte von Aristophanes, Lukrez oder Platon kommentiert.
Daraus resultiert ein für den Laien überaus anspruchsvolles Programm, zumal Meier, darin durchaus verwandt mit Strauss, nur bedingt didaktische Hilfestellungen bereithält, und das Denken Strauss’ kaum in einen grösseren Rahmen einordnet.
Allerdings ist das auch eine schwierige Aufgabe: Leo Strauss hatte zwar durchaus die Ambition, eine eigene Schule zu gründen. Aber er war auch ein Philosoph, der eher problem- als lösungsorientiert vorging. Es war ihm ein wichtiges Anliegen, das Spannungsfeld zwischen Philosophie und (Offenbarungs-)Religion, das Mitte des 20. Jahrhunderts zusammengebrochen war, neu aufzubauen. Hinter dem bezeichnend unscheinbaren Untertitel von Meiers Buch «Zur Sache der politischen Philosophie» verbergen sich existenzielle, fundamentale Fragen.
Paraphrase eines Kernarguments von Strauss: Philosophie im Zeitalter der Polis muss eine politische sein, sie muss die Organisation des Zusammenlebens zu ihrem Thema machen. Zentrales Problem des Zusammenlebens ist die Gerechtigkeit. Von Menschen festgelegte Gesetze können aber keine umfassende, dauerhafte Gerechtigkeit garantieren, sie sind blosse Konvention. Wenn – wie in der Demokratie – eine Mehrheit etwas beschliesst, widerfährt der Minderheit potentiell Ungerechtigkeit. Wenn – wie im Kommunismus – Ungleichheiten zwischen den Menschen eliminiert werden, wird man der menschlichen Natur nicht gerecht. Folglich brauchen die Menschen eine übergeordnete Instanz, wie sie der Gott der Offenbarungsreligionen darstellt. Die Politik kann sich dann an den göttlichen Gesetzen orientieren, die am besten von «weisen Männern» interpretiert werden.
Wie aber soll sich die Philosophie angesichts dieser Gemengelage positionieren? Die Philosophie befragt die Natur auf grundsätzliche Weise, sie akzeptiert keine vorgefertigten Antworten. Sie ist von ihrem Wesen her atheistisch. Philosophie und Religion können sich von daher nur antagonistisch begegnen. Für Strauss ist aber essentiell, dass dieser Antagonismus ausgetragen wird, den Spinoza quasi eigenhändig für beendet erklärt hatte. Der Philosoph Strauss weist der Philosophie eine defensive Position zu. Sie muss die Möglichkeit der Offenbarung widerlegen können. Gelingt ihr das nicht, steht sie auf verlorenem Posten. Woher Strauss diese schwierige Position der Philosophie ableitet, wird mindestens diesem Leser nicht ganz klar. Man kann argumentieren, wie Strauss das tut, dass die Menschen eine höhere Instanz benötigen. Aber folgt aus diesem Bedürfnis schon der Auftrag an die Philosophie, sich mit der Offenbarungsreligion zu beschäftigen, ja sie widerlegen zu müssen?
Strauss setzt sich mit den verschiedensten antiken Autoren und einer erstaunlichen Bandbreite von Textsorten auseinander. Sehr anregend ist die Erörterung der "Geschichte des Peloponnesischen Krieges" von Thukydides, der mit der Betonung auf die Wichtigkeit der Aussenpolitik, die aus der kriegerischen Natur des Menschen folgt, gegen den abstrakten idealen Staat Platons in Anschlag gebracht wird. Ebenfalls spannend ist die Interpretation von Aristophanes’ Komödie " Die Wolken", mit der Strauss die Aporien der sokratischen Philosophie offenlegt. Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass Strauss in seinem Werk Sokrates, dem gottlosen Verderber der Jugend, nochmals den (umsichtigen) Prozess macht, als Wegbereiter der Dekadenz, des Rationalismus’, und dann, in die Neuzeit übertragen, der Aufklärung, des Liberalismus’ und des Sozialismus’. Das ist nicht sonderlich originell, sondern weitestgehend von Nietzsche übernommen.
Was fasziniert nun Intellektuelle aus dem Umfeld von Donald Trump an diesem skrupulösen Interpreten antiker Schriften? Leo Strauss lässt ein tiefsitzendes Unbehagen gegen den modernen Staat und die westlichen Demokratien mit ihrem immer weiter wuchernden Dickicht von Gesetzen erkennen, das dem Individuum die Freiheit nimmt und dennoch nie die angestrebte Gerechtigkeit erreichen kann. Dieser libertäre Grundzug scheint beispielsweise Peter Thiel anzusprechen. Dazu kommt eine Affinität im religiösen Bereich, die Berufung auf die Bibel und ein Hang zum Fundamentalismus. Im Vergleich zu seinen zeitgenössischen Adepten, die sich gern mit Provokationen hervortun, bleibt Strauss jedoch ein subtiler, nicht leicht zu erschliessender Denker der Ambivalenz, den uns hier Heinrich Meier auf kongeniale Weise näher zu bringen versucht.
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Heinrich Meier widmet der Arbeit von Leo Strauss eine ausführliche Studie. Dessen Denken entfaltet sich in close readings von Texten vornehmlich aus der Antike. Meier unterzieht seinerseits die Publikationen von Strauss einer intensiven, textnahen Lektüre. Wir lesen also, wie Heinrich Meier die Ausführungen von Leo Strauss referiert, der Texte von Aristophanes, Lukrez oder Platon kommentiert.
Daraus resultiert ein für den Laien überaus anspruchsvolles Programm, zumal Meier, darin durchaus verwandt mit Strauss, nur bedingt didaktische Hilfestellungen bereithält, und das Denken Strauss’ kaum in einen grösseren Rahmen einordnet.
Allerdings ist das auch eine schwierige Aufgabe: Leo Strauss hatte zwar durchaus die Ambition, eine eigene Schule zu gründen. Aber er war auch ein Philosoph, der eher problem- als lösungsorientiert vorging. Es war ihm ein wichtiges Anliegen, das Spannungsfeld zwischen Philosophie und (Offenbarungs-)Religion, das Mitte des 20. Jahrhunderts zusammengebrochen war, neu aufzubauen. Hinter dem bezeichnend unscheinbaren Untertitel von Meiers Buch «Zur Sache der politischen Philosophie» verbergen sich existenzielle, fundamentale Fragen.
Paraphrase eines Kernarguments von Strauss: Philosophie im Zeitalter der Polis muss eine politische sein, sie muss die Organisation des Zusammenlebens zu ihrem Thema machen. Zentrales Problem des Zusammenlebens ist die Gerechtigkeit. Von Menschen festgelegte Gesetze können aber keine umfassende, dauerhafte Gerechtigkeit garantieren, sie sind blosse Konvention. Wenn – wie in der Demokratie – eine Mehrheit etwas beschliesst, widerfährt der Minderheit potentiell Ungerechtigkeit. Wenn – wie im Kommunismus – Ungleichheiten zwischen den Menschen eliminiert werden, wird man der menschlichen Natur nicht gerecht. Folglich brauchen die Menschen eine übergeordnete Instanz, wie sie der Gott der Offenbarungsreligionen darstellt. Die Politik kann sich dann an den göttlichen Gesetzen orientieren, die am besten von «weisen Männern» interpretiert werden.
Wie aber soll sich die Philosophie angesichts dieser Gemengelage positionieren? Die Philosophie befragt die Natur auf grundsätzliche Weise, sie akzeptiert keine vorgefertigten Antworten. Sie ist von ihrem Wesen her atheistisch. Philosophie und Religion können sich von daher nur antagonistisch begegnen. Für Strauss ist aber essentiell, dass dieser Antagonismus ausgetragen wird, den Spinoza quasi eigenhändig für beendet erklärt hatte. Der Philosoph Strauss weist der Philosophie eine defensive Position zu. Sie muss die Möglichkeit der Offenbarung widerlegen können. Gelingt ihr das nicht, steht sie auf verlorenem Posten. Woher Strauss diese schwierige Position der Philosophie ableitet, wird mindestens diesem Leser nicht ganz klar. Man kann argumentieren, wie Strauss das tut, dass die Menschen eine höhere Instanz benötigen. Aber folgt aus diesem Bedürfnis schon der Auftrag an die Philosophie, sich mit der Offenbarungsreligion zu beschäftigen, ja sie widerlegen zu müssen?
Strauss setzt sich mit den verschiedensten antiken Autoren und einer erstaunlichen Bandbreite von Textsorten auseinander. Sehr anregend ist die Erörterung der "Geschichte des Peloponnesischen Krieges" von Thukydides, der mit der Betonung auf die Wichtigkeit der Aussenpolitik, die aus der kriegerischen Natur des Menschen folgt, gegen den abstrakten idealen Staat Platons in Anschlag gebracht wird. Ebenfalls spannend ist die Interpretation von Aristophanes’ Komödie " Die Wolken", mit der Strauss die Aporien der sokratischen Philosophie offenlegt. Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass Strauss in seinem Werk Sokrates, dem gottlosen Verderber der Jugend, nochmals den (umsichtigen) Prozess macht, als Wegbereiter der Dekadenz, des Rationalismus’, und dann, in die Neuzeit übertragen, der Aufklärung, des Liberalismus’ und des Sozialismus’. Das ist nicht sonderlich originell, sondern weitestgehend von Nietzsche übernommen.
Was fasziniert nun Intellektuelle aus dem Umfeld von Donald Trump an diesem skrupulösen Interpreten antiker Schriften? Leo Strauss lässt ein tiefsitzendes Unbehagen gegen den modernen Staat und die westlichen Demokratien mit ihrem immer weiter wuchernden Dickicht von Gesetzen erkennen, das dem Individuum die Freiheit nimmt und dennoch nie die angestrebte Gerechtigkeit erreichen kann. Dieser libertäre Grundzug scheint beispielsweise Peter Thiel anzusprechen. Dazu kommt eine Affinität im religiösen Bereich, die Berufung auf die Bibel und ein Hang zum Fundamentalismus. Im Vergleich zu seinen zeitgenössischen Adepten, die sich gern mit Provokationen hervortun, bleibt Strauss jedoch ein subtiler, nicht leicht zu erschliessender Denker der Ambivalenz, den uns hier Heinrich Meier auf kongeniale Weise näher zu bringen versucht.
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